Beton, der fließt: So tricksen Forschende die Zähigkeit aus
Forschende der ETH Zürich zeigen, wie mikroskopisches Rollen das Fließverhalten dichter Suspensionen wie Beton bestimmt.

Forschende der ETH Zürich haben herausgefunden, warum flüssiger Beton (und andere Suspension) durch Druck plötzlich zäh wird. Mit diesem Wissen kann solch ein Verhalten verhindert werden.
Foto: PantherMedia / Edophoto (YAYMicro)
Warum wird Beton bei starkem Druck manchmal zäh? Forschende der ETH Zürich untersuchen, wie mikroskopisch kleine Partikel rollen oder gleiten – und wie das die Fließeigenschaften von Suspensionen wie Beton beeinflusst. Ihre Erkenntnisse helfen dabei, industrielle Prozesse besser zu steuern.
Inhaltsverzeichnis
Wenn Flüssigkeiten sich wie Feststoffe verhalten
Ob Farbe, Joghurt, Beton oder Ketchup – viele Stoffe, die uns im Alltag begegnen, gehören zur Klasse der Suspensionen. Dabei handelt es sich um Flüssigkeiten, in denen winzige, unlösliche Feststoffpartikel gleichmäßig verteilt sind. In der Industrie sind solche Mischungen alltäglich. Und doch zeigen sie unter bestimmten Bedingungen ein erstaunliches Verhalten: Sie werden plötzlich dickflüssig – oder verhalten sich sogar wie feste Körper.
Physikalisch betrachtet sind Suspensionen keine gewöhnlichen Flüssigkeiten. Besonders dann nicht, wenn sie sehr viele Feststoffteilchen enthalten. Wird eine solche Mischung verformt – etwa durch Rühren, Pumpen oder Pressen – verändert sich ihr Verhalten schlagartig. Statt leicht zu fließen, widersetzt sich die Suspension der Bewegung. Dieses Phänomen wird als Scherverdickung bezeichnet.
Die Erklärung der Widerspenstigkeit
Hinter dieser scheinbaren Widerspenstigkeit steckt ein Prozess auf mikroskopischer Ebene: Die Partikel innerhalb der Suspension müssen sich neu anordnen, wenn sich die Flüssigkeit bewegt. Das gelingt ihnen am besten, wenn sie aneinander abrollen. Gelingt das jedoch nicht, müssen sie aneinander vorbeigleiten – und das kostet deutlich mehr Energie.
„Nur wenn das Abrollen nicht mehr möglich ist, kommt es zu einer Gleitbewegung zwischen den Teilchen“, erklärt Simon Scherrer von der ETH Zürich. „Dann steigt die Reibung stark an.“
Reibung auf der Mikroskala: Wie messen Forschende so etwas?
Doch wie misst man Reibungskräfte zwischen Partikeln, die gerade einmal 12 Mikrometer – also 12 Millionstel Meter – groß sind? Diese Frage stellte sich das Forschungsteam um Lucio Isa, Professor für Grenzflächen und Weiche Materie an der ETH Zürich.
Die Antwort: Mit einem Rasterkraftmikroskop, einem extrem empfindlichen Messgerät, das normalerweise Oberflächenstrukturen abtastet. Für ihre Untersuchungen entwickelte das Team eine spezielle Halterung, mit der ein einzelnes Partikel präzise bewegt werden kann. Damit konnten sie das Partikel über eine Oberfläche mit ähnlichen Eigenschaften ziehen – und so kontrolliert Reibung messen.
Scherrer berichtet, wie aufwendig die Entwicklung war: „Ich habe bestimmt 50 Versionen des Halters gebaut, bis eine funktioniert hat.“
Glatt oder rau – die Oberfläche entscheidet
Um die Effekte genauer zu untersuchen, stellten die Wissenschaftler Partikel mit unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften her. Glatte oder rutschige Teilchen glitten einfach aneinander vorbei – unabhängig davon, wie stark sie aufeinander gedrückt wurden. Rauere oder leicht haftende Partikel hingegen verhielten sich wie kleine Zahnräder. Sie griffen ineinander und rollten mit weniger Reibung ab.
„Solche Teilchen rollen besser, statt zu gleiten“, erklärt Scherrer. Das bedeutet: Sie verursachen weniger Widerstand und halten die Suspension flüssiger.
Gleitreibung – der Zähmacher in Suspensionen
Im nächsten Schritt fixierten die Forschenden die Partikel in ihrer Halterung, um gezielt die Gleitreibung zu messen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Gleitreibung war um ein Vielfaches höher als die Rollreibung. Diese Differenz erklärt, warum Suspensionen bei hoher Beanspruchung so plötzlich verdicken.
Das Verhalten lässt sich also auf die mikroskopische Bewegung einzelner Teilchen zurückführen. Gelingt das Rollen nicht mehr, wird es zäh.
Anwendungen: Von Beton bis Lötpaste
Die Erkenntnisse aus der Forschung sind nicht nur theoretisch interessant. Sie haben direkten Nutzen für verschiedene Branchen – zum Beispiel die Betonindustrie. Wird Beton durch Pumpen oder Schläuche gepresst, kann er plötzlich verdicken und blockieren. Das macht die Verarbeitung komplizierter.
Ein weiteres Beispiel: In der Mikroelektronik verwenden Hersteller sogenannte Lötpasten. Diese enthalten feine, leitfähige Partikel in einer Trägerflüssigkeit. Wird die Paste durch feine Düsen gepresst, kann sie bei zu hohem Druck plötzlich stocken – und die Düse verstopfen.
„Um dieses Verhalten zu verhindern, müssen wir genau wissen, wie sich die Partikel im Inneren verhalten“, betont Isa. Nur dann lassen sich Suspensionen gezielt optimieren.
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