Blick in die Zukunft: Brücken aus dem Katalog
Die Forschungsgruppe Konstruktiver Ingenieurbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden entwickelt innovative Lösungen, um den Brückenbau effizienter, kostengünstiger und nachhaltiger zu gestalten. Im Fokus stehen dabei modulare Fertigteilsysteme, die den Brückenbau beschleunigen sollen.
Bauexpertinnen und -experten haben festgestellt, dass jede siebte Autobahnbrücke in Deutschland ein Sanierungsfall ist. Allein 20 der marodesten Brücken befinden sich in NRW. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich die Talbrücke Rahmede, Teil der Autobahn 45 und nördlich von Lüdenscheid gelegen. An dieser Brücke waren Schäden am Tragwerk festgestellt worden. Sie ist inzwischen gesprengt worden, um einem Neubau Platz zu machen, der voraussichtlich Mitte 2026 fertiggestellt sein wird. Auch die A 40 bei Bochum ist aktuell gesperrt, weil eine Brücke saniert werden muss. Die Carolabrücke in Dresden stürzte vor der geplanten Sanierung im nächsten Jahr in der Nacht zum 11. September teilweise ein.
Zuverlässigkeitsbasierte Optimierung von Eisenbahnbrücken im Hochgeschwindigkeitsverkehr
Der schlechte Zustand bezieht sich aber nicht nur auf Autobahnbrücken, auch viele kleinere Konstruktionen mit Spannweiten von bis zu 30 Metern befinden sich in einem schlechten Zustand und müssen dringend ersetzt werden. Was für alle Brücken gleichermaßen gilt: Sie müssen standsicher und gebrauchstauglich sein, ihr Neubau darüber hinaus kosteneffizient ablaufen – inklusive Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Allerdings sind Brückenbauten eine große Herausforderung, vor allem aufgrund langer Planungs- und Vorlaufzeiten sowie langwieriger Baustellen.
Brückenbau der Zukunft: Entwicklung eines Prototyps
Holger Flederer, Professor für Konstruktiven Ingenieurbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTWD), leitet eine gleichnamige Forschungsgruppe, die sich vor allem mit der Entwicklung modularer Systeme und Fertigbauteilen beschäftigt. Die Forschenden sehen darin einen vielversprechenden Ansatz, um schneller und kostengünstiger bauen zu können. Deshalb haben sie in Zusammenarbeit mit der Hentschke Bau GmbH und dem Institut für Massivbau der RWTH Aachen einen Prototyp entwickelt. Bei diesem handelt es sich um eine vorgespannte Straßenbrücke mit nichtmetallischer Bewehrung in modularer Bauweise. Die Bewehrung bezeichnet die Verstärkung von Betonbauteilen, mit dem Ziel, die Tragfähigkeit zu verbessern.
Mit dem Prototyp wollen die Forschenden im ersten Schritt einen maximalen Vorfertigungsgrad erreichen, was wiederum kurze Baustellenzeiten ermöglicht. Bei der Bewehrung setzten sie im nächsten Schritt auf den Einsatz von Carbon. Das bietet ihrer Ansicht nach zahlreiche Vorteile, unter anderem seien schlankere Querschnitte möglich und das Material böte eine höhere Korrosionsbeständigkeit.
Erste erfolgreiche Tests der Brückenfertigteile
Die Forschenden hatten die Möglichkeit, im Rahmen des Projekts Pilotanwendung modularer Brückenbau, kurz PAMB, ihren Prototyp unter realen Bedingungen zu testen. An der Bundesstraße 173, die sowohl durch Bayern als auch durch Sachsen führt, mussten zwei Brücken saniert werden. Der Prototyp konnte hier als sogenannte Behelfsbrücke eingesetzt werden.
Der Prototyp besteht aus vorgefertigten Carbonbetonteilen. Mitarbeitende der Firma Hentschke Bau in Bautzen fertigten fünf 16 Meter lange Träger. Bei diesen Teilen handelt es sich um die ersten ihrer Art in Deutschland. Die einzelnen Module mussten dann per Tieflader zu der Baustelle gefahren werden. Diese befand sich in der Nähe von Freiberg. Vor Ort wurden die Teile lediglich zusammengefügt. Auf diese Art und Weise war es möglich, die Behelfsbrücke in nur einem Tag fertigzustellen.
Kompletter Fertigbau für Brücken möglich
Die Forschenden sind von ihrer innovativen Lösung überzeugt: „Es handelt sich um einen kompletten Fertigbau ohne Betonieren vor Ort, die Längsfugen werden nicht verklebt oder vergossen. Zu den Besonderheiten zählen auch die ausschließlich nichtmetallische Bewehrung sowie der Verzicht auf eine Asphaltdecke“, erklärt Projektleiter Flederer. Ein Jahr lang war die Behelfsbrücke im Einsatz und wurde während dieser Zeit engmaschig überwacht. Die Daten zu Fertigteilzustand, Dehnungsverhalten und Fugen erhielten die Forschenden per Fernübertragung.
Dadurch war es ihnen möglich, den Zustand der Brücke die gesamte Zeit über zu verfolgen. Denn für sie war es wichtig, die Sicherheit dauerhaft im Blick zu behalten. „Wären bei den Messwerten Abweichungen aufgetreten, hätten wir sofort reagiert“, sagt Flederer. Während des einjährigen Einsatzes traten keinerlei Auffälligkeiten auf, sodass die Forschenden eine positive Bilanz ziehen: Die Brücke hat ihren Zweck erfüllt und soll sogar an anderer Stelle demnächst nochmal eingesetzt werden. Mit dem Prototyp ließ sich beweisen, dass Fertigteile den Brückenbau künftig kostengünstiger, schneller und nachhaltiger gestalten. Bauteile für neue Brücken könnten dann wie aus einem Katalog bestellt und produziert werden. Die modulare Bauweise ermöglicht zudem eine variable Breite und eine problemlose Wiederverwendung der Bauteile bei temporären Brücken.
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