Brücken im Sanierungsstau: Was Berlin und Magdeburg zeigen
Deutschlands Brücken droht der Kollaps. Die über Jahrzehnte verschleppte Instandhaltung rächt sich nun. Das zeigen Beispiele in Berlin und Magdeburg.

Bei Deutschlands Brücken herrscht ein gewaltiger Sanierungsstau. Gerade mussten in Berlin und Magdeburg wieder Brücken gesperrt oder sogar abgerissen werden.
Foto: PantherMedia / Daniel Kühne
In Deutschland geraten Brücken zunehmend an ihre Belastungsgrenze. Viele dieser Bauwerke wurden vor Jahrzehnten errichtet – unter völlig anderen Voraussetzungen als heute. Steigendes Verkehrsaufkommen, schwerere Fahrzeuge und der Zahn der Zeit setzen ihnen zu. Das Ergebnis: Risse, Materialermüdung, Sperrungen. Aktuelle Beispiele aus Berlin, Magdeburg und Dresden verdeutlichen, wie dramatisch die Lage ist.
Inhaltsverzeichnis
16.000 marode Brücken in Bundeshand
Nach einer Erhebung des europäischen Verbands Transport & Environment (T&E) sind rund 16.000 Brücken, die in der Verantwortung des Bundes liegen, sanierungsbedürftig. Der Gesamtbedarf für Ersatzneubauten auf allen Ebenen – Bundes-, Landes- und Kommunalstraßen – beläuft sich laut T&E auf bis zu 100 Milliarden Euro.
Viele dieser Brücken stammen aus den 1960er und 1970er Jahren. Sie wurden für eine geringere Verkehrsbelastung konzipiert. Heute müssen sie oft mehr als das Vierfache des ursprünglich vorgesehenen Verkehrs tragen. Diese Überlastung führt zu Schäden am Tragwerk, Korrosion an Spannstählen und letztlich zu akuter Einsturzgefahr.

Vorbereitung für den Abriss der Westendbrücke.
Foto: picture alliance/dpa/Michael
Berlin: Zwei Brücken auf einmal dicht
In Berlin ist der Zustand gleich mehrerer zentraler Autobahnbrücken so kritisch, dass sie im März 2025 gesperrt werden mussten. Betroffen sind die Ringbahnbrücke und die Westendbrücke auf der A100. Beide wurden im Jahr 1963 errichtet und sollten das damals vergleichsweise geringe Verkehrsaufkommen bewältigen. Die heutige Belastung übersteigt die ursprüngliche Auslegung jedoch deutlich. Allein auf der Westendbrücke waren zuletzt rund 90.000 Fahrzeuge pro Tag unterwegs – ursprünglich geplant war die Strecke für etwa 20.000 Fahrzeuge.
Die Ringbahnbrücke liegt am Autobahndreieck Funkturm – einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Deutschlands. Aufgrund eines Risses im Tragwerk, der sich rasch vergrößerte, wurde das Bauwerk kurzfristig gesperrt. Aktuell wird es stückweise abgetragen. Unter der Brücke verläuft eine vielbefahrene S-Bahntrasse, was die Arbeiten zusätzlich erschwert. Ein Teil der Brücke muss daher nicht einfach abgerissen, sondern aufwendig herausgeschoben werden, da sich direkt darunter ein Gebäude befindet. Der Schienenverkehr ruht währenddessen vollständig. Ein genauer Zeitplan für den Neubau steht noch nicht fest, die Ausschreibung läuft jedoch bereits.
Etwas weiter nördlich befindet sich die Westendbrücke. Auch sie wurde im Zuge derselben Sicherheitsprüfungen geschlossen. Der Abriss begann Mitte April. Projektleiter Christian Rohde von der zuständigen Projektgesellschaft DEGES geht davon aus, dass insgesamt rund 7.000 Tonnen Beton und Stahl abgetragen werden müssen. Zum Einsatz kommen unter anderem zwei 90-Tonnen-Bagger. Die Arbeiten laufen rund um die Uhr, auch nachts, um den Zeitverlust so gering wie möglich zu halten.

Blick auf die einsturzgefährdete Brücke am Damaschkeplatz (Aufnahme mit Drohne). Wegen massiver Schäden ist die Brücke mitten in der Innenstadt seit Dienstag gesperrt.
Foto: picture alliance/dpa/Matthias Bein
Magdeburg: Sperrung am Damaschkeplatz
Am 15. April wurde die Brücke am Damaschkeplatz, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in Magdeburg, aus Sicherheitsgründen gesperrt. Sie verbindet die Ost-West- mit der Nord-Süd-Achse der Stadt und ist damit für den Stadtverkehr von großer Bedeutung. Die Sperrung betrifft nicht nur den Autoverkehr, sondern auch Straßenbahnen, Radfahrende und Fußgängerinnen und -gänger. Der gesamte Verkehrsfluss wurde massiv beeinträchtigt.
Auslöser war eine Sonderprüfung, bei der Fachleute zahlreiche Risse und Drahtbrüche an mehreren Spanngliedern entdeckten. Die Brücke enthält sogenannten Hennigsdorfer Spannstahl, der für seine Anfälligkeit gegen Spannungskorrosion bekannt ist. Diese Form der Korrosion tritt auf, wenn Zugspannungen im Stahl und bestimmte chemische Einflüsse wie Chloride zusammenwirken. Die Folge: Risse breiten sich unbemerkt aus und schwächen das Tragwerk erheblich. Der gleiche Spannstahl wurde auch in der Dresdner Carolabrücke verwendet, die 2024 teilweise einstürzte.
Ein sofortiger Abriss der Brücke war aufgrund der Komplexität der Lage nicht möglich. Die Verantwortlichen beschlossen daher, ein Behelfsbauwerk zu errichten, um die Verkehrsverbindung zumindest teilweise aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig wird ein detailliertes Umleitungskonzept erarbeitet. Die Stadt arbeitet dabei eng mit der Landesregierung und der Landesstraßenbaubehörde zusammen.
„Wir werden mit den Fachverantwortlichen besprechen, in welchem Zeitraum wir das hinbekommen, ob es vergaberechtliche Probleme gibt oder ob wir relativ zügig eine Behelfsbrücke installieren und den Abriss der Brücke vornehmen können“, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris im Interview mit dem MDR. Einen konkreten Zeitplan für Abriss und Neubau gibt es bisher nicht.
Infobox: Spannbeton und Spannstahl
Was ist Spannbeton?
Spannbeton ist eine spezielle Form des Stahlbetons, bei der hochfeste Stahleinlagen (Spannstahl) im Beton vorgespannt werden.
Diese Vorspannung erzeugt Druckkräfte im Beton, die dessen geringe Zugfestigkeit ausgleichen. So sind größere Spannweiten und eine höhere Tragfähigkeit möglich.
Einsatzbereiche
- Brückenbau
- Hochhäuser
- Parkhäuser
- Staudämme
- Tunnel
Spannstahl: Eigenschaften und Formen
Spannstahl ist ein hochfester Stahl für die Vorspannung im Beton. Er kommt in verschiedenen Formen vor:
- Warmgewalzte Stäbe
- Kaltgezogene Drähte
- Spanndrahtlitzen (z. B. Monolitzen)
Korrosionsrisiken: Spannungskorrosion
Ein zentrales Risiko ist Spannungskorrosion. Sie entsteht, wenn Zugspannungen im Stahl auf chemisch aggressive Umgebungen treffen, z. B. durch Chloride.
Besonders anfällig sind ältere Spannstähle wie der sogenannte Hennigsdorfer Spannstahl.
Korrosionsschutzmaßnahmen
- Korrosionsbeständiger Spannstahl
- Kunststoffummantelung und Fettfüllung bei Monolitzen
- Verpressung mit Zementmörtel bei Spanngliedern mit Verbund
Wartung und Überwachung
Regelmäßige Inspektionen sowie zerstörungsfreie Prüfverfahren wie die magnetische Streufeldmessung helfen, Schäden wie Spannstahlbrüche frühzeitig zu erkennen.
Dresden: Der Einsturz als Mahnung
Der teilweise Einsturz der Carolabrücke im September 2024 war ein Weckruf. Das Bauwerk aus den 1970er Jahren überspannte die Elbe und war bis zu diesem Tag eine zentrale Verkehrsverbindung für den innerstädtischen Verkehr. Betroffen waren der Kfz-Verkehr, der öffentliche Nahverkehr, aber auch der Fuß- und Radverkehr. Die Brücke musste umgehend voll gesperrt werden.
Die Ursache lag in massiven Materialschäden, insbesondere an den Spannstählen. Fachleute stellten fest, dass sogenannter Hennigsdorfer Spannstahl verbaut worden war. Dieser Stahltyp neigt unter bestimmten Bedingungen zu Spannungskorrosion, bei der sich mikroskopisch feine Risse ausbreiten und schließlich zu einem plötzlichen Versagen führen können. Eine Sonderprüfung hatte zahlreiche Drahtbrüche offenbart.
Die Stadt musste nicht nur die Sicherheit wiederherstellen, sondern kurzfristig den Verkehr umleiten und langfristig ein Ersatzbauwerk planen. Da die Brücke in ein komplexes Verkehrsnetz eingebunden war, mussten auch angrenzende Straßen angepasst und Alternativrouten eingerichtet werden. Der Vorfall lässt sich nicht isoliert betrachten: Auch in anderen Städten wurde dieser Spannstahl verbaut. Das erhöht den Prüfbedarf im gesamten Bundesgebiet.
Sanierung braucht mehr Tempo
Das Bundesverkehrsministerium hatte 2022 ein Modernisierungsprogramm aufgelegt. 4.000 stark belastete Brücken im Kernnetz der Autobahnen sollten innerhalb von zehn Jahren saniert werden. Weitere 4.000 Bauwerke sollten folgen. Laut T&E ist das nicht genug. Die Organisation zählt allein 5.905 Brücken, die sofort ersetzt werden müssten. Weitere 10.240 könnten durch Verstärkung noch gerettet werden – aber auch das erfordert schnelles Handeln.
„Wir wissen eigentlich genau, welche Brücke schnell saniert werden muss“, sagt Benedikt Hey von T&E Deutschland. Doch die Mittel und Kapazitäten fehlen. Laut Hey sei die Autobahn GmbH inzwischen gezwungen, eine Art Triage vorzunehmen: Welche Brücken sind noch zu retten, welche haben Vorrang? Diese Priorisierung kostet Zeit – und macht die Sanierung teurer.
Stadtstaaten besonders betroffen
Besonders kritisch ist die Lage in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Hier sind viele Brücken deutlich stärker belastet als ursprünglich vorgesehen. In Nordrhein-Westfalen ist der Anteil der Brücken, die neu gebaut werden müssen, doppelt so hoch wie in Bayern. Ostdeutsche Flächenländer schneiden besser ab. Viele Brücken wurden dort nach der Wende errichtet und für höhere Lasten ausgelegt.
T&E fordert, dass der Erhalt vorhandener Infrastruktur Vorrang vor dem Neubau hat. Bund und Länder sollen Kommunen besser unterstützen. Denn oft sind es gerade die Brücken auf kommunaler Ebene, die zuerst versagen. Oppositionelle Stimmen fordern zudem eine unbürokratische Weitergabe von Mitteln aus dem Bundes-Sondervermögen an die Städte. Nur so könnten dringend notwendige Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden. (mit dpa)
Ein Beitrag von: