Dach als Luftfilter: Katalytischer Dachziegel zersetzt Stickoxide
In Großstädten sind anwachsende Stickoxid-Emissionen ein Gesundheitsproblem. Als Hauptverursacher sind u.a. Dieselfahrzeuge ausgemacht. In einigen Städten drohen deshalb Fahrverbote für ältere Fahrzeuge. Doch nun hat die Erlus AG einen titanbeschichteten Dachziegel vorgestellt, der Stickoxid aktiv entfernen soll.
Die Erlus AG hat auf der kürzlich zu Ende gegangenen BAU 2019 (14. bis 19. Januar) in München ein Verfahren zur Stickoxidreduzierung vorgestellt. Es könnte dazu beitragen, Stickoxide in Ballungsräumen wie etwa Großstädten abzubauen. Stickoxide beeinträchtigen die Lebensqualität und die Gesundheit von vielen Menschen, die in Städten leben. Der gesetzliche Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter wird in vielen deutschen (Groß-)Städten deutlich und oft überschritten, weshalb Gerichte Fahrverbote in deutschen Innenstädten ausgesprochen haben.
Das Verfahren namens „Erlus Lotus Air“ versieht Tondachziegel mit einer Titandioxidschicht. Titandioxid steckt bereits in vielen Alltagsdingen. Unter anderem hellt der Stoff Zahnpasta, Sonnencreme oder Kaugummi auf. Als Zusatzstoff E171 ist er auch in manchen Lebensmitteln zu finden. Und selbst in Kosmetikprodukten kommt Titandioxid vor. Dort trägt es die Bezeichnung CI 77891. Am häufigsten findet sich Titandioxid jedoch in Farben, Lacken und anderen Anstrichen.
Titandioxid ist photokatalytisch aktiv
Eine weitere Eigenschaft macht den Stoff auch für die Luftreinhaltung attraktiv: Titandioxid ist photokatalytisch aktiv und kann so (selbst-)reinigend wirken. Die photokatalytische Selbstreinigung bezeichnet die Eigenschaft von Materialien, die mit Photokatalysatoren wie Titandioxid beschichtet wurden. Mithilfe des Sonnenlichts können sie chemische Verbindungen wie Stickoxid katalytisch abbauen.
Im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts „PureBau – Untersuchung von Werkstoffsystemen für photokatalytisch hocheffiziente Baustoffe“ hat das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) in Braunschweig Dachziegel getestet, die mittels Erlus Lotus Air beschichtet wurden.
Stickoxid-Abbauwerte der Dachziegel praxistauglich
Die erreichten Werte für die sogenannte Depositionsgeschwindigkeit liegen demnach bei etwa 1,1 Zentimeter pro Sekunde. Die Depositionsgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, mit der Gase auf Oberflächen abgesetzt werden. Die ermittelten Stickoxid-Abbauwerte der beschichteten Dachziegel liegen nach Aussage des Unternehmens etwa viermal so hoch, wie sie für einen sinnvollen Praxiseinsatz nötig wären.
Die mit Titandioxid beschichteten Dachziegel seien damit eine weitere marktfähige Baustofflösung für die Stickstoffreduzierung in belasteten Städten, so Erlus. Zwar gebe es schon heute viele Ansätze, um die Feinstaub- und Stickoxidbelastung zu senken. Die meisten Ansätze, zum Beispiel die Elektromobilität, würden aber erst langfristig wirken, teilweise erst in 20 bis 30 Jahren, meint Peter Hoffmann, Vorstand der Erlus AG. Derzeit bleiben betroffenen Städten nur Fahrverbote als Lösung. Diese stoßen jedoch auf erhebliche Widerstände.
Photokatalytisch aktive Baustoffe als Alternative zu Fahrverboten?
Dabei gebe es bereits Alternativen zu den Fahrverboten: Städte besitzen durch die dichte Bebauung eine sehr große Oberfläche aus Baustoffen. Diese könnten effektiv genutzt werden. So könnten Baustoffe, die mit Titandioxid beschichtet wurden, bei Sonnenlicht Stickoxid in der Luft aktiv abbauen. „Solche Baustoffe können einen nachhaltigen und kostengünstigen Beitrag zur Stickoxidreduzierung leisten – ohne dass es dadurch im Stadtbild zu Änderungen kommen muss“, sagt Hoffmann.
Neben Dachziegeln kommen unterschiedliche Baustoffe in Frage, zum Beispiel Betonflächen, Pflastersteine, Fahrbahndecken, Farben oder Fliesen. Zudem können Solarmodule oder Fensterscheiben mittels Erlus Lotus Air mit Titandioxid beschichtet werden. In Deutschlands Städten werden alljährlich große Dachflächen mit Steildächern neu eingedeckt oder bestehende Dächer saniert. Würden künftig auch nur Teile dieser Flächen mit photokatalytisch aktiven Oberflächen ausgestattet, könnte das die Luft in den Städten nachhaltig verbessern, so das Unternehmen.
Ausschreibungen könnten entsprechende Baustoffe fördern
Dieses Szenario sei keine Zukunftsmusik. Denn durch gezielte Ausschreibungsvorgaben für den Bau oder die Sanierung öffentlicher Gebäude könnten die Städte den Einsatz photokatalytisch aktiver Baustoffe schon heute nachhaltig fördern, so Hoffmann. Das Verfahren könne außerdem dazu beitragen, unpopuläre Fahrverbote für Dieselautos zu vermeiden.
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