Praxis-Check BIM 01.04.2019, 14:55 Uhr

„Das Potenzial der BIM-Methode wird unterschätzt“

BIM soll Qualität-, Kosten- und Terminrisiken im Bauwesen reduzieren, doch es tut sich schwer, Fuß zu fassen. Im April startet das VDI Wissensforum deshalb ein neues Weiterbildungsangebot, den Zertifikatslehrgang „Fachingenieur BIM VDI“. Wir haben mit dem Lehrgangsleiter gesprochen.

Mann zeigt auf virtuelles Hausmodell. Schmuckbild zum BIM-Lehrgang des VDI Wissensforums

Foto: panthermedia.net/Gorodenkoff

Die Anforderungen an Gebäude steigen. Zugleich wird die Computertechnologie leistungsfähiger. Für sämtliche Aufgaben und Leistungsphasen eröffnet die digitale Planung, wie sie das Building Information Modeling (BIM) erlaubt, deshalb Chancen. Die Methode basiert auf einem objektorientierten 3D-Modell, auf das sämtliche Planungs- und Baupartner Zugriff haben. BIM bildet hier erforderliche Verfahren und Prozesse digital ab und kann so dazu beitragen, Qualitäts-, Kosten- und Terminrisiken zu reduzieren. Ziel ist, eine baubegleitende Planung zu vermeiden. Daher der Grundsatz: „Erst virtuell, dann real bauen“.

Über die Möglichkeiten des BIM und die Herausforderungen für Unternehmen und Planer, haben wir mit Christian Fieberg, Professor an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und fachlicher Leiter des VDI-Lehrgangs „Fachingenieur BIM VDI“, gesprochen.

 

Herr Fieberg, die Produktivität im Baugewerbe tritt seit Jahren auf der Stelle. Ein Problem ist, dass Informationen und Änderungen nicht ausreichend kommuniziert und dokumentiert werden. Wie kann BIM dies ändern?

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Gebäude und Infrastrukturprojekte sind auf eine lange Nutzungsdauer ausgelegt. Daher ist es naheliegend, dass die Techniken und Methoden sich hier langsamer anpassen und verändern als in anderen Industriebereichen. Im Gegensatz zur Gebäudehülle erfährt die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) jedoch im Laufe der Nutzung zahlreiche Veränderungen und Erneuerungen. Trotzdem lehnen sich die TGA-Prozesse stark an die der Bauwerke an.

In diesem Spannungsfeld ermöglicht nun das Digitale Bauen und die BIM-Methode ein integrales Vorgehen, bei dem alle Beteiligten kontinuierlich involviert und informiert sind: Ein zentrales, gewerkeübergreifendes, digitales Modell bindet unter anderem 3D-CAD-Zeichnungen, Datenbanken, Projektplänen und Checklisten ein. Dies erlaubt eine Zusammenarbeit über den Lebenszyklus einer Immobilie – ohne Informationsbrüche. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle Teilnehmer an die jeweils vereinbarten Planungsinhalte und Abläufe halten.

 

Warum tut sich BIM bei all den Chancen schwer, im deutschen Bauwesen Fuß zu fassen?

Aufgrund der Struktur der am Bau beteiligten Unternehmen ist dort nicht mit einer schnellen digitalen Transformation zu rechnen: Die Firmen sind meist inhabergeführt und haben oft weniger als fünf Mitarbeiter. Für sie stellt es eine finanzielle Herausforderung dar, eine Person zum Einarbeiten in BIM-Anwendungen abzustellen und zusätzlich Hard- und Software anzuschaffen. Außerdem ist vielen Beteiligten nicht klar, welchen Mehrwert BIM bringt, so dass die Motivation für Veränderungen gering ist. Eine Umfrage der BauInfoConsult vom bestätigt das. Sie nennt Schulung, Investitionen und BIM-Potenziale als größte Hemmnisse.

Nun will die öffentliche Hand als Vorbild vorangehen: Zum Beispiel will die Deutsche Bahn über ihre DB Station & Service AG aktuelle Projekte nur noch mit BIM planen lassen, das Bundesverkehrsministerium will dies ab 2020 tun. Die Beteiligten in den Behörden sind jedoch – genauso wie die Planungsbüros – noch nicht durchgängig in die digitale Transformation eingestiegen. Es fehlt am nötigen Wissen, die BIM-Methode und die Möglichkeiten von digitalen Gebäudedaten sinnvoll zu integrieren.

 

Welche Schulungsangebote brauchen Behörden und Unternehmen, um BIM sinnvoll nutzen zu können?

Eine zielgerichtete Weiterbildung sollte den Mitarbeitern und Inhabern der Planungsbüros zunächst Klarheit über den Schulungs- und Investitionsbedarf vermitteln. Darüber hinaus gilt es, das Potenzial der BIM-Methode aufzuzeigen. Dies kann über E-Learning und Workshops erfolgen, die kompakte Einführungs- und Aufklärungsveranstaltungen sind. Ohne sie wird die Schwelle zum Einstig in BIM, zum Beispiel für viele TGA-Planer, zu hoch sein.

Die Ansprüche an eine spätere BIM-Qualifizierungsmaßnahme sind in der VDI-Richtlinie 2552, Blatt 8.1, erstmals verbindlich für die Fortbildungsanbieter festgelegt. Sie können diese mit einer Zertifizierung verbinden. Ein ganz neues Angebot kommt beispielsweise vom VDI Wissensforum, das ab April 2019 den Zertifikatslehrgang „Fachingenieur BIM VDI“ anbietet. Bei ihm schaffen vier Pflichtteile eine gemeinsame Basis, von der aus in drei Wahlpflichtmodulen individuelle Themenschwerpunkte gesetzt werden können. Voraussetzungen für die Teilnahme sind ein ingenieurwissenschaftlicher (Fach-)Hochschulabschluss sowie drei Jahre Berufserfahrung.

 

BIM kennt verschiedene Ausprägungen. Wie können Unternehmen sie konkret nutzen?

BIM wird typischerweise in vier Hauptmerkmale unterschieden: Beim Closed BIM nutzen alle Projektbeteiligten eine gemeinsame Softwareplattform in puncto Datenverwaltung und -austausch. Das lässt sich ohne Weiteres innerhalb eines Planungsbüros oder einer Abteilung eines Generalunternehmers realisieren. Kommen aber Gewerke „von außerhalb“ hinzu, die mit anderen Programmen arbeiten, muss zwangsläufig ein offenes Datenformat genutzt werden. Solch ein Open BIM lässt sich über klar definierte Schnittstellen für den Datenaustausch realisieren. Die sogenannten Industry Foundation Classes (IFC) nach DIN EN ISO 16739 erlauben den softwareübergreifenden Datentransfer, wie er schon seit langer Zeit im Bereich der Zeichnungen mit *.dwg- oder *.step-Dateien praktiziert wird.

Beim Little BIM werden nur einzelne Gewerke mit BIM geplant, zum Beispiel zur Berechnung der Statik oder des Luftleitungsnetzes in der Klimatechnik. Big BIM schließt hingegen alle Gewerke ein. Es beschränkt sich aber meist noch auf die Leistungsphasen 1 bis 5 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – also bis zur Ausführungsplanung. Sinnvoll wäre aber, die einmal generierten Daten auch durchgängig für das Facility Management und den Rückbau zur sortenreinen Entsorgung der Baumaterialien zu nutzen.

BIM-Varianten- Quelle: Professor Dr. Christian Fieberg, Lehrgebiet Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen

BIM-Varianten-

Foto: Professor Dr. Christian Fieberg, Lehrgebiet Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen

Im kleinsten Fall entsteht mit BIM ein 3D-Gebäudemodell mit weiterführenden Daten zu den modellierten Teilen und Komponenten. Wenn die Daten so aufbereitet werden, dass eine einfache Mengenermittlung möglich ist, spricht man bereits von 4D-BIM. Wird der Datensatz auch zur Kostenermittlung genutzt, erhält man 5D-BIM. So lässt sich das BIM-Projekt in neue Dimensionen erweitern, um die Projektsteuerung zu integrieren und später die Liegenschaften mit dem Planungsmodell zu bewirtschaften. Dies setzt voraus, dass alle Beteiligen in ihren Fachmodellen arbeiten, die letztlich zu einem Gesamtmodell, dem sogenannten Koordinationsmodell, führen. Die dazugehörigen Abstimmungen übernimmt der jeweilige BIM- Manager. Ein Fachplaner muss jedoch in der Lage sein, seine Fachmodelle und Entwürfe in das Koordinationsmodell einzupflegen. Dafür erhält er Zugriff auf den Planungsstand der anderen Gewerke und kann so Kollision vorbeugen.

 

Welche BIM-Level muss ein Büro erfüllen, um am Markt erfolgreich bestehen zu können?

Das kommt auf die Projekte, die Struktur im Büro und das Geschäftsmodell an. Im internationalen Umfeld werden drei von erweiterten Funktionen unterschieden. Level 0 stellt den konventionellen Prozess dar. Er genügt für kleinere Vorhaben, wie den Umbau eines Einfamilienhauses. Level 3 beschreibt hingegen das volle Programm, das sich beispielsweise für Gewerbebauten lohnt: Objektspezifische Prozesse können über den gesamten Lebenszyklus bereits während der Planungs- und Bauphase starten, wenn die vorgeschriebenen Dokumente intelligent mit dem BIM-Modell verknüpft sind.

Folglich entfällt für den TGA-Fachplaner und andere am Bau Beteiligte dann die bisher lästige Pflicht, diese Unterlagen später für Bauherren speziell aufzubereiten und prüfen zu müssen. Sind sie bereits im Modell vorhanden, können sie bei Verwendung des IFC-Formats vom Betrieb vollständig und automatisch erkannt, importiert und validiert werden – ohne zeit- und arbeitsintensive Informationsbeschaffung und manuelle Dateneingabe bei schon laufender Nutzung.

Der Bauherr muss die Erstellung eines solchen BIM-Modells beauftragen und entlohnen. Es bringt für ihn die Sicherheit mit sich, dass die Inbetriebnahme nachweislich rechtskonform abläuft. Diesen Nachweis hat er nicht, wenn die Betreiberverantwortung erst später aufgebaut wird.

 

Welche zusätzlichen Services können Büros mit BIM bieten?

Durch die Bereitstellung eines „digitalen Zwillings“ sind Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen in die Planung integrierbar: So können Bauherren beispielsweise am 3D-Modell verschiedene Gestaltungsvarianten begutachten. Änderungen in diesen frühen Phasen beeinflussen dann nicht den Bauablauf und können zeitig berücksichtigt werden.

Auch Simulationen und Vorkalkulationen von Betriebs- und Lebenszykluskosten lassen sich bereits in der Planungsphase realisieren. Mengenermittlungen und Leistungsverzeichnisse für Ausschreibungen sind damit ebenso möglich wie die automatische Weiterführung einer Mängelliste und die Gewährleistungsverfolgung.

Gut dokumentierte Gebäude und Baustellen sorgen für einen reibungslosen und effizienten Betrieb: Regelmäßige Inspektionen und Wartungen bei der Bewirtschaftung lassen sich genauer steuern und Modernisierungen können leichter und schneller durchgeführt werden, wenn die genaue Lage eines Teils und des dort verwendeten Materials bekannt sind.

 

Welche Leitlinien oder Rahmenpläne gibt es für BIM in Deutschland?

Nationale Kriterien zur BIM-Standardisierung beschreiben die elf Blätter der Richtlinienreihe 2552 „Building Information Modeling“ des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI).

Da jeder Bau individuelle Maßarbeit ist, sind die Dokumente projektspezifisch aufzusetzen und anzuwenden. Hilfe bietet hier beispielsweise der Leitfaden „BIM“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen oder der „BIM-Leitfaden für die Planerpraxis“ vom Verband der Beratenden Ingenieure VBI.

 

Neu: Zertifikatslehrgang „Fachingenieur BIM VDI“

Der Lehrgang bietet den am Bau Beteiligten sowohl einen umfassenden Überblick als auch Vertiefungsmöglichkeiten: Vier Pflichtmodule schaffen eine gemeinsame Basis, von der aus in drei Wahlpflichtmodulen individuelle Themenschwerpunkte zu BIM gesetzt werden können. Voraussetzungen für die Teilnahme sind ein ingenieurwissenschaftlicher (Fach-) Hochschulabschluss sowie drei Jahre Berufserfahrung. Der Zertifikatslehrgang „Fachingenieur BIM VDI“ startet im April 2019 bei der VDI Wissensforum GmbH.

Ein Beitrag von:

  • Tom Frohn

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