Bau 22.10.1999, 17:23 Uhr

Der Stein lebt

Mikroben, die Stein, Metall und Farben zerstören. Mit biotechnischen Methoden wollen Forscher den Zerfall bekämpfen.

Marmor, Stein und Eisen bricht – es ist viel dran an diesem alten Spruch. Weder Steine noch Metalle sind Material für die Ewigkeit. Mikroorganismen und Kleinstlebewesen machen allem früher oder später den Garaus. Für die Prozesse, die dabei ablaufen, hat die Forschung mehrere Namen: Bioabrasion, Biodegradation, Biofouling oder biologische Verwitterung. Diese wissenschaftlichen Termini sagen es deutlich – der Zahn der Zeit ist ein biologischer Zahn.
„Steinfraß“ ist überall. Zum Beispiel am Kölner Dom. In 50 m Höhe fanden Forscher auf 10 cm2 einer Balustrade 125 feuerrote Steinmilben, die in großer Zahl auf den Biofilmen und Mikrobenmatten leben, mit denen der Stein großflächig überzogen ist. Der Kölner Dom ist gegenwärtig von schätzungsweise 10 t bis 1000 t Biomasse besiedelt. Freilich bemerken das nur wenige der jährlich vielen Millionen Besucher.
Einer davon ist Wolfgang Krumbein, Geomikrobiologe an der Universität Oldenburg, der mit seinen Mitarbeitern seit vielen Jahren biologischen, chemischen und physikalischen Prozessen, die zum Zerfall von antiken Bauwerken führen, auf der Spur ist.
Biologischer Steinfraß beschleunigt den physikalisch-chemischen Zerfall von Gesteinen um den Faktor 1000 bis 100 000. Dass es im wesentlichen anorganische Luftschadstoffe sind, die Stein, Metall oder Glas zusetzen, hat sich als Irrtum erwiesen. Die Oldenburger Forscher haben herausgefunden, dass vielmehr organische Schadstoffe in der Luft für viele der zerstörenden Mikroorganismen als Energie- und Nährstoffquelle ausreichen. Laut Krumbein steigt die organische Belastung der Luft weiter an – was die Aktivität der in stabilen Biofilmen lebenden Organismen fördert. „Als Folge ist in den vergangenen Jahren ein immer schnellerer Steinfraß zu beobachten.“
Seit langem mühen sich Denkmalschützer und Forscher, den Zerfall von Denkmälern aufzuhalten. Doch die Bemühungen sind an einen toten Punkt gekommen. Bisherige Reinigungs- und Konservierungsmethoden, beispielsweise durch Bestrahlung, Begasung, Einsatz von Bioziden oder durch schützende Anstriche, können den Zerfall im besten Fall nur bremsen, abwehren können sie ihn nicht.
Welche Prozesse und Organismen in welchem Maße am Zerfall beteilt sind, konnte die Forschung erst teilweise klären. Viele Untersuchungsmethoden erfassen beispielsweise nur oberflächliche Besiedlungen, aber keine tief im Stein siedelnden Organismen. Bei Forschungsarbeiten an Grabdenkmälern auf Berliner Friedhöfen stießen die Oldenburger jetzt auf interessante, neue Erkenntnisse:
Die Zerstörung alter Gesteine beginnt meist auf physikalisch-chemischem Weg, indem sich die biologisch besiedelten Bereiche ausdehnen und dadurch zerstörerische Spannungen im Material erzeugen.
Nicht Algen und Flechten tragen die Hauptschuld an Steinfraß, vielmehr sind die häufigsten und schädlichsten Besiedler besonders robuste und anpassungsfähige Cyanobakterien, Actinomyceten und vor allem Pilze. Die Rolle von Pilzen am Steinfraß fand in der Forschung bisher kaum Beachtung. Dabei ist ihre Zerstörungskraft enorm. Pilze drängen sich mit ihrem weit verzweigten Myzel tief ins Innere von Kalkstein, Sandstein und Marmor und entwickeln beim Wachstum Kräfte, die groß genug sind, um zahlreiche Risse und Kanälchen in den Stein zu sprengen. Pilze sind der Forschung bisher entgangen, einfach weil sie unsichtbar sind. Allerdings nicht alle. „Dass der Kölner Dom schwarz ist, liegt nicht an rußhaltiger Luft vergangener Jahrhunderte“, weiß Krumbein. Die schwarze Farbe erzeugt vielmehr ein Hefepilz.

Wissenschaftler nutzen kriminalistische Methoden

Zudem sind die eigentlichen chemischen Zerstörungsprozesse weitaus komplexer als bisher angenommen. So spielt nicht nur die Menge der Säuren, die die Organismen als Stoffwechselprodukte ausscheiden, eine Rolle, sondern vor allem auch das Ausmass der Diffusion von Gasen, Lösungen und Feuchtigkeit in den Stein.
Mehr Verständnis für die Vorgänge im Gestein erhoffen sich die Forscher von neuartigen Untersuchungsmethoden aus der Immunologie und der Molekularbiologie. Molekularbiologische, zerstörungsfreie Methoden haben zwei wesentliche Vorteile: Sie sind spitzfindiger und sie benötigen nur winzigste Probemengen – besonders wichtig bei wertvollen Skulpturen und Malereien.
Die Arbeit der Mikrobiologen ist dabei durchaus der von Kriminaltechnikern vergleichbar: Kleinste Nukleinsäuremengen der Organismen werden im Labor durch sogenannte PCR-Technik vermehrt und dann auf ihre genetische Zusammensetzung analysiert. Die Oldenburger entwickeln derzeit Methoden zur besonders exakten Gen-Analyse von Pilzen. Diese Techniken sind wichtig, da sich bestimmte Pilzarten nur schwer kultivieren und extrahieren lassen.
Ziel ist letztendlich eine Methode, mit der sich Mikroorganismen direkt auf dem Stein nachweisen lassen. So gelang es, Bakterien und Hefepilze mit Hilfe einer Fluoreszenz-markierten Gensonde zu identifizieren, womit man den Erfolg von Maßnahmen gegen den biologischen Bewuchs überprüfen kann. Da aber auch Steine und Wandmalereien selbst fluoreszieren, funktioniert die Methode in der Praxis bisher noch nicht.
„Insgesamt“, kritisiert Krumbein, „ist die Biotechnologie im Bauten- und Denkmalschutz noch längst nicht ausreichend verankert.“ Dabei helfen biotechnologische Verfahren nicht nur in der Analytik weiter, sondern liefern auch Lösungen für eine schonende Konservierung und Restaurierung alter Schätze. Diese Erfahrung machten Chemiker der Universität Hannover. Sie fanden eine enzymatische Methode, mit der sich Wandmalereien in Kirchen oder Klöstern erhalten und restaurieren lassen.
Zahlreiche Wandmalereien wurden in den 50er Jahren zur Konservierung mit Casein überpinselt. „Casein war billig herzustellen und nach dem Anstrich glänzte das Bild wie neu“, erläutert der Hannoveraner Chemiker Sascha Beutel. Heute weiß man, dass dieser Überzug den Gemälden eher schadete als nützte. Unter dem Klimastress, dem Wandmalereien ausgesetzt sind, gerät der Überzug unter Spannung, bildet Risse und platzt, teilweise mit der Farbe, ab.
Für die Entwicklung einer schonenden Reinigungsmethode, die das Casein von der Farbe ablöst, gingen die Hannoveraner Chemiker unter die Maler. Mit Eisenoxid, Menningen, Kalkweiß und Paracetamol imitierten sie antike Farben, trugen sie auf Probeplatten aus Kalkputz auf, beschichteten sie mit Casein und ließen die Platten in einer Klimakammer künstlich altern.
Unter der Vielzahl von eiweißspaltenden Enzymen fiel die Wahl auf Subtilisin, das in einer Celluloseacetatmembran immobilisiert wird. Ein Schaumstoffkissen als Träger sorgt dafür, dass das Enzym auch unebene Stellen der Oberfläche erreicht. Den Caseinabbau verfolgen die Chemiker mit Hilfe der 2D-Fluoreszenzspektroskopie. Sie nutzen dabei die Tatsache, dass die beim Abbau freigesetzte Aminosäure Tryptophan das Fluoreszenzspektrum charakteristisch verschiebt. Bisherige Test waren Erfolg versprechend: Nach 20 bis 30 Minuten zeigten die Probeplatten eine caseinfreie, glatte und unversehrte Farbschicht
Jetzt planen die Chemiker die Anwendung der Methode an Wandmalereien in niedersächsischen Kirchen. Beutel: „Letztendlich soll daraus eine Methode entstehen, die für jeden Restaurator einfach zu handhaben ist.“
CHRISTA FRIEDL
Pilze spielen beim biologischen Zerfall von Gestein eine wesentliche Rolle. Schwarze Hefen beispielsweise sind für die dunkle Färbung vieler Bauwerke verantwortlich.
An allen Statuen oder Denkmälern nagt der biologische Zahn: Oft bis tief im Stein siedeln unzählige Mikroorganismen, die sich von organischen Schadstoffen aus der Luft ernähren.
Chemiker der Uni Hannover testen im Labor ein Enzym, das schädliches Casein von Wandmalereien entfernt. Dazu imitieren sie antike Farben auf Probeplatten und prüfen die Abbaurate.

 

Ein Beitrag von:

  • Christa Friedl

    Redakteurin VDI nachrichten. Fachgebiet: Umweltpolitik, Umwelttechnologien.

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