Die Mathematik verrät, was Regen aus der Fassade spült
Fassadenputze und Mörtel enthalten häufig Schwermetalle und Biozide, die mit der Zeit ausgewaschen werden und in den Boden gelangen können. Forschende haben nun ein mathematisches Modell entwickelt, mit dem sich die Umweltverträglichkeit der Baustoffe bereits bei der Planung simulieren lässt.
Fassadenputz und Mörtel können Umweltschadstoffe wie Biozide oder Schwermetalle enthalten. Bei Regen gelangen diese in den Boden und belasten die Umwelt. Ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP hat nun ein mathematisches Modell entwickelt, welches das Auswaschen von Schadstoffen aus der Fassade vorhersagen kann. Das Modell verknüpft Messungen der Stoffe mit den meteorologischen Daten der jeweiligen Region. So lässt sich bereits in der Planungsphase ermitteln, welche Substanzen und wieviel davon ein Fassadenbaustoff bei Regen abgibt. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Universitäten und zahlreichen Partnern aus der Industrie realisiert.
Ein Viertel aller Biozide kommt im Bausektor zum Einsatz
Die Hochschule Coburg hat im Juni dieses Jahres Forschungsergebnisse zum Thema Biozide in Fassadenputzen veröffentlicht. Diese stellen ein großes Umweltproblem dar, zumal ein Viertel aller produzierten Biozide im Baubereich eingesetzt werden.
Dank hochgedämmter Fassaden sind die Oberflächentemperaturen so hoch, dass sie länger brauchen, um zu trocknen. Das feuchte Milieu ist ein idealer Tummelplatz für Algen und Bakterien. Der entstehende grün-braune Biofilm ist nicht nur optisch ein Problem, er kann auch die Fassade schädigen.
Biozide verhindern Biofilm auf der Fassade
Biozide in Farbe oder Putz verhindern zwar den Biofilm auf der Fassade, werden aber mit der Zeit vom Regen abgewaschen. So gelangen die Biozide nach und nach in den Boden und in Gewässer. Ein weiteres Problem: Die Coburger Forscherinnen und Forscher konnten auch Biozide nachweisen, die in der Landwirtschaft längst verboten sind. Solche Biozide können nicht nur wildlebende Tiere und Pflanzen schädigen, sondern durch eine verzögerte Wirkung auch die Gesundheit des Menschen gefährden.
Viele Bauherren wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie sich da an die Fassade pinseln. Oder es ist ihnen egal – Hauptsache, die Optik stimmt. Durch die Forschungsarbeiten des Fraunhofer IBP haben Planer jedoch nun die Möglichkeit zu simulieren, welche Stoffe aus dem Putz oder der Farbe herausgelöst werden und in die Umwelt gelangen. Hier besteht dann die Möglichkeit, durch alternative Bauweisen oder Baustoffe umweltfreundlicher zu planen.
So helfen zum Beispiel große Dachüberstände, damit weniger Regen auf die Fassade gelangt und somit auch wenige Biozide ausgewaschen werden. Es gibt auch Putze, die keine oder weniger Biozide enthalten. Ein weiterer Hebel ist die Bauweise. Massive Baustoffe sind zu bevorzugen, da diese sich schneller und stärker aufheizen. Es hat schon seine Gründe, warum an den massiv gebauten Gebäuden von früher kaum grüne Fassaden zu finden sind.
Ökologisches Bewusstsein steigt
Angesichts der immer deutlicher werdenden menschgemachten Umweltschäden, entwickelt sich ein immer stärker werdendes ökologisches Bewusstsein, wie auch Dr. Pablo Alberto Vega Garcia, Experte für Ökologische Chemie und Mikrobiologie in der Abteilung Umwelt, Hygiene und Sensorik am Fraunhofer IBP, anmerkt:
„Die Umweltrisiken, die durch Regenwasserabfluss von Putzen und Mörteln entstehen, haben in den letzten Jahren verstärktes Interesse geweckt. Mineralischer Putz enthält anorganische Schwermetalle wie Chrom, Vanadium und Blei, pastöse Putze enthalten Biozide. Unser thermodynamisches Modell gibt Auskunft über die Stoffkonzentration im abfließenden Regenwasser. Da die Wetterdaten der Region und die Rezeptur des jeweiligen Baustoffs in die Berechnung einfließen, ist das Modell sehr detailreich und aussagekräftig“.
Laut Auskunft des Forschungsteams haben Bauherren, Planer und Architekturbüros damit erstmals die Möglichkeit, schon bei der Planung die Umweltverträglichkeit der in Frage kommenden Fassadenputze zu bewerten. Außerdem könnten Hersteller von Putzen und Mörtel das mathematische Modell dafür nutzen, umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln.
Zehn Jahre Forschung und Freilandversuche
Mehr als zehn Jahre lang untersuchten Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IBP am Standort Holzkirchen in Freilandversuchen das Auslaugen von Schadstoffen aus Putzen und Mörteln. Dazu wurden Proben mit unterschiedlichen Rezepturen jeweils 18 Monate lang der Witterung ausgesetzt. Nach jedem Regenschauer analysierte das Forschungsteam das abfließende Wasser im Labor auf relevante Schadstoffe untersucht.
Die Ergebnisse verknüpften sie mit meteorologischen Daten wie Regenmenge, Windstärke und -richtung, Temperatur und Sonneneinstrahlung. Zusätzlich wurden Laborversuche unter definierten Bedingungen durchgeführt. So entstand eine umfangreiche Datenbank mit Datensätzen zu den Konzentrationen der ausgewaschenen Stoffe, den meteorologischen Bedingungen sowie den Inhaltsstoffen der untersuchten Proben.
Dreistufiges thermodynamisches Modell
„Mit diesen Daten haben wir ein dreistufiges thermodynamisches Modell entwickelt“, erläutert Vega Garcia. „Im ersten Level messen wir, wieviel Regenwasser von der Fassade abläuft. Da bei Starkregen nur ein Teil des Wassers als Film von der Fassade abfließt, ein anderer Teil des Wassers von der Wand abprallt und ein weiterer von der Fassade absorbiert wird, ist diese Unterscheidung wichtig, um genaue Ergebnisse zu bekommen. Wetterdaten und Materialeigenschaften werden hier ebenfalls berücksichtigt“.
Vega Garcia weiter: „In Stufe 2 werden für jede Probe die Konzentrationen von Schwermetallen im abgeflossenen Wasser gemessen und quantifiziert. Dabei haben sich aufgrund ihrer hohen Konzentrationen Vanadium, Chrom und Blei als relevante Stoffe herausgestellt. Darauf folgt schließlich in Level 3 eine Sickerwasser-Prognose zur Abschätzung der Konzentration an einem definierten Ort der Beurteilung“.
Der große Vorteil des Fraunhofer-Modells zur Bewertung der Umwelteigenschaften von Fassadenputzen: Es lässt sich bereits in der Planungsphase einsetzen. Solange die Schadstoffkonzentration unter der sogenannten Geringfügigkeitsschwelle liegt, ist die Belastung für die Umwelt unbedenklich. Die Bewertung der Umweltkonformität erfolgt dabei anhand der Grenzwerte der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA).
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