Durchbruch am neuen Panamakanal
Unter Hochdruck baut das Land Panama seinen berühmten Kanal aus, damit auch die größten Containerschiffe der Welt ab 2014 das Nadelöhr zwischen Atlantik und Pazifik passieren können. Dank neuer Schleusensysteme soll die geplante Verdoppelung des Schiffsverkehrs ohne zusätzlichen Wasserverbrauch auskommen. Ein Besuch bei Mittelamerikas größtem Infrastrukturprojekt.
Die Aussichtsplattform bietet einen atemberaubenden Rundblick. 10 km gen Norden verschmilzt der Atlantik mit dem Horizont, gen Süden kreuzen Containerschiffe auf dem Gatunsee – dem Herzen des Panamakanals. Dazwischen breitet sich die riesige Baustelle aus, die beide Wasser künftig neu miteinander verbinden soll, um den Seeverkehr von morgen durchs Land zu lassen.
Die Baufahrzeuge in 50 m Tiefe wirken wie Spielzeugautos und die Arbeiter wie Ameisen. Deren grelle Sicherheitswesten blinken in der Sonne. Die Maschinen haben sich mehr als 20 m tief in das Gestein gefressen. Von hier oben sind die groben Strukturen der künftigen Schleusenkammern gut zu erkennen.
55 m breit sollen sie werden und damit deutlich größer als die existierenden drei Schiffshebewerke, die hinter der Riesenbaustelle – dort, wo gen Westen die immergrünen Tropenwälder beginnen – kaum mehr zu entdecken sind. „Hier werden auch die neuesten Schiffe der Post-Panamax-Klasse ein- und ausfahren können“, sagt Mariaeugenia Ayala von der staatlichen Kanalbehörde ACP und meint damit jene Container- und Passagierschiffe, die von ihrer Breite und ihrem Tiefgang her nur knapp oder gar nicht mehr durch den Panamakanal passen.
Die Koordinatorin für den Umweltschutz des Ausbauprojekts zeigt auf die mobile Betonfabrik unten auf dem Gelände. „Die Arbeiter werden in Kürze mit den Fundamenten für die Schleusen beginnen. Damit liegen wir im Zeitplan.“
2014 soll es so weit sein. Dann wird der Name „Post-Panamax“ keinen richtigen Sinn mehr machen. Die drei Kammern der neuen Schleusen werden mit mehr als 18 m tief genug sein, um endlich auch die neuesten Containerriesen passieren zu lassen, deren Anteil an der Welthandelsflotte stetig wächst. Die existierenden sechs Panama-Schleusen, die auch in Zukunft weiter in Betrieb sein werden, sind mit 35 m Breite und gut 12 m Tiefe zu eng und zu flach. Die neuen Riesencontainerschiffe verfügen laut ACP-Expansionspapier bei einer Länge von mehr als 360 m über eine Breite von 49 m und einen Tiefgang von 15 m.
Unten herrscht ohrenbetäubender Lärm. „Das sind die größten Baufahrzeuge, die je in Panama eingesetzt worden sind“, ruft Ayalas Kollege Angel Tribaldos. Die Giganten vom Typ Caterpillar 785 können bis zu 150 t Material transportieren. Sie jagen im Akkord über die Schotter- und Lehmpisten. Wer zu Fuß geht und unachtsam ist, riskiert sein Leben.
Noch extremer als der Lärm ist der Staub. An den Kreuzungen, wo die Fahrzeuge aus verschiedenen Bauabschnitten zusammentreffen, stehen vermummte Arbeiter und regeln mit Flaggen den Verkehr. Einer brüllt durch das Tuch vor seinem Mund erklärend, der Staub dringe sonst in jede Pore ein. Nur seine Augen liegen einen Spaltweit frei.
Gestikulierend versucht sich Tribaldos verständlich zu machen. Der Biologe ist für die Tierwelt auf den ausgebaggerten Terrains und ihren Randzonen zuständig. „Mehr als 3000 Exemplare haben wir bisher eingefangen, um sie in Naturparks zu bringen“, sagt er. Gegen das grelle Sonnenlicht hat er eine tiefschwarze Sonnenbrille aufgesetzt. „Affen, Schildkröten, Schlangen, Krokodile und Ozelots.“
Refugien für Wildtiere gibt es trotz der weit fortgeschrittenen Bauarbeiten hier immer noch. Wie zum Beispiel jenseits der äußeren Schleusenwand, wo sich drei kleine Tümpel verbergen. Das sind die Überreste von Versuchen der USA, bereits Anfang der 40er-Jahre den Kanal zu erweitern. Während der mehr als 60 Jahre konnten sich in der brütenden Tropenhitze artenreiche Biotope bilden, die künftig zu neuen Rückhaltebecken ausgebaut werden.
Wo die Bauarbeiten abgeschlossen sind, kehren Pflanzen und Gräser zügig zurück. Mit dem Geländewagen geht es aus der umtriebigen Baustelle an zahllosen Sperren und Sicherheitskontrollen vorbei in Richtung Kanal.
Tribaldos lässt den Wagen stehen. Ein paar Meter zu Fuß, dann kann er über die Landspitze blicken, wo sich die Zufahrt zur neuen Atlantikschleuse vom bisherigen Kanal trennt. Noch endet sie in der Sackgasse vor einer Gesteinswand, hinter der die Bauarbeiter in der Schleuse hämmern und bohren.
Der Baulärm dringt nur gedämpft ans Ohr, dafür ist das Flügelrauschen auffliegender Gänsegeier ganz nah. Das ruhige Wasser schimmert grünlich. Nur ein paar Baggerschiffe auf Pontons lassen erahnen, dass es noch etwas zu tun gibt. Die Grasnarbe des neuen Damms erstrahlt in saftigem Grün und erinnert an die Elbe im Frühjahr. Nur die Temperaturen von 35 °C passen nicht in dieses Bild.
Der Durst des Kanals ist gewaltig. Für die rund 80 km lange Passage mit sechs Staustufen werden pro Schiff derzeit gut 200 Mio. l benötigt. Bisher fließt das Wasser bei jeder Absenkung komplett in Richtung der Ozeane ab. Fünf solcher Fahrten verbrauchen genauso viel Trinkwasser wie täglich die rund 2 Mio. Menschen, die im Großraum des Kanals leben.
Auch wenn der Wasserbedarf der beiden neuen Schleusenpaare wegen ihres höheren Volumens größer ist: 60 % sollen über Rohrsysteme am Fuße der Schleusen in nebenan liegende Reservoirs gedrückt und damit eingespart werden. „Die neuen Schleusen werden künftig 7 % weniger Wasser als die alten verbrauchen“, rechnet Ayala vor. Die erwartete Verdoppelung der Schiffstransporte sei in jedem Fall ohne weitere Wasserquellen zu schaffen.
Neben den neuen werden auch die alten Schleusen weiter gebraucht, weshalb etwa die Hydraulikzylinder, die die Tore heben und senken, erneuert werden müssen. Sonst könnten sie dem künftigen höheren Wasserdruck durch die Anhebung des Wasserspiegels des Gatunsees nicht mehr standhalten.
Die meiste Arbeit gibt es noch am Pazifik. Eine Stunde dauert die Fahrt von der Atlantikbaustelle über die Autobahn, bis die Skyline von Panama-Stadt hinter einem Berg auftaucht. 20- bis 40-stöckige Hochhäuser wachsen wie Riesenvögel in den dunstigen Himmel. Eine Abfahrt: Dann ist die größte Baustelle des Projekts erreicht.
Am Pazifikeingang des Kanals krempeln mehr als 1000 Arbeiter seit 2007 die Landschaft um. Anders als auf der Atlantikseite werden hier zugleich Deponien zur Lagerung des abgebauten Gesteins geschaffen, teilweise indem der kontaminierte Boden benachbarter ehemaliger US-Truppenübungsplätze abgetragen wird.
Die Eingriffe sind gewaltig: Der einst 146 m hohe Berg Paraiso, der vor drei Jahren noch die Sicht in Richtung Pazifik versperrte, ist verschwunden, mehr als 7 Mio. m3 Gestein abgebaut. Der Rio Cocolí wurde über 3,5 km umgeleitet, ein neues Straßensystem inklusive einer geteerten Zufahrtsstraße von 5,4 km angelegt. Die ökologische Begleitung der Arbeiten ist angesichts dieser Dimensionen mehr als wichtig.
Umwelt-Koordinatorin Ayala trifft hier ihre Kollegen Yafá Melamed und Luis Castaneda. Sie holen eine große Karte hervor, auf der die sensiblen Punkte verzeichnet sind. Etwa die künstlichen Kanäle, die das Regenwasser aus der Baustelle abführen und die regelmäßig kontrolliert werden müssen.
Die Fahrt mit dem Jeep führt im Zickzack über die Baustelle. Links und rechts wachsen sandige Hügel in Terrassen in die Höhe. „Das schützt die Berge vor der Erosion“, erklärt Melamed, die sich die langen braunen Haare unter den Helm klemmt. „Genau wie die schnell wachsenden Gräser darauf.“ Wie wichtig das ist, zeigt die Vergangenheit. Vor mehr als 100 Jahren endete der erste Versuch einen Kanal in Panama zu bauen damit, dass die unbefestigten Ränder der Baustellen durch den Regen abrutschten und die Arbeiter unter sich begruben.
Castaneda lenkt den Geländewagen auf eine Anhöhe, um einen Überblick über den Zustand der Riesenbaustelle zu bekommen. Für einen Moment lässt er die Karte sinken. „Ein schöner Arbeitsplatz“, sagt er und zeigt auf die Miraflores-Schleuse, die nur einen Steinwurf von der Baustelle entfernt ist.
Gerade ziehen die kleinen grauen Zuglokomotiven mit ihren Stahlseilen ein Containerschiff in die 100 Jahre alte Staustufe. Nach Süden wandert der Blick zur Stahlkonstruktion der Amerikastraßenbrücke, in der Ferne glitzert der Pazifik. In zwei Jahren soll aus der Baustelle die größte Pazifikschleuse Amerikas geworden sein. Dann dürfte der Ausblick für Castaneda wohl noch viel beeindruckender sein. OLIVER RISTAU
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