Gebäude als Rohstofflager: Heidelberg will nachhaltiger bauen
Die Stadt Heidelberg hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie will eine Blaupause für klimafreundliches Bauen liefern. Das soll dank eines Gebäude-Materialkatasters gelingen, in dem bestehende Gebäude mit ihren Rohstoffen analysiert, geclustert und am Ende als Rohstofflager genutzt werden können.
Beton, Stahl, Holz oder Kunststoff landen ebenso auf Deponien oder als Füllmaterial im Straßenbau. Doch gerade diese Materialien werden dringend benötigt und sind zudem auch richtig teuer geworden. Sie zu nutzen und zum Beispiel in eine Art Kreislaufwirtschaft einzubinden, wäre mehr als sinnvoll. Schließlich machen diese Bau- und Abbruchabfälle rund die Hälfte des Abfalles aus, der in Deutschland entsteht.
Recyclingbeton, Carbonbeton, Baubetrieb und Geothermie
Genau dieses Problems nimmt sich die Stadt Heidelberg in Form eines Pilotprojekts an: „Circular City – Gebäude-Materialkataster für die Stadt Heidelberg“. Ziel ist es, Bestandsgebäude als Rohstofflager zu nutzen. Die Stadt will damit Pionier in der Kreislaufwirtschaft werden. Unterstützung erhält die Stadt von dem ortsansässigen Unternehmen HeidelbergCement AG und dem Umweltberatungsinstitut EPEA, das auch die Material-Plattform Madaster konzipiert hat. Diese Plattform stellt die Basis für das Projekt.
Materialkataster soll Informationen liefern, damit nachhaltiger gebaut werden kann
Die Stadt Heidelberg hat es sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden. Gleichzeitig soll der Energiebedarf der Kommune bis dahin um die Hälfte sinken. Erster Bürgermeister Jürgen Odszuck ist sich sicher, das nur zu schaffen, wenn man sich mit dem enormen Energie- und Ressourcenverbrauch beschäftige. Deshalb soll ein digitaler Materialkataster darüber Auskunft geben, welche Materialien in welcher Qualität und Menge beim Bau von Gebäuden verwendet wurden. „Basierend auf diesen Informationen lassen sich beispielsweise Deponien und Aufbereitungsflächen entsprechend planen und eine regionale Wertschöpfung durch regionale Lieferketten und neue Geschäftsmodelle anstoßen. Das verringert die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen oder lange Transportwege“, sagt Odszuck.
Als Basis des Katasters dient ein sogenannter Urban Mining Screener, entwickelt vom EPEA-Institut. Dieses Programm soll mithilfe von Gebäudedaten wie Bauort, -jahr, Gebäudevolumen oder -typ die materielle Zusammensetzung schätzen und auf Knopfdruck ein Ergebnis liefern. Als erstes haben sich die Projektpartner die ehemalige Wohnsiedlung für Angehörige der US-Armee herausgepickt. Das Patrick-Henry-Village ist etwa 100 Hektar groß und könnte Raum für 10.000 Menschen und 5.000 neue Arbeitsplätze bieten. Aktuell stehen auf der Fläche noch 325 Gebäude. Sie müssten entweder abgerissen oder saniert werden. Und genau damit seien sie ein wertvolles Rohstofflager – so hat es der Urban Mining Screener zumindest berechnet. 465.884 Tonnen Material böte das Patrick-Henry-Village. Die Hälfte davon sei Beton, ein Fünftel Mauersteine und etwa 5% Metalle.
Nachhaltiger bauen: Viele Materialien lassen sich wiederverwenden
Die Bewertung des Patrick-Henry-Village soll der erste Schritt sein. Danach plant die Stadt Heidelberg das Kataster auf alle Gebäude in Heidelberg auszudehnen. Schließlich könne es sich niemand mehr leisten angesichts von Klimakrise, Rohstoffmangel und steigenden Energie- und Entsorgungskosten sowie Baupreisen, recyclebare Materialien einfach wegzuwerfen. Für ganz Deutschland gehen Experten davon aus, dass die Rohstoffsubstanz von Gebäuden bei etwa 15 bis 16 Milliarden Tonnen liege. Das entspräche umgerechnet 190 Tonnen pro Person.
Dabei lassen sich nicht nur Stahl und Kunststoff wiederverwenden. Auch Beton ist möglich. Gerade bei diesem Material entstehen viel CO2-Emissionen, da das Bindemittel im Beton, der Zement, technologisch bisher noch nicht anders herstellbar ist. Das Unternehmen HeidelbergCement hat deshalb eine Möglichkeit gefunden, den Lebenszyklus der Bestandteile des Betons zu verlängern. „Wir wollen Abrissbeton durch neuartige Verfahren zerkleinern, sortenrein in seine Bestandteile trennen und ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder in den Baukreislauf zurückführen“, sagt Thomas Wittmann, Geschäftsführer der HeidelbergCement-Tochter Heidelberger Sand und Kies.
Nachhaltiges Bauen braucht gute Grundlage
Interessant wird es, wenn die Projektpartner das Kataster auf Bestandsbauten ausweiten. Sie gehen davon aus, dass die Daten nur mit aufwendiger Recherche vor Ort zu erfassen sind. Denn im Gegensatz zu Neubauten liegen sie kaum in digitaler Form vor. Möglicherweise müsse man auch auf Schätzverfahren zurückgreifen. Darüber hinaus planen die Partner in das Kataster noch weitere Informationen zu integrieren: Energieverbrauch im Gebäudebetrieb, Mietkosten oder Flächenbedarf sind im Gespräch. Denn das schaffe nicht nur Transparenz in puncto Gebäudebestand, sondern biete auch eine bessere Grundlage, sich für nachhaltiges Bauen zu entscheiden. Und genau das betrachtet Bürgermeister Jürgen Odszuck als Blaupause für klimafreundliches Bauen in anderen Städten Deutschlands und Europas.
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