Mehrgenerationen-Wohnen liegt voll im Trend
Baugemeinschaften liegen im Trend. Immer häufiger tun sich Menschen zusammen, um ihre Träume von den eigenen vier Wänden und nachbarschaftlichem Wohnen zu realisieren. Sie werden dabei von Kommunen unterstützt, die erkannt haben, dass die Pflege der Innenstädte genauso wichtig ist, wie das Bauen im Grünen – ein Beispiel aus Bochum.
Manfred Walz ist zufrieden. Endlich hat er sein Ziel erreicht. Ende Juni ist der letzte Bewohner in das Mehrgenerationenhaus buntStift an der Stiftstraße in Bochum eingezogen. Die Außenanlagen sind zwar noch nicht ganz fertig, doch der Umbau des ehemaligen Altenheims ist weitgehend abgeschlossen.
28 Anläufe hat der inzwischen 71-jährige Architekt und Stadtentwickler genommen, bis er mit dem 2007 initiierten buntStift-Projekt erfolgreich war. „Entweder haben wir das gewünschte Grundstück nicht bekommen oder die Finanzierung scheiterte“, sagt Walz.
Vor vier Jahren hat es dann geklappt. Doch auch diesmal waren zahlreiche Hürden zu nehmen. „Der größte Knackpunkt war die Finanzierung“, erläutert Walz. Als die Stadt Bochum schließlich bereit war, das Grundstück in Erbpacht zu vergeben, war der Durchbruch geschafft. „Es hat letztendlich nur funktioniert, weil auch die Stadt das Projekt wollte“, kommentiert Wolfgang Kiehle, Experte für Mehrgenerationenprojekte bei der Wohnbund Beratung NRW in Bochum. Der Sozialwissenschaftler hat das buntStift-Projekt von Anfang an betreut und die Wohngruppe bei der Finanzierung beraten.
NRW-Städte fördern zunehmend Mehrgenerationen-Projekte
Mehrgenerationen-Wohnen liegt im Trend. Neben der Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Menschen kostengünstiger bauen zu können – Einsparungen von bis zu 20 % sind laut Experten durchaus möglich – lockt die meisten Menschen die Aussicht auf Nähe. „Die Angst vor Einsamkeit im Alter hat deutlich zugenommen“, so Kiehle.
Vor zehn Jahren war Nordrhein- Westfalen beim Thema „Wohngemeinschaften“ noch Entwicklungsland. „Inzwischen hat die Zahl der Projekte in den Großstädten Köln, Düsseldorf und im Ruhrgebiet deutlich zugenommen“, weiß Angelika Simbriger vom koelnInstitut iPEK, die sich auf die Moderation von Baugemeinschaften spezialisiert hat.
Städte im Norden und Süden Deutschlands haben mehr Erfahrung mit der alternativen Wohnform. Berlin, Hamburg, Freiburg, Tübingen und München gehören zu den Pionieren auf dem Gebiet. Dort haben die Planungsämter schon früh erkannt, dass eine Entwicklung der Innenstädte genauso wichtig ist wie das Bauen auf der grünen Wiese. Weiterer Vorteil für die Kommunen: „Mehrgenerationenprojekte bringen einen Imagegewinn“, sagt Günther Horzetzky, Staatssekretär im Bauministerium NRW. Kommunen werden damit attraktiver für Fachkräfte.
In fast jeder Stadt gibt es Flächen und Immobilien, die ungenutzt sind. Für private Investoren sind sie oft wenig geeignet. „Für Baugruppen aber sind sie ideal“, sagt Ulla Schreiber, die als Stadtplanerin und Baubürgermeisterin in Tübingen an der Umwandlung eines ehemaligen Kasernengeländes in der Südstadt sowie des Französischen Viertels in lebendige Stadtteile beteiligt war. Menschen, die sich ihren eigenen Wohn- und Lebensraum erschaffen wollen, seien viel kreativer und flexibler als Wohnungsbaugesellschaften, für die vor allem der Profit stimmen müsse.
Auch das buntStift-Gebäude in Bochum-Langendreer stand mehrere Jahre leer. Bis 2005 war hier das Kaiser-Wilhelm-Stift untergebracht. Gut zwei Jahre hat die Gruppe geplant und mit Projektberater Kiehle gerechnet. Architekten haben Gutachten über die Bausubstanz erstellt, Pläne gezeichnet und die Bausumme berechnet: Rund 2,7 Mio. € sollte das Projekt kosten.
Weitere zwei Jahre hat es gedauert, bis die alten Gemäuer von 1888 mit Anbauten aus den 70er-Jahren in ein Mehrgenerationenhaus verwandelt waren: Wände wurden abgerissen und neu gezogen, Außenwände isoliert und angestrichen. Insgesamt sind 21 Wohnungen in Größen zwischen 47 m2 und 120 m2 entstanden.
Dem Dortmunder Architektenbüro Post-Welters, das den Umbau geplant und begleitet hat, war es wichtig, möglichst viel von der Struktur der bestehenden Gebäude zu erhalten. Sie haben sich dabei aber eng an die Vorgaben der buntStift-Initiatoren gehalten. Die hatten klare Vorstellungen, wie das gemeinschaftliche Wohnen aussehen sollte: Eine Mischung aus Freiraum und Nähe. Jeder muss sich in die eigenen vier Wände zurückziehen können. Andererseits laden Gemeinschaftsräume und die Piazza vor dem Haus dazu ein, freundschaftliche Kontakte zu schließen und zu pflegen.
Als Organisations- und Finanzierungsform haben sich die buntStift-Initiatoren für eine Genossenschaft entschieden. Die neu gegründete Dachgenossenschaft heißt Wohn-Raum eG. Ihr gehört das Haus und sie vermietet die Wohnungen. Alle Bewohner sind gleichberechtigt, Mieter und Vermieter zugleich.
„Vor allem alleinerziehende Frauen und Familien mit Kindern haben sich gemeldet“
Die „Wohn-Raum-Genossen“ in Bochum mussten zusätzlich zur Miete eine Einlage von 410 € pro Quadratmeter zahlen. Wer nicht genug auf der hohen Kante hatte, wurde von anderen Genossen mit Darlehen unterstützt.
Doch allein mit dem Eigenkapital und den vielen Eigenleistungen der Baugemeinschaft wäre die Finanzierung des Projekts nicht möglich gewesen. Hinzu kamen Wohnungsbauförderungsmittel des Landes in Höhe von 800 000 € und KfW-Kredite von 900 000 €.
Frei von finanziellen Risiken ist auch das Bauen mit einer Genossenschaft nicht. Wenn die Baukosten falsch kalkuliert wurden oder die Bausubstanz nicht hält, was der Architekt versprochen hat, kann es eng werden. „Ist die Bauphase jedoch erst einmal überstanden, dann ist die Bewohnergenossenschaft langfristig eine kostengünstige und nachhaltige Lösung zur Absicherung eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts“, weiß Kiehle aus langjähriger Erfahrung.
Das Interesse an dem Mehrgenerationenprojekt in Bochum war von Anfang an groß. „Vor allem alleinerziehende Frauen und Familien mit Kindern haben sich gemeldet“, so Sinie Hammink, die seit Beginn des buntStift-Projekts dabei ist.
Aber einfach war es dennoch nicht, die Wohnungen zu vermieten. „Die Menschen, die hier einziehen, müssen ja auch das gemeinschaftliche Wohnen mögen und zu den anderen passen“, sagt die 63-Jährige. Zudem komme es auf den richtigen Altersmix an. Schließlich haben sie dann doch zueinander gefunden, die 28 Erwachsenen, die nun mit 21 Kindern, vier Katzen und einem Hund unter einem Dach wohnen – vier Generationen im Alter zwischen 2 und 87 Jahren, von der allein stehenden Rentnerin bis zur Familie mit fünf Kindern.
Mehrgenerationen-Wohnen bedeutet ein anderes Zusammenleben als in einer normalen Nachbarschaft
„Es ist ein anderes Zusammenleben als in einer normalen Nachbarschaft“, sagt Sinie Hammink. Das Arbeiten während der Bauphase hat die Menschen zusammengeschweißt. Während die Jüngeren den Putz abschlugen, haben sich die Älteren um die Kinder gekümmert oder das gemeinsame Essen vorbereitet.
Gemeinschaft wird auch heute noch groß geschrieben: Geburtstage werden zur Hausparty und die Nachbarin bei Bedarf zur Ersatzoma. Ein Gemeinschaftshaus steht für die Gruppenaktivitäten zur Verfügung. Neben eigenen Festen wollen die buntStift-Bewohner künftig auch mit kulturellen Veranstaltungen und Kursen Kontakte in der Nachbarschaft knüpfen.
„Jeder kennt hier jeden, gerade für die Kinder ist es eine Bereicherung, jeden einfach ansprechen zu können“, ergänzt Handan Sahin. Die alleinerziehende Mutter genießt es, dass sich ihre Tochter in der Hausgemeinschaft so wohl fühlt. „Wenn Ronja nachmittags nach Hause kommt, findet sie immer gleich Freunde, mit denen sie spielen kann.“
Doch es gibt auch Konflikte. Gerade in der Bauphase lagen manchem Bewohner die Nerven blank. Doch Probleme seien da, um gelöst zu werden, meint Sahin. Spätestens bei den Montagsrunden, die alle 14 Tage stattfinden, gebe es die Gelegenheit miteinander ins Reine zu kommen. „Das klappt bislang prima“, so die 37-Jährige.
Kaum war das buntStift bezogen, meldeten sich bereits Interessenten für ein weiteres Projekt. „Vielleicht entsteht ja auf dem Grundstück nebenan bald das nächste Mehrgenerationenhaus“, hofft Manfred Walz. Die Wohngemeinschaft habe jedenfalls großes Interesse daran. Je größer das Projekt, desto einfacher sei es, die individuellen Wünsche der Genossenschaftsmitglieder zu berücksichtigen. Wenn beispielsweise Kinder ausziehen und die Bleibe zu groß wird, könnten untereinander leichter Wohnungen getauscht werden.
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