Bauprojekte 02.11.2012, 19:55 Uhr

Neue Wildspitzbahn: Eine atemberaubende Baustelle

Die neue Wildspitzbahn führt auf Österreichs „Belle-Etage“. Die höchste Seilbahn schwebt zum höchst gelegenen Café des Landes. Der organisch wirkende Bau mit seiner meterweit über den Abgrund ragenden Terrasse bietet ein spektakuläres Alpenpanorama. Die Leichtigkeit hier oben ist hart erarbeitet. Bei den Bauarbeiten im kurzen Gletschersommer sind Planer und Monteure wiederholt an Leistungsgrenzen von Mensch und Maschine gestoßen.

Die Wildspitzbahn führt zum höchst gelegenen Café Österreichs.

Die Wildspitzbahn führt zum höchst gelegenen Café Österreichs.

Foto: Werkfoto

Jetzt fühlt es sich doch etwas mulmig an. Die Gondel hat gerade die höchste von insgesamt zwölf Stahlstützen passiert, die das Seil der neuen Wildspitzbahn führen. „Stütze“ klingt irgendwie niedlich für diesen 37 m hohen Turm, der wohl auch eine Windturbine tragen würde. Das Beunruhigende sind aber nicht die 37 m, sondern der hunderte Meter tiefe, felsige Steilhang, den die Gondel nun bis zur nächsten Stütze überqueren muss. Gottlob geht es mit 6 m/s zügig voran.

Nach kaum 6-minütiger Fahrt entlang des Pitztaler Gletschers sind die 600 Höhenmeter von der neuen Talstation zur Spitze des hinteren Brunnenkogels geschafft. Hier oben ist in den letzten Monaten die Bergstation samt „Café 3440“ aus dem Felsen gewachsen – zumindest sieht der runde, pilzartige Bau nun im winterlichen Alpenpanorama fast wie naturgegeben aus. Nichts deutet mehr hin auf Hubschrauber, Bagger und Kräne, auf die vielen Sprengungen und die Montagetrupps, die hier seit April im Dauereinsatz waren – und teilweise noch sind.

Immer wieder versuchen Ski- und Snowboard-Fahrer, die die 8-Personengondeln kaum zwei Wochen nach Betriebsstart unablässig hier hinauf befördert, Blicke ins Innere des Neubaus zu erhaschen. Doch es ist noch nicht so weit. Monteure und Tischler erledigen letzte Handgriffe. Drei Mann hieven gerade einen gut 5 m langen, geschwungenen Edelstahlhandlauf auf die halbrunde Empore über der ebenso halbrunden, eichengetäfelten Theke. Auch der Boden ist mit Eichenparkett ausgelegt. Einige Meter tiefer tut sich ein Abgrund auf. Der Fels endet unter der Theke. Gastraum und Terrasse hängen am Berg abgestützt in der Luft. Doch das ist beim Anblick des spektakulären Alpenpanoramas hinter den Glasfronten sofort vergessen. Beim Blick hinab sind Skifahrer zu erahnen – winzige Punkte, die sich nur schleichend vorwärts bewegen.

Atemberaubend ist nicht nur der Ausblick, sondern auch die dünne Luft. Betriebsleiter Reinhold Streng hat in den letzten Monaten mehrfach erlebt, wie auch durchtrainierte junge Monteure das Segel streichen mussten. „Brutal anstrengend“ sei schwere körperliche Arbeit in dieser Höhenlage, berichtet der gemütlich wirkende Mittvierziger, dessen Handy beim Gespräch im Minutentakt bimmelt. Er kennt es nicht mehr anders. Bei ihm liefen die Fäden der Baustelle zusammen. Oder besser der Baustellen. „Wir haben schon zwei Wochen vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten im April begonnen, eine Versorgungsstrecke auf dem Gletscher zu präparieren“, erklärt er. Bis zu 3 m tief trug sein Team weichen Schnee ab, verfüllte teils Gletscherspalten damit oder lagerte ihn auf riesigen Haufen. Mit Vlies abgedeckt überstehen diese den Sommer.

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Baustelle Wildspitzbahn: Immer wieder sind schwere Fahrzeuge auf der Eiszunge eingebrochen

„Die Zufahrt über den Gletscher war neben einer eigens aufgebauten Materialseilbahn die zentrale Lebensader der Baustelle“, so Streng. Trotz aller Vorarbeiten sind die schweren Fahrzeuge wiederholt auf der Eiszunge eingebrochen. Pistenraupen mussten sie dann mit vereinten Kräften hinausziehen. Hunderte Tonnen Stahl, Glas und Beton haben die Österreicher nach und nach auf den Gipfel geschafft – nachdem sie die veraltete Seilbahn, die hier hinaufführte, demontiert hatten. Ein Neubau wäre kaum genehmigt worden. Doch bei der Modernisierung im gut erschlossenen Skigebiet haben die Behörden mitgespielt. Allerdings unter der Bedingung vielfältiger Gutachten und Auflagen. Geologen legten fest, wo und wie die Fundamente für die Stationen und Stützen zu setzen waren. Die Antriebe der Seilbahn mussten die Planer mehrfach redundant auslegen, jede Gondel mit einer Einsprechanlage versehen, Brandschutz- und Sicherheitsauflagen erfüllen und lückenlose Konzepte für die Ver- und Entsorgung vorlegen.

Streng erklärt all das beim Rundgang durch die Technikräume im Untergeschoss. Eine ganze Batterie von Frisch- und Abwassertanks mit knapp 10 000 l Kapazität ist darin aufgereiht. Daneben ein etwa 2 m langer verchromter Metallkörper, in den Wasserrohre münden. „Unsere UV-Anlage, mit der wir das Trinkwasser aufbereiten“, erklärt er. Gespeist wird sie aus einem Gletschersee neben der Talstation.

Das Abwasser wird gesammelt und dann in einem großen Schwall durch ein Rohr in einem Zwischenspeicher auf 2840 m entlassen. So friert es auch bei Temperaturen bis -30°C, die hier oben häufig herrschen, unterwegs nicht ein. Mit Abwässern des Gletscherrestaurants auf 2840 m geht es dann Richtung Klärwerk ins Tal. „Die Trasse für die Wasserrohre, Strom und Glasfaserleitungen mussten wir über weite Strecken in den Fels sprengen“, berichtet Streng. Hochalpine Baustellen seien nun einmal beschwerlich.

Das gilt erst recht für die Fundamentarbeiten der zwölf Stützen. Zum Ausheben, Verschalen und Verankern der Fundamente sind die Arbeiter in den Berg gekraxelt. Den Beton hat dann ein gewaltiger Transporthubschrauber hergeflogen. Zwei Rotoren mit jeweils 15,9 m Durchmesser braucht der knapp 7 t schwere Kamov KA32A12 in der dünnen Höhenluft, um 3 t Last zu heben. Im Tal schafft er 2 t mehr. Entsprechend mussten die Planer auch die Stahlrohrstützen der Seilbahn segmentieren. Trotz aufwendiger Verschraubung der Einzelsegmente gelang der Aufbau an einem einzigen sonnigen, windstillen und zugleich kalten Junitag.

„Glück gehört dazu“, so Streng. Gerade die Helikopter-Tage waren im engen Zeitplan seine größte Sorge. „Die Helikopter sind im Sommer im Dauereinsatz und müssen lange voraus bestellt werden“, sagt er. Es gab zwei kurze Zeitfenster für den Bau der Stützen – und die anderen Gewerke standen mit scharrenden Hufen bereit.

Die Auffahrt der Allrad-Brummis über den Notweg und über Gletscherzungen war ein Krimi

So auch die Lieferanten des Stahlseils. Mit 5,4 cm Durchmesser und 4260 m Länge bringt es satte 45 t auf die Waage. Zu schwer für jeden Hubschrauber. Und zu schwer für einen Lkw. Darum haben es die Logistiker auf zwei Haspeln aufgerollt und diese auf zwei Lkw verteilt. Damit ihnen die Stahlseilverbindung zwischen den Haspeln nicht zum Verhängnis werden konnte, waren die vierachsigen Allrad-Brummis per Stahlstange verbunden. Trotz zweier Lenkachsen war die Auffahrt über den Notweg und teils auch über Gletscherzungen ein Krimi. Bis zu 40-prozentige Steigungen und wiederholte Rangiermanöver in Spitzkehren direkt am Abgrund verlangten den Fahrern alles ab.

Wenn Streng von den baulichen und logistischen Highlights der vergangenen Monate berichtet, wird klar, dass die architektonische Leichtigkeit der Bergstation hart erarbeitet ist. „Allein hier oben sind 1300 m³ Beton verarbeitet, die mit der Materialseilbahn hinauf geschafft werden mussten“, erklärt er. Deren Kapazität: 3 m³ pro Stunde. Tag und Nacht wurde der Rohbau betoniert. Auch beim Aufbau des aufwendig geformten Stahlskeletts mussten die Monteure mit Hochdruck arbeiten. Mangels Lagerfläche auf der Bergspitze wurden sämtliche Teile just in time zur Talstation und dann mit 250 Lkw-Fahrten über den Gletscher just-in-sequence auf 3440 m geliefert.

Bei der Montage des frei schwebenden Gebäudeteils war für Höhenangst und Schwindel kein Platz

Gerade bei der Montage des frei schwebenden Gebäudeteils war für Höhenangst und Schwindel kein Platz. Erst recht nicht bei den Gerüstbauern, die das Stahlskelett schließlich vom Dach aus abwärts einhausten. Angeseilt über dem 300 m Abgrund haben Monteure dann die Außenhaut angebracht. „Jede der Platten kam als vorgefertigtes dreidimensionales Unikat und musste durch einen Vermesser eingemessen werden“, so Streng. Es galt, die Unterkonstruktion den fertigen Platten anzupassen. Ein Geduldspiel bei davonlaufender Zeit. Die technische Abnahme im September und vor allem die Ende August einsetzenden immer stärkeren Schneefälle gaben den Takt vor.

Gut 20 Mio. € haben die Betreiber investiert, um mit Seilbahn und Café neue Höhepunkte im hart umkämpften Alpentourismus zu setzen. Der Klimawandel treibt den Skibetrieb immer höher hinauf. Der Gletscher verliert Meter um Meter. Streng und sein Team kämpfen dagegen an, indem sie im Frühjahr Schneedepots anlegen und im September wieder ausbreiten. Außerdem sind oben auf 3440 m Rohrleitungen mit Anschlusspunkten für eine Schneekanone verlegt daher auch der gewaltige Wasservorrat im Keller des Cafés.

Damit der erhoffte Andrang der Ski-Touristen das idyllische Pitztal nicht verstopft, geht das Tal auch beim Verkehr neue Wege. Damit Urlauber mit der Bahn anreisen, verkehren im ganzen Tal kostenlose Busse. Direktverbindungen von vielen deutschen Großstädten nach Innsbruck und von da nahtlos im Regionalzug weiter nach Imst-Pitztal machen das Auto tatsächlich verzichtbar. 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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