Stuttgart 21: Bohrkerne werden auf römische Spuren ausgewertet
Forscher der Universitäten Tübingen und Hohenheim wollen Bodenproben analysieren, die für den Bau des Bahnprojektes Stuttgart 21 genommen wurden. Die Bohrkerne können Erkenntnisse über Natur- und Kulturgeschichte liefern.
Endlich mal eine gute Geschichte, werden die Verantwortlichen bei der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH – besser bekannt als Stuttgart 21 – gedacht haben. Sieben Bohrkerne, also Proben aus dem Erdreich in bis zu 40 m Tiefe, haben sie jetzt feierlich der Wissenschaft übergeben. Die steinigen bis krümeligen Proben stammen aus dem Mittleren Schlossgarten in Stuttgart. Dort waren sie in den vergangenen Jahren genommen worden, um die notwendige Pfahlgründung für den neuen Hauptbahnhof berechnen zu können.
Jetzt brauchen die Bauingenieure die Bohrkerne nicht mehr. Wissenschaftler der Universitäten Tübingen und Hohenheim werden sie nun untersuchen und wollen Erkenntnisse „über die Stuttgarter Kultur- und Landschaftsgeschichte“ liefern.
Dokumente menschlicher Eingriffe in die Natur
Was für Erkenntnisse können das konkret sein? „Unsere Böden sind so etwas wie ein natur- und kulturgeschichtliches Archiv“, erklärt Helmfried Meinel, Ministerialdirektor im baden-württembergischen Umweltministerium, das die Untersuchungen mit knapp 27.000 Euro fördert. „So erlauben die Bohrkerne, die ab heute eingehend untersucht werden, einen differenzierten Blick auf natürliche Prozesse und auf ihre Wechselwirkung mit menschlichen Eingriffen in Landschaft und Ökosystem – und das über einen sehr langen Zeitraum.“
Das klingt immer noch abstrakt. Das Beispiel Köln zeigt, worum es geht. Im Zentrum der alten Römerstadt sind Archäologen bei praktisch jedem Bauprojekt gefragt, zuletzt beim so genannten Rheinboulevard und ganz besonders bei der Nord-Süd-Stadtbahn, die seit zwölf Jahren in Bau ist – und wegen des Einsturzes mehrerer Gebäude nahe der Neubaustrecke im März 2009 auch noch lange nicht fertig wird.
Winzige Kristallsplitter lieferten Sensation
Neben in Köln quasi alltäglichen Funden wie Keramik, Mauerresten oder auch menschlichen Skeletten untersuchten Wissenschaftler auch kleine Pollen, Holzstücke, Getreidereste, Obstkerne oder Tierknochen. Sie können einiges über die unterschiedlichen Epochen der Stadtgeschichte aussagen: Welche Tiere haben wann hier gelebt? Welche Nutzpflanzen wurden angebaut? Wovon ernährten sich die Menschen?
Auch die Kunstgeschichte kann von solch winzigen Funden profitieren. So entdeckten die Archäologen auf der Baustelle einer der neuen U-Bahn-Haltestellen in Köln mehr als 60.000 Kristallsplitter. Zusammen mit anderen Funden lieferten sie den Beweis, dass es an dieser Stelle im 12. Jahrhundert eine Bergkristallwerkstatt gab, die unter anderem Verzierungen für Bücher, Schreine und Kruzifixe herstellte. Es soll die einzige Werkstatt dieser Art in ganz Europa gewesen sein.
Gemeißelter Kopf im Schlossgarten gefunden
Schon bis Ende dieses Jahres wollen die Forscher aus Tübingen und Hohenheim Ergebnisse aus der Analyse der Stuttgarter Bohrkerne liefern. Was von den Proben zu erwarten ist, darüber halten sie sich bedeckt. In den vergangenen Jahren gab es bei Grabungen im Mittleren Schlossgarten jedenfalls schon eine Reihe von Entdeckungen. Darunter waren ein in Sandstein gemeißelter Kopf, die Überreste eines römischen Gutshofes aus dem 2. und 3. Jahrhundert, Spuren einer früh-alamannischen Siedlung und einen Kanal aus dem 17. Jahrhundert.
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