Stuttgart 21: Neverending-Story erhält weiteres Kapitel
Das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 sollte ursprünglich 2019 abgeschlossen sein und drei Milliarden Euro kosten. Beide Ziele wurden weit verfehlt. Auch 2025 wird der Bahnknoten wohl nicht in Betrieb gehen, und die Kosten steigen weiter in die Höhe.
Das Ende der Baustelle, die den Stuttgarter Hauptbahnhof unter die Erde verlegen soll, wurde immer wieder verschoben. Nun wird Stuttgart 21 frühestens im Dezember 2026 in Betrieb gehen. Damit verzögert sich das umstrittenste Bahnprojekt Deutschlands erneut um ein weiteres Jahr. Eigentlich sollte der Bahnknoten nach mehreren Verschiebungen 2025 in Betrieb gehen, doch daraus wird nichts. Der „Spiegel“ erfuhr dies aus mehreren Quellen innerhalb des Bahn-Konzerns, die am Projekt beteiligt sind.
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Keine provisorische Inbetriebnahme von Stuttgart 21
Noch im März hatte die Bahn versichert, dass die Inbetriebnahme weiterhin „für Dezember 2025“ geplant sei. Allerdings wurde bereits damals eingeräumt, dass die genaue Reihenfolge der Inbetriebnahme noch festgelegt werden müsse. Der Konzern schlug daher ein provisorisches Stellwerk und eine schrittweise Eröffnung des neuen Tunnelbahnhofs vor. Bei dieser Lösung wäre der alte Kopfbahnhof weiterhin für den Zugverkehr genutzt worden.
Die Pläne für eine vorläufige Inbetriebnahme sind nun vom Tisch. Planungs- und Lieferschwierigkeiten sowie die hohen Kosten eines provisorischen Stellwerks, das mehrere hundert Millionen Euro verschlungen hätte, führten zur Aufgabe dieser Idee. Das ohnehin teure Großprojekt wäre dadurch noch kostspieliger geworden.
Stuttgart 21: Mehr als ein Jahrzehnt Großbaustelle
Seit über zehn Jahren leben die Menschen in Stuttgart mit einer riesigen Baustelle im Herzen ihrer Stadt. Am Hauptbahnhof baut die Bahn einen neuen Tiefbahnhof, bekannt als Stuttgart 21. Dieses Projekt steht nicht nur für den Bau des neuen Hauptbahnhofs, sondern auch für die komplette Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart.
Zu den Bauarbeiten gehören neue Bahnhöfe, darunter ein Fernbahnhof am Flughafen, sowie Dutzende Kilometer Schienenwege, Tunnelröhren, Durchlässe und Brücken. Das Projekt Stuttgart-Ulm umfasst neben Stuttgart 21 auch den Neubau der bereits 2022 eröffneten Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm. Das Herzstück von Stuttgart 21 ist der neue unterirdische Hauptbahnhof, der als Durchgangsbahnhof konzipiert ist und den bisherigen Kopfbahnhof ersetzt.
Bedeutung der „21“ in Stuttgart 21
Ein Bahnsprecher klärte ein häufiges Missverständnis auf: Die „21“in Stuttgart 21 stand nie für ein Fertigstellungsjahr. Vielmehr bezieht sich die Zahl auf das 21. Jahrhundert. In den 90er-Jahren wurden unter dem Namen „Bahnhof 21“ verschiedene Projekte gestartet, um Bahnknoten in ganz Deutschland für das neue Jahrhundert fit zu machen. Dazu zählen Projekte wie „Neu-Ulm 21“, „Saarbrücken 21“ und „Lindau 21“.
Als 2009 die Finanzierungsvereinbarung für Stuttgart 21 unterzeichnet wurde, plante man eine Einweihung im Jahr 2019. Seitdem hat sich der Termin für die Inbetriebnahme jedoch mehrfach verschoben.
Gründe für die wiederholten Verzögerungen
Die Bahn nennt mehrere Gründe für die wiederholten Verzögerungen von Stuttgart 21. Dazu zählen Klagen gegen das Projekt und geänderte Auflagen, insbesondere beim Brandschutz. Weitere Faktoren sind der geologisch anspruchsvolle Untergrund im Stuttgarter Stadtgebiet und aufwendige Genehmigungsverfahren aufgrund geänderter Artenschutzgesetze.
Kritiker werfen der Bahn vor, dass sie die Probleme und Risiken von Anfang an kannte und die Kosten sowie die Bauzeit beschönigt hat.
Was kostet das Projekt und wer kommt für die Mehrkosten auf?
Die Bahn beziffert die aktuellen Kosten für Stuttgart 21 auf rund elf Milliarden Euro und hat zusätzlich einen Puffer von 500 Millionen Euro eingeplant. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu erheblichen Kostensteigerungen. Der Finanzierungsvertrag von 2009 regelte die Verteilung der Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro. Damals sicherte das Land Baden-Württemberg eine Beteiligung von 931 Millionen Euro zu, die Stadt Stuttgart gab 292 Millionen, der Flughafen beteiligte sich mit 227 Millionen und der Verband Region Stuttgart steuerte 100 Millionen Euro bei.
Für die Mehrkosten müssen die Partner jedoch nicht aufkommen. Ein Gerichtsurteil besagt, dass die Bahn die milliardenschweren Mehrkosten alleine tragen muss. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies Anfang Mai die Klagen mehrerer Bahn-Gesellschaften gegen das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, den Verband Region Stuttgart und den Flughafen Stuttgart ab. Die Bahn wollte erreichen, dass sich die Projektpartner an den zusätzlichen Kosten beteiligen. Nach dem Urteil erklärte ein Bahnsprecher, dass die schriftliche Begründung sorgfältig geprüft werde und dann über mögliche Rechtsmittel entschieden werde.
Auswirkungen von Stuttgart 21 auf Fahrzeiten und Verkehr
Das Projekt Stuttgart 21 wird die Fahrzeiten teils erheblich verkürzen. Laut Bahn benötigen Fahrgäste von Ulm nach Stuttgart künftig nur noch 27 statt bisher 56 Minuten. Allerdings geht etwa die Hälfte dieser Zeitersparnis auf die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm zurück, nicht auf Stuttgart 21 selbst. Auch die Anbindung des Flughafens an den Fernverkehr verkürzt die Anfahrt für Fluggäste. Zudem ermöglicht der neue Durchgangsbahnhof in Stuttgart umsteigefreie Verbindungen im Regionalverkehr. Der neue Bahnhof hat acht zu- und abführende Gleise, während der bisherige Kopfbahnhof nur fünf hat. Dadurch soll er künftig deutlich mehr Zugverkehr abwickeln können.
Kritiker bezweifeln diese Vorteile. Martin Poguntke, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, kritisiert, dass der neue Bahnhof zu klein sei und der Region sowie dem Land erheblichen Verkehrsschaden zufüge. Die Projektgegner werfen der Bahn vor, bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit unrealistische Annahmen zugrunde gelegt zu haben. Beim Stresstest, der die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs nachweisen sollte, wurden sehr kurze Haltezeiten angenommen. Poguntke meint, dass solche Haltezeiten im Berufsverkehr nicht realistisch seien: „Nachmittags um drei ist ein Zug schnell geleert. Aber im Berufsverkehr lassen sich diese Haltezeiten nicht realisieren.“ (Mit Material der dpa)
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