Türkei verstärkt Hagia Sophia gegen Erdbeben – was geplant ist
Die Hagia Sophia in Istanbul soll vor Erdbeben geschützt werden. Eine neue Restaurierungsphase konzentriert sich auf die Stabilität der Kuppel.

Die berühmte Kuppel der Hagia Sophia soll erdbebensicher gemacht werden.
Foto: antherMedia / Wasin Pummarin
Die Hagia Sophia in Istanbul ist mehr als nur ein religiöses Symbol oder ein architektonisches Meisterwerk. Sie erzählt Geschichte – von Byzanz bis in die heutige Türkei. Doch ihr Alter und ihre Lage in einem Erdbeben-Hotspot machen das Gebäude anfällig für Naturkatastrophen. Nun beginnt eine neue Phase der Restaurierung. Ziel ist es, die Hagia Sophia gegen zukünftige Erdbeben zu wappnen.
Inhaltsverzeichnis
Fokus auf die Hauptkuppel
Im Zentrum der geplanten Maßnahmen steht die Stabilisierung der monumentalen Kuppel. Diese trägt nicht nur architektonisch das Gewicht des gesamten Bauwerks, sie ist auch ein Symbol der damaligen Ingenieurskunst. Doch genau hier liegt die Schwachstelle.
Mehmet Selim Ökten vom wissenschaftlichen Beirat, der die Restaurierung begleitet, sagt: „Am Ende dieser drei Jahre haben wir uns auf die seismische Sicherheit der Hagia Sophia, der Minarette, der Hauptkuppel und der Hauptbögen konzentriert, insbesondere im Hinblick auf ein zu erwartendes Erdbeben in Istanbul.“
Die Arbeiten betreffen sowohl die Haupt- als auch die Halbkuppeln. Abgenutzte Bleielemente sollen entfernt, tragende Stahlstrukturen verstärkt werden. Die Maßnahmen sollen von außen erfolgen, sodass der Innenraum samt Mosaiken weitgehend unberührt bleibt.
Istanbul in erdbebengefährdeter Zone
Die Stadt Istanbul liegt in einer Region mit hoher seismischer Aktivität. Die sogenannte Nordanatolische Verwerfung ist nur wenige Kilometer entfernt. Dabei handelt es sich um eine Transform-Störung – zwei Erdplatten bewegen sich horizontal aneinander vorbei. Ähnlich wie bei der San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien kommt es nicht zu kontinuierlichen Bewegungen, sondern zu plötzlichen Spannungsabbrüchen. Diese lösen starke Erdbeben aus.
In den letzten Jahrhunderten trafen immer wieder schwere Beben die Region. Im Jahr 1509 zerstörte ein Erdbeben große Teile der Stadt, eine Flutwelle beschädigte die Seemauern. 1894 stürzten durch ein Beben Teile des Dachs des Großen Basars ein, auch Mosaike in der Hagia Sophia wurden beschädigt.
Zuletzt sorgte ein Erdbeben 2023 im Süden der Türkei für große Zerstörung. Es forderte mehr als 53.000 Menschenleben. Auch wenn Istanbul nicht direkt betroffen war, wuchs die Sorge vor einem ähnlichen Ereignis in der Metropole. Fachleute rechnen seit Jahren mit einem größeren Beben in der Region.
Technik schützt historisches Erbe
Die aktuellen Maßnahmen basieren auf langjährigen Voruntersuchungen. „Wir haben drei Jahre lang intensive Restaurierungsarbeiten an der Hagia Sophia und den umliegenden Bauwerken durchgeführt“, sagt Ökten. Jetzt konzentriert sich das Team auf die Erdbebensicherheit der besonders sensiblen Bauteile.
Ein Turmdrehkran wird an der Ostfassade installiert. Die Spitze des Bauwerks soll mit einem Rahmensystem gesichert werden. Dieses Schutzgerüst ermöglicht nicht nur ein sicheres Arbeiten, sondern erlaubt auch eine genaue Analyse der Bausubstanz. Dabei werden auch historische Schäden berücksichtigt – etwa aus Bränden und Erdbeben im 10. und 14. Jahrhundert.
Restaurierung im laufenden Betrieb
Obwohl die Maßnahmen umfassend sind, soll der religiöse Betrieb weiterlaufen. Professor Ali Gülec vom wissenschaftlichen Beirat betont:
„Sowohl das Gebäude als auch die Moschee bleiben während der Bauarbeiten für Gebete und Besucher geöffnet.“
Die Moschee bleibt also nutzbar – trotz der laufenden Sanierungen an Fassade, Minaretten und Hauptkuppel.
Die Restaurierung verläuft in mehreren Abschnitten. In den letzten Jahren wurden bereits die Sultansgräber, Teile der Fassade und die Minarette restauriert. Jetzt folgt die technische Sicherung des Daches und tragender Bögen.
Komplexe Baugeschichte
Die Hagia Sophia wurde im Jahr 537 unter Kaiser Justinian I. fertiggestellt. Sie war ursprünglich als Kirche konzipiert, wurde 1453 nach der Eroberung Istanbuls durch die Osmanen zur Moschee und später zum Museum. Seit 2020 dient sie wieder vollständig als Moschee.
Ihr Bau erfolgte in Ziegeltechnik. Anders als römische Kuppelbauten, die auf speziellen Betonarten basieren, nutzte man hier traditionelle Mauerwerksmethoden. Schon kurz nach Fertigstellung stürzte die erste Kuppel bei einem Erdbeben ein. Eine neu konstruierte, stärker gewölbte Kuppel ersetzte sie. Um Risse zu kontrollieren, baute man später Fenster in die unteren Kuppelbereiche ein.
Immer wieder kam es zu Schäden – vor allem durch Erdbeben. Seit dem 14. Jahrhundert erhält die Hagia Sophia daher massive Stützmauern an den Außenseiten. Sie schützen das Bauwerk, verändern aber auch seine äußere Erscheinung.
Zeitleiste: Erdbeben in Istanbul und ihre Auswirkungen auf die Hagia Sophia
447 n. Chr. – Frühzeitliches Beben
57 Türme der Theodosianischen Mauer stürzen ein. Die Hagia Sophia war noch nicht fertiggestellt.
558 n. Chr. – Einsturz der ersten Kuppel
Ein schweres Beben bringt die flach gewölbte Kuppel zum Einsturz. Sie wird stärker gewölbt wieder aufgebaut.
869, 989, 1344 – Wiederkehrende Schäden
Erneute Erdbeben verursachen Risse und Mosaikverluste. Erste kleinere Stabilisierungsmaßnahmen folgen.
1509 – Das „Kleine Weltende“
Ein starkes Beben zerstört große Teile Istanbuls. Die Hagia Sophia erleidet Risse im Dach und Mosaikschäden.
1559, 1690, 1719, 1766 – Erdbebenserie
Kleinere bis mittlere Schäden, vor allem an Kuppel und Seitenschiffen. Außenstützen werden ergänzt.
1894 – Großes Beben im Osmanischen Reich
Mosaike stürzen ein, das Dach wird beschädigt. Teile der Hagia Sophia müssen restauriert werden.
1999 – Erdbeben von İzmit
Magnitude 7,6. Keine direkten Schäden, aber Anlass für neue seismologische Untersuchungen.
2023 – Beben in der Südtürkei
Magnitude 7,8. Keine sichtbaren Schäden in Istanbul, aber Auslöser für die neue Erdbebensicherung der Hagia Sophia.
Risiko nimmt zu
Istanbul wächst – wirtschaftlich und demografisch. Das macht die Stadt noch anfälliger für Erdbebenfolgen. Beim Beben in Izmit 1999 starben mehr als 17.000 Menschen. Geologische Untersuchungen zeigen, dass die Anatolische Mikroplatte sich westwärts bewegt – auf Istanbul zu. Ein Beben dort könnte große Teile der Stadt treffen.
Das Kandilli-Observatorium in Istanbul überwacht die seismische Aktivität. Es arbeitet an Systemen, die im Ernstfall automatisch reagieren – etwa Gasleitungen abschalten oder Züge stoppen. Eine frühzeitige Warnung für die Bevölkerung ist jedoch weiterhin schwer umsetzbar.
Schutz für ein Weltkulturerbe
Die Hagia Sophia gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ihr Schutz ist daher nicht nur eine nationale Aufgabe, sondern von internationalem Interesse. Der Zustand des Bauwerks wird regelmäßig mit moderner Technik überwacht – darunter Radar und 3D-Scans.
Die aktuelle Phase der Sanierung ist die wichtigste seit über 150 Jahren. Sie soll nicht nur die Kuppel stabilisieren, sondern auch die langfristige Nutzung des Bauwerks sichern. Ziel ist ein tragfähiges Konzept, das mit moderner Technik historischen Bestand bewahrt.
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