Ukraine: Warum Eltern ihre Kinder zum Schlafen ins Badezimmer schicken
Die Lage in der Ukraine ist dramatisch, Städte sind unter Beschuss und Menschen suchen verzweifelt Schutz. Dabei hilft manchen die spezielle Bauweise der alten Plattenbauten.
In diesen Tagen bei der Nowaja Gaseta zu arbeiten, kann extrem gefährlich sein. Die Zeitung gilt als eines der letzten unabhängigen Medien in Russland – und wird von der russischen Regierung mit Argusaugen beobachtet.
Halbwegs gesicherte Informationen über den Krieg zu erhalten, den Russland gegen die Ukraine führt, ist schwierig. Umso hilfreicher sind eben jene Berichte von Journalistinnen und Journalisten der verbliebenen unabhängigen Zeitungen über die aktuelle Situation der Menschen in der Ukraine.
Alle aktuellen Infos zum Ukraine-Krieg finden Sie in unserem Newsblog.
Badezimmer als Schutzraum im Plattenbau?
Ein Detail, das in zahlreichen Artikeln unter anderem in der Nowaja Gaseta immer wieder auftaucht: Offenbar ist es weit verbreitet, dass Menschen sich während der Angriffe auf die ukrainischen Städte in Badezimmern verschanzen und ihre Kinder dort abends auch zu Bett bringen – aus Sicherheitsgründen. Was hat es damit auf sich?
“Tatsächlich haben die Menschen dort offenbar ein gutes Gespür für Schutzräume”, sagt Norbert Gebbeken. Er ist Professor em. für Baustatik an der Universität der Bundeswehr in München. Im Rahmen seiner Forschungen hat er auch Beschussversuche mit verschiedenen Materialien gemacht. Bei Plattenbauten, wie sie in ukrainischen Städten weit verbreitet sind, kommt vorwiegend Stahlbeton zum Einsatz, aber auch Mauerwerk. “Die Außenwände sind meist zweischalig, um eine Wärmedämmung zu gewährleisten. In Verbindung mit dem Stahlbeton sind die Wände von Plattenbauten, wenn sie normgerecht hergestellt werden, sehr gut vor klimatischen Einwirkungen und normativen Einwirkungen aus Wind, Schnee und Regen geschützt”, so Gebbeken.
Zweischalige Wände aus Stahlbeton bieten Widerstand gegen Projektile
Das heißt: “Auch gegen die Einwirkungen von Projektilen, die ja sehr lokal wirken, bieten die Wände einen Schutz.” Natürlich seien die Außenwände nicht planmäßig auf Waffenwirkung bemessen. Zumindest gegen kleinere Projektile haben sie aufgrund ihrer allgemeinen Eigenschaften aber eine gewisse Widerstandskraft, so Gebbeken. “Dabei ist vorteilhaft, dass die Außenwände zweischalig sind. Das gilt in ähnlicher Weise für Mauerwerksbauten. Ziegel und Mauerwerkssteine gibt es in sehr unterschiedlicher Herstellungsweise, so dass Mauerwerkswände in der Regel eine geringere Dichte als Beton haben, also nicht so widerstandsfähig gegen Beschuss sind.”
Badezimmer als behelfsmäßige Schutzräume zu nutzen, hält Gebbeken für keine schlechte Idee. “Öffnungen in den Wänden wie etwa Fenster sind Schwachstellen. Und Badezimmerfenster sind meist sehr klein oder je nach Gebäude gar nicht gegeben. Die Räume im Inneren von Wohnungen sind von mehreren Wänden umgeben und wenn Kinder zum Beispiel in Badewannen schlafen, kann das ein zusätzlicher Schutz sein.” Auch andere möglichst innenliegende Räume seien als Schutzräume geeignet, also zum Beispiel Treppenhäuser, Keller oder Abstellräume.
Schutzräume auch in Deutschland: „Thema nimmt an Fahrt auf“
Der Krieg in der Ukraine passiert nur einige Hundert Kilometer von Deutschland entfernt. Jahrzehntelang war die Vorstellung undenkbar, aber: Was wäre, wenn es hier zu kriegerischen Angriffen käme? Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurden Schutzräume und Bunker eher zurückgebaut und zweckentfremdet, Zivilschutz war kaum mehr ein Thema. Tatsächlich ist genau das seit 2016 mit der sogenannten “Konzeption Zivile Verteidigung” eben doch wieder im Gespräch – wenn selten an prominenter Stelle. Jetzt ist das Thema wieder besonders aktuell.
„Bundeswehr steht blank da“: Soldaten haben keine dicken Jacken
“Bei uns gibt es diesbezüglich Untersuchungen und wir haben einen Auftrag des Bundesinnenministeriums für entsprechende Gutachten”, so Gebbeken, der sich zu näheren Einzelheiten dazu nicht äußern möchte und darf. Aber: “Ich gehe davon aus, dass das Thema jetzt deutlich an Fahrt aufnimmt.” Es gehe dabei vor allem auch um Schutzräume in Bestandsbauten.
Info Plattenbauten:
Wer hat den Plattenbau erfunden?
Viele sind der Auffassung, dass der Plattenbau in der ehemaligen DDR erfunden wurde. Das ist falsch, denn die Bauweise ist eine Erfindung aus den USA. 1902 begann man dort mit der Konstruktion von Platten. Die schlichte, klare Formensprache der Architektur läutet die Industrialisierung des Bauens ein. Zuvor wurde per Hand aufgemauert. Die Technik vorgefertigte Großtafeln aus Stahlbeton zu verwenden, entstand in der Metropole New York.
Plattenbau in der ehemaligen DDR
Plattenbauten verbindet man heute mit Städten in Ostdeutschland und Osteuropa – doch es gibt sie auch im Westen. In der früheren DDR ging man dazu über schnell und günstig Wohnraum zu erschaffen. Fertige Elemente aus Beton wurden genutzt, um die sogenannten Plattenbauten zu errichten. Ein erster Versuchsbau entstand in Deutschland 1953 in Berlin-Johannisthal. Heute steht das Wohnhaus in der Engelhardstraße 11 und 13 unter Denkmalschutz. Architekt Carl Flieger (1893-1960) entwarf den ersten Plattenbau der DDR.
Wohnbau in der Ukraine
Plattenbauten gehören zu Kiew und der Ukraine wie prunkvolle Kirchen und moderne Kontraste. Die Platten in Osteuropa gelten oftmals als marode und kaum sanierbar, auch wenn es Projekte zur Modernisierung gibt. Und doch trotzden die einst schnell gebauten Bauten den Jahrzehnten. Hierzulande gibt es nur noch wenige Plattenbauten wie etwa aus der DDR-Zeit. „In Deutschland sind Stahlbetongebäude wie Bürogebäude vielfach monolithisch gebaut. Das heißt, die Teile sind so miteinander verbunden, dass wenn eine Wand oder Stütze herausgenommen wird, nicht sofort das Gebäude einstürzt. Bei Plattenbauten kann das unter Umständen anders aussehen.“
Ein Beitrag von: