Virtuelle Realität soll Handwerkern auf der Baustelle helfen
Bremer Wissenschaftler wollen intelligente Assistenzsysteme auch für kleine Betriebe nutzbar machen. Im Praxistest mit Industriepartnern und Anwendern ist es gelungen, Daten aus Entwürfen von Architekten virtuell sichtbar zu machen.
Bei Computerspielen sind Brillen, die eine virtuelle Realität schaffen (augmented reality = AR) schon längst selbstverständlich. Sie erhöhen den Spaß, weil sie dem Nutzer das Gefühl verschaffen, sich mitten in der erfundenen Welt zu befinden. Allein mit der eigenen Vorstellungskraft und dem Blick auf einen Bildschirm ist es nicht möglich, den gleichen Effekt zu erreichen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Industrie die virtuelle Realität ebenfalls für sich entdeckt hat. Beispielsweise ist es bereits möglich, Entwürfe von Prototypen zu visualisieren und Gegenstände für ein besseres Verständnis sogar mit Gesten zu bewegen. Genutzt wurden solchen Anwendungen bisher aber hauptsächlich von großen Unternehmen oder Anbietern, die sehr Digitalisierungs-affin sind. Wissenschaftler des Bremer Instituts für Produktion und Logistik GmbH (Biba) wollen VR-Brillen gemeinsam mit Industriepartnern für kleinere Betriebe nutzbar machen, speziell fürs Handwerk.
VR-Brillen für Arbeitsabläufe bei der Klimatechnik
Im Mittelpunkt des Projektes mit dem Namen KlimAR stand die Instandhaltung komplexer Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik – Klim ist also auf Klimatechnik zurückzuführen und AR auf augmented reality. Die virtuelle Realität sollte Servicetechniker bei ihren Arbeitsabläufen unterstützen. „Zu unseren zentralen Aufgaben zählte es, eine geeignete Hardware für das System zu finden und eine Software zu entwickeln. Von entscheidender Bedeutung war dabei die Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer“, sagt Moritz Quandt, Wissenschaftler am Biba. „Entsprechend galt es nicht nur, auf neueste Entwicklungen zurückzugreifen, sondern auch eine intuitive, einfache Bedienung zu ermöglichen.“
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Praktisch ist dabei ein System entstanden, das über die VR-Brille CAD-Daten direkt auf die Baustelle bringt. Computer-aided design (CAD) ist das rechnergestützte Entwerfen oder Konstruieren, das heutzutage in der Baubranche zum Standard gehört. Der Servicetechniker setzt die VR-Brille auf, steht im realen Raum und bekommt die Daten dazu angezeigt, also unter anderem alle Schächte, Auslässe und Einbauten, die im CAD-System hinterlegt sind, und zwar deckungsgleich und maßstabsgetreu. Alles wird über die Brille optisch auf die Decke oder den Fußboden projiziert.
Wichtig ist dabei, dass die Daten auf der Baustelle korrigiert und ergänzt werden können. Anschließend werden sie zurück in das AutoCAD-System geladen. Das soll einerseits die Arbeit vereinfachen, weil es nicht nötig sei, alles auszumessen. Andererseits seien Übertragungsfehler nach Angabe der Wissenschaftler ausgeschlossen.
Praxistest mit Handwerksbetrieb
So schön das Prinzip in der Theorie klingt, die Forscher wollten natürlich auch wissen, wie gut es sich in der Praxis bewährt. Neben dem BIBA, das seine Expertise für AR-Assistenzsysteme einbrachte, und dem Unternehmen AnyMotion, einem Spezialisten für visuelle Konzepte und Kommunikation, war daher der Handwerksbetrieb Funke aus Twistringen für einen Praxistest mit an Bord. Er teste die AR-Unterstützung während der Installation eines neuen Klima- und Lüftungssystems bei seinem Kunden KMH-Kammann Metallbau in Bassum. Im Ergebnis funktionierte die digitale Unterstützung gut.
Im Laufe der nächsten 6 Monate wird Funke weiterhin eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, das System zur Marktreife weiterentwickeln. Die Wissenschaftler und ihre Partner suchen dafür noch nach weiteren Anwendern und Investoren. Sie sind davon überzeugt: Das System ist nicht nur in der Klimatechnik, sondern auch in zahlreichen anderen Gewerken einsetzbar.
Innovationsförderung für den Mittelstand
„Dieses Projekt ist ein schönes Beispiel für einen erfolgreichen Wissenstransfer aus den Laboren direkt auf die Anwendungsebene im Handwerk“, sagt BIBA-Leiter Professor Michael Freitag. Aus seiner Sicht ist die Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten für das Handwerk ein wichtiger Faktor bei KlimAR. Daher ist es auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM) gefördert worden. Insgesamt hatte es einen Umfang von 450.000 Euro. „Es ermöglicht auch den kleineren Unternehmen, die sich keine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung leisten können, eine Teilhabe am Fortschritt und einen niedrigschwelligen Einstieg in die Digitalisierung“, so Freitag weiter. Laut BMWi haben etwa 75% der ZIM-geförderten Unternehmen weniger als 50 Beschäftigte. „Über diese Art der Förderung marktorientierter technischer Forschungs- und Entwicklungsprojekte können auch die Handwerksbetriebe profitieren. Oft nur wegen fehlender Ressourcen waren sie zu lange von der digitalen Entwicklung abgehängt.“
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