Warum der Neubau der Autobahnbrücke auf der A1 ein Desaster ist
Der Neubau der Leverkusener Rheinbrücke gilt als eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte der Autobahn A1. Doch erst kürzlich sorgten gravierende Mängel bei der Verarbeitung des Stahls durch chinesische Subunternehmen für negative Schlagzeilen. Warum der Bau an der A1-Rheinquerung so eine Misere ist.
Am 5. Juli 1965 feierte die Leverkusener Rheinbrücke Eröffnung. Sie stellt die Überführung der A1 des nördlichen Kölner Autobahnrings über den Rhein dar. Das rund 1.061 Meter lange Brückenbauwerk wurde als vierstreifige Autobahn mit einem Rad- und Mopedweg konzipiert. 40.000 Kraftfahrzeuge pro Tag – so viele rollende Autos sollten über die Rheinbrücke Leverkusen fahren. Dass sich das Verkehrsaufkommen über die Jahre so stark verändern würde, konnten Verkehrsverbände und Ingenieure 1965 nicht vorhersehen. Durch den starken Anstieg des Verkehrs und den Ausbau des Kölner Autobahnrings fuhren 120.000 Fahrzeuge täglich über den Rhein. Allein 14.000 Lkw prüften die Belastbarkeit der Brücke jeden Tag.
Nach 55 Jahren ist die Rheinbrücke heillos überlastet, so dass das Land Nordrhein-Westfalen den Neubau bis 2025 anstrebt. Die Höchstgeschwindigkeit bleibt bis dahin auf 60 km/h beschränkt. Fahrzeuge über 3,5 t dürfen die Brücke nicht befahren. Dass sich der Neubau zu einem Desaster entwickeln würde, war wohl auch nicht absehbar.
Stahl aus China: Bis zu 600 Reparaturstellen an einem Bauteil
Fehlerhaft angebrachte Schweißnähte, Beulen, Hartstempelungen an den Oberflächen sowie massive Qualitätsmängel beim Korrosionsschutz: Die Mängelliste der Beanstandungen an den aus China kommenden Stahlbauteilen für den Neubau der Brücke ist lang. Mittlerweile ist das Desaster um das Infrastrukturprojekt im Verkehrsausschuss des Düsseldorfer Landtages gelandet. In der Ausschussvorlage heißt es:
„Das Vertrauen in eine vertragskonforme Projektdurchführung sei nicht mehr vertretbar (…).“
Die Reparaturstellen an einem einzelnen Bauteil bewegen sich zwischen 250 und 600, so der bestellte Prüfingenieur von Straßen.NRW. Wie konnte es dazu kommen?
Norbert Gebbeken, Statikprofessor an der Universität der Bundeswehr München und Prüfingenieur, hat dazu eine Einschätzung gegenüber INGENIEUR.de abgegeben:
„Wenn man liest, dass das Vergabeverfahren an den Wirtschaftlichsten gegangen ist, dann kann man vermuten, es war der Billigste. Das heißt, ein Unternehmen möchte den Auftrag haben und steigt mit dem niedrigsten Preis ein.“
Der TÜV habe wohl in China selbst kontrolliert, doch laut Gebbeken müssen dabei verschiedene Aspekte betrachtet werden. „Zum einen muss der Stahl selber betrachtet werden und da ist es so, dass wir von der Statik gucken, ob die Steifigkeiten und Festigkeiten stimmen. Das heißt, es erfolgt eine makroskopische Untersuchung der Stähle. Der nächste Punkt bezieht sich aufs Schweißen. Dann benötige ich eine weitere Qualität, nämlich die chemische Analyse, damit gut geschweißt werden kann. Wenn man sich die Berichte anschaut, wird vor allem gesagt, dass es Probleme bei den Schweißnähten gibt – und das verwundert mich gar nicht.“
Mit chinesischen Zulieferern hat der Prüfingenieur für Metallbau unterschiedliche Erfahrungen gemacht. „Wenn ich aber dort auch billig einkaufe, dann kann es durchaus sein, dass so etwas passiert, wie jetzt bei der Leverkusener Brücke.“
Weiterhin berichtet er, dass er mit anderen Prüfingenieuren gerne ins Werk vor Ort fährt. „Wir schauen uns alles vor Ort an und kontrollieren, wie die Schweißnähte aussehen und wie dort gearbeitet wird. Wenn Sie auf so ein Firmengelände kommen, wissen Sie direkt, ob der Hersteller etwas taugt oder nicht.“
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Tatsächlich seien die von Straßen.NRW entsandten Prüfer bei der Überwachung des beauftragten Nachunternehmens in China behindert worden. Zum Beispiel durften die Hallen zum Teil nicht betreten werden, wie der Kölner Stadtanzeiger berichtet. Mit dem Neubau der Leverkusener Rheinbrücke war bis Ende April 2020 die Porr AG beauftragt. Der Landesbetrieb beendete die Zusammenarbeit allerdings aufgrund dieser und anderer Vorfälle. Der Konzern forderte 263 Millionen mehr und kündigte an, dass die Bauzeit vier Jahre länger dauern würde als angenommen. Als Grund gab Porr die Abrissarbeiten der mit Asbest und Blei belasteten Bestandsbrücke an. Die Kündigung sieht der Baukonzern Porr, mit Hauptsitz in Wien, weiterhin für unbegründet. Das Ziel der neuen Ausschreibung sieht vor, die Bauarbeiten ab November 2020 wieder aufzunehmen. Das erste sechsspurige Brückenbauwerk soll im September 2023 fertig sein. Die weiteren Ausschreibungen zum Abbruch der alten Rheinbrücke sowie für den Neubau des zweiten Brückenteils sollen später erfolgen.
Viele Sonderkonstruktionen bei der Leverkusener Rheinbrücke
Bei der Leverkusener Brücke liegen viele Sonderkonstruktionen vor, zum Beispiel dicke Bleche und damit auch dicke Schweißnähte. „Da muss ganz genau hingeschaut werden. Die Stähle dürfen nicht zu schnell abkühlen und vieles mehr“, weiß Norbert Gebbeken aus München. Beim Schweißen werden über 3.000 Grad ins Material gebracht. Dadurch entstehen chemische Prozesse, die genau kontrolliert werden müssen. „Das ist sehr kompliziert. Wenn dort ein Billiganbieter gewählt wird, liegt der Schluss nahe, dass dieser die hohen Anforderungen nicht erfüllen kann, selbst wenn ein Eignungsnachweis zum Schweißen vorliegt“, erklärt der Statikprofessor.
„Ich sage meinen Studenten immer, dass die Brücken ja auch ständig in Bewegung sind.“
Norbert Gebbeken ist seit 1995 Professor für Baustatik und Leiter des Forschungszentrums RISK (Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt) sowie der Forschungsgruppe BauProtect. Sowohl im Bachelor als auch im Master kann Baustatik studiert werden. Auch aus seinem Lehralltag berichtet Gebbeken: „Ich sage meinen Studenten immer, dass die Brücken ja auch ständig in Bewegung sind, auch wenn wir das als Menschen nicht merken, wenn wir mit dem Auto darüber fahren. Durch die Verkehrsentwicklung der letzten Jahrzehnte sind ganz neue Herausforderungen entstanden. Heute müssen Lieferketten zum Beispiel „just in time“ eingehalten werden. Zudem sind Personen- und Güterverkehr erheblich angestiegen. 1965 konnten Verkehrsverbände und Ingenieure das noch nicht abschätzen. Viele unserer Brücken sind daher heute überlastet.“
Dennoch bleibt ein Nachgeschmack beim desaströsen Neubauprojekt. Die Opposition wirft der CDU/FDP-Landesregierung nämlich vor, die gravierenden Probleme mit Importstahl aus China vertuscht zu haben. NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) habe erst ein Jahr später gehandelt, obwohl Mitarbeiter immer wieder auf Probleme hingewiesen hätten, sagte SPD-Fraktionsvize Jochen Ott in einer Aktuellen Stunde des Landtags. Norbert Gebbeken sieht das etwas diplomatischer und sagt gegenüber unserer Redaktion: „Das ist eine Entwicklung, auf die reagiert wird. Die Bundesregierung hat ja auch reagiert und mehrere Milliarden Euro zum Ausbau der Infrastruktur in Deutschland zur Verfügung gestellt.“
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Umweltbelastung: Weiterhin Stau an der Leverkusener Rheinbrücke
Wann der Neubau der Leverkusener Rheinbrücke nun wirklich abgeschlossen ist, steht in den Sternen. Doch Staus und ein weiterhin hohes Verkehrsaufkommen werden uns begleiten. Das belastet die Umwelt. Gebbeken gibt auf diesen Faktor angesprochen an: „Der erste Fehler steckt für mich in der Aussage, dass in Zeiten der Corona-Pandemie nicht so viel Rücksicht auf die Umweltkrise genommen werden kann. Die deutsche Technologie ist nach meinem Empfinden eine der nachhaltigsten der Welt. Lassen wir Tesla mal außen vor. Wir müssen in diesem nachhaltigen Denken weiterkommen und das würde dann auch in die Vergabe von Bauprojekten einfließen. Das Verschiffen von Stahl aus China würde da wohl auch wegfallen.“
Wann die Rheinbrücke fertig ist, kann der Präsident der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau auch nicht prognostizieren. „Doch was man so sagen kann und das ist meine Überzeugung: Wir haben in Deutschland die besten Bauingenieure.“
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