Zement mit Neutronen im Bohrloch untersuchen
Spezielle Zementsorten stabilisieren Bohrlöcher bei der Erdölforderung. Doch das Abbinden lässt sich im Labor nicht simulieren. Eine neue Messmethode auf der Basis von Neutronenstrahlen zeigt Vorgänge auf atomarer Ebene.
Beim Erschließen neuer Ölquellen arbeiten Ingenieure mit speziellen Zementen. Ihr Ziel ist es, einen Kollaps und eine Methan-Leckage des Bohrlochs zu vermeiden. Dabei machen sie sich einen Trick zunutze: Zemente dürfen nicht zu schnell aushärten, bevor sie in die tiefsten Schichten gelangen. Deshalb werden spezielle Chemikalien, sogenannte Retarder, beigemengt. Diese Substanzen verlangsamen den Abbindeprozess.
Bei der Entwicklung geeigneter Mischungen stoßen Forscher jedoch auf Schwierigkeiten. Denn die Bedingungen im Bohrloch – hinsichtlich des Drucks und der Temperatur – lassen sich schlecht im Labor reproduzieren. Einfach nur Proben zu nehmen, reicht für Untersuchungen nicht aus. Deshalb haben Forscher am Oak Ridge National Laboratory (ORNL) und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Cambridge eine Technologie entwickelt, um den Abbindeprozess mit Neutronen im Detail zu beobachten. Sie wollen bessere Zemente entwickeln.
Vorgänge im Bohrloch: Unterschiedliche Drücke und Temperaturen
Ihre Ausgangsüberlegung: Der Zement ist beim Einsatz ganz unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt, je nach genauer Lokalisation. Das Bohrloch ist keine homogene Umgebung, wie ein Blick auf die Situation vor Ort zeigt.
Bei Ölbohrungen wird ein Stahlgehäuse im Bohrloch platziert, um zu verhindern, dass loses Material eindringt und die weiteren Arbeiten stoppt. Dieses Gehäuse verhindert auch, dass Öl und Gas, die unter hohem Druck stehen, in das umgebende Gestein und in den Boden entweichen und schließlich an die Oberfläche wandern. Aber es gibt immer einen Bereich zwischen dem Gehäuse und dem Bohrloch, der vollständig mit Zementschlamm gefüllt sein muss, um Undichtigkeiten zu vermeiden und um die Stahlauskleidung vor Wasser und korrosiven Chemikalien zu schützen.
Dann wird Zement in den Bereich zwischen dem Bohrloch selbst und dem Gehäuse gepumpt. Er bietet eine Hydraulikdichtung, um Wasser und andere Flüssigkeiten fernzuhalten. Je nach Lage und nach Verwendung wirken auf das Material unterschiedliche Drücke und Temperaturen ein.
Mit Neutronenstrahlung den Abbindeprozess auf atomarer Ebene beobachten
Bei Untersuchungen hatten Forscher bisher ausgehärtete Proben aus Bohrlöchern entnommen und im Labor analysiert. Solche Tests zeigen keine Details der Abfolge chemischer Reaktionen während der Aushärtung; vielmehr liefern sie nur Informationen zum Endzustand.
Das soll sich ändern: Bei der neuen Messmethode arbeiten Ingenieure mit einem speziellen Detektor, dem Nanoscale Ordered Materials Diffractometer (NOMAD). Diese Technik kann mit Neutronen die Verteilung von Atomen unter realistischen Bedingungen im System untersuchen. Generell haben Neutronen einen Vorteil. Als ungeladene Teilchen dringen sie tief in die Probe ein und werden an Atomkernen gestreut. Das ermöglicht Rückschlüsse im gesamten Volumen, während beispielsweise Elektronenstrahlung nur Informationen zu Oberflächen liefert. Bei Messungen mit dem NOMAD erhält man die Verteilung der Streuzentren in einer Probe und damit die tatsächlichen Abstände zwischen Atomen in ungeordneten oder nanokristallinen Materialien.
„NOMAD ist aufgrund seines hohen Neutronenflusses und der Empfindlichkeit von Neutronen gegenüber leichten Elementen wie Wasserstoff hervorragend geeignet, komplexe strukturelle Probleme wie das Verständnis der Hydratation im Beton zu verfolgen“, erklärt Thomas Proffen vom ORNL.
Neue Zementmischungen, ein Beitrag zum Umweltschutz
Die Experimente haben gezeigt, dass Calciumionen eine wichtige Rolle im gesamten Vorgang spielen. Niedrigere Mengen in der Mischung verlangsamen das Abbinden unter Bedingungen, wie sie im Bohrloch herrschen, deutlich. Jetzt untersuchen die Forscher, welche Additive zu ähnlichen Effekten führen.
„Unsere neue Methode zur Untersuchung des Abbindeprozesses bietet einen Weg, chemische Vorgänge zu verstehen, damit wir die nächste Generation an Retardern entwickeln können“, sagt Kunal Kupwade-Patil vom ORNL. Das Verfahren könnte dazu beitragen, Probleme bei der Erdölförderung zu lösen. Dazu gehören vor allem Methanleckagen und Instabilitäten des Bohrlochs, wie sie bei marktüblichen Zement-Formulierungen auftreten.
Methanleckagen sind ein häufiges Problem an Förderstellen. Und Methan ist als Treibhausgas 25 Mal wirksamer als Kohlendioxid. Es trägt mit rund 20% zum anthropogenen Treibhauseffekt bei. Ziel der Forscher ist deshalb auch, Zwischenräume gasdicht zu verschließen, um Methan-Emissionen zu verringern. Und Instabilitäten führen zu ökonomischen Einbußen.
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