Diese künstliche Haut ersetzt Tierversuche
Fraunhofer-Forschende haben ein dreidimensionales Hautmodell entwickelt, welches es ermöglicht, Zellreaktionen auf Testsubstanzen in Echtzeit zu messen, ohne Tierversuche durchführen zu müssen. Mit integrierter Hautbarriere und Reporterfunktion bietet das Modell präzise und schnelle Ergebnisse für eine Vielzahl von Substanzen, einschließlich öliger und fester Stoffe.
In kosmetischen Produkten finden sich eine Vielzahl unterschiedlicher Substanzen. Bevor solche Produkte auf den Markt dürfen, müssen Inhaltsstoffe gemäß EU-Gesetzgebung auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet werden. Seit 2013 ist die Vermarktung von an Tieren getesteten Kosmetika in der EU verboten. Auch für Pflanzenschutzmittel, Biozide und andere Chemikalien schreibt die europäische Chemikalienverordnung (REACH) Prüfungen hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials vor, möglichst ohne Tierversuche. Diese Regularien haben die Nachfrage nach tierversuchsfreien Alternativmethoden stark erhöht.
Roboter erkennen menschliche Berührungen ohne externe Sensoren
Kein Wunder also, dass Hersteller kosmetischer Produkte inzwischen häufig auf im Labor gezüchtete Haut-Zellkulturen zurückgreifen, um neue Inhaltsstoffe oder Rezepturen zu entwickeln und zu testen. Diese wachsen in Zellkulturschalen mit nährstoffreichem Kulturmedium. Allerdings erschwert dieses Verfahren die Untersuchung fester oder öliger Substanzen. Auch verfügbare In-vitro-Hautmodelle weisen Nachteile auf: Damit sich die Wirkung von Testsubstanzen analysieren lässt, müssen sie präpariert und mikroskopisch untersucht werden. Bei Untersuchungen von Hautreizungen, die erst nach wiederholter Anwendung auftreten können, ist eine enorme Anzahl identischer Hautmodelle notwendig.
Künstliche Haut mit besonderen Eigenschaften erforderlich
Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB hat sich genau mit diesem Spannungsfeld beschäftigt und nun die neueste Entwicklung vorgestellt: ein dreidimensionales Hautmodell, das als „Reporterhaut“ fungiert. Diese künstliche Haut ermöglicht eine präzise und schnelle Messung zellulärer Reaktionen am lebenden Modell. Das Besondere an diesem Hautmodell: Es ist aus menschlichen Zellen entwickelt, das die komplexe Physiologie der Haut einschließlich einer intakten Hautbarriere präzise nachbildet. Dieses patentierte Modell liefert aussagekräftigere Ergebnisse als einlagige Zellkulturen.
Es besteht aus dermalen Fibroblasten, eingebettet in eine Kollagenmatrix, sowie aus Keratinozyten, die eine vollständig differenzierte mehrschichtige Epidermis bilden. Dabei fungiere sie genau wie die natürliche Haut, als wirksame Barriere gegen äußere Einflüsse.
Künstliche Haut mit integrierter Reporterfunktion ermöglicht präzise Messungen
Das Herzstück des Hautmodells ist seine eingebaute Reporterfunktion. Diese ermöglicht eine einfache und zuverlässige Überwachung der Expression relevanter Gene. „Wir koppeln das Reportergen an den Signalweg für eine zelluläre Signalkaskade, die bei Hautstressreaktionen eine Rolle spielt, und verankern das Konstrukt stabil im Genom unserer immortalisierten Keratinozyten“, sagt Anke Burger-Kentischer, Abteilungsleiterin Zell- und Gewebetechnologie am Fraunhofer IGB. Bei Entzündungsreaktionen dient der zur Signalkaskade gehörende Rezeptor in der Zellmembran als Schnittstelle zur Außenwelt. Die Bindung der Testsubstanz an den Rezeptor aktiviert die Signalkaskade und führt zur Produktion des Reporterproteins.
Als Reporter verwendet das Team unter anderem die sezernierte alkalische Phosphatase. Dabei handelt es sich um ein Enzym, das sein Substrat in einen gelben Farbstoff umwandelt. Nach Anwendung der Testsubstanz wird eine Probe aus dem sogenannten Kulturüberstand des Hautmodells entnommen und mit dem Substrat der alkalischen Phosphatase gemischt. Ein Farbumschlag zeigt innerhalb weniger Minuten bis Stunden an, ob die Signalkaskade aktiviert wurde. Ein Vorteil dieser Methode: Die Zellen der künstlichen Haut müssen für die Auswertung nicht zerstört werden. Dadurch ist es möglich, den zeitlichen Verlauf der Zellreaktion zu verfolgen.
Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten der künstlichen Haut in der Forschung
Die künstliche Haut bietet eine realitätsnahe Nachstellung der In-vivo-Situation und erlaubt es, Zellreaktionen in Echtzeit zu analysieren. Sie stellt eine spezifische und kostengünstige Alternative zu bisherigen Modellen dar, da aufwendige Präparations- und Analyseschritte entfallen. Das Testsystem eignet sich auch für wasserabweisende und feste Substanzen, was die Untersuchung von Ölen, Ölgemischen, Textilien und Lebensmitteln möglich macht. Dem Forschungsteam gelang es sogar, verschiedene zelluläre Signalwege mit unterschiedlichen Reportern in einem Hautmodell zu integrieren. Daraus resultiert nun ein Set von 3D-Reporterhautmodellen für vielfältige Anwendungen. „So können wir Aussagen über das toxikologische Potenzial einer Substanz treffen, die Hautpenetration untersuchen sowie spezifisch und schnell die Aktivierung verschiedener zellulärer Stresssignalwege durch die Substanz in demselben Modell auslesen“, erläutert Burger-Kentischer.
Die Forschenden sind von ihren Ergebnissen überzeugt, denn die Modelle überträfen vorhandene Testsysteme hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Aussagekraft erheblich. Da sie alle drei bekannten Hautstress-Signalwege abbilden könnten, erhielten Hersteller schnell Aufschluss darüber, ob und welche Art von Zellstress eine Substanz hervorrufe. Das Forscher-Team bietet interessierten Firmen an, die Reporterhautmodell im institutseigenen Labor zu überprüfen. Es sei auch möglich, weitere zelluläre Signalwege zu ergänzen oder das Reporter-Testsystem auf andere Organe zu übertragen.
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