Serie Zukunftswelten 14.09.2012, 11:53 Uhr

Künstliche Körperteile: Meniskus und Luftröhre zum Nachrüsten

Mediziner, Biotechnologen und Ingenieure kommen der Vision menschlicher „Ersatzteillager“ immer näher. Adulte Stammzellen spielen dabei eine zentrale Rolle. Verschlissene Knorpel und Menisken werden bereits mit gezüchteten Implantaten repariert. Erste Patienten leben mit synthetischen Luftröhren. Auch Sehnen, Ohren und Nasen sollen künftig als Nachrüst-Lösung zu haben sein.

Die Lösung für Sportverletzungen: Sehnen, Knorpel oder Ohren künftig aus dem Bio-Ersatzteillager?

Die Lösung für Sportverletzungen: Sehnen, Knorpel oder Ohren künftig aus dem Bio-Ersatzteillager?

Foto: CEP Compression Sportswear

Nachwuchskicker Miro Stamm ist in Topform. Der Bundestrainer hat sich schon gemeldet. Und jetzt das! Sein verdrehtes Knie pocht. „Kreuzbandriss“, vermutet der herbeigeeilte Mannschaftsarzt. Kein Grund zur Aufregung. Für die Stars der Millionentruppe liegen Ersatzknorpel und -sehnen bereit. Auch Knochenmark- und Gewebeproben der Spieler liegen auf Eis. Nach einem kurzen Anruf setzt das Labor im Bioreaktor ein synthetisches Sehnenimplantat mit Stamm- und Knorpelzellen des Pechvogels an. Bis zur Operation am nächsten Morgen haben die Zellen das Implantat dicht besiedelt. So bleiben Abwehrreaktionen aus. Im Knie geht die Besiedelung weiter. Während der Körper die künstliche Sehnenmatrix schleichend abbaut, wächst aus den Stammzellen ein voll funktionstüchtiges Kreuzband nach. Sechs Wochen später ist Stamm wieder am Ball.

Dass Profiklubs künftig tatsächlich Ersatz-Sehnen und -Knorpel für ihre Sportler lagern werden, ist ungewiss. Doch die Möglichkeit dazu zeichnet sich ab. So setzte ein amerikanisch-britisch-schwedisches Expertenteam im Juni 2011 einem todgeweihten 36-jährigen Krebspatienten eine synthetische Luftröhre ein. Vor der Implantation hatten sie das aus nano-porösen Polymeren gefertigte Teilstück zwei Tage lang in einem Bioreaktor aufbereitet. Genauer: Stammzellen des Patienten hatten es besiedelt. Der federführende Chirurg Paolo Macchiarini hatte schon zuvor Luftröhren von Organspendern transplantiert, die vollends vom Zellmaterial der Spender befreit und anschließend im Bioreaktor mit Stammzellen der Empfänger besiedelt worden waren.

Londoner Forscher wollen Durchblutung künstlicher Körperteile ermöglichen

Der Londoner Professor Alexander Seifalian, der sich am dortigen University College der Zucht künstlicher Gewebe widmet und dort die lebensrettende Polymer-Luftröhre schuf, sieht diese nur als Auftakt. „Wir arbeiten an einer ganzen Reihe weiteren Anwendungen“, berichtete er nach der Operation. Komplette Ohrmuscheln, Nasen und meterlange Blutgefäße hat sein Labor bereits als Prototypen realisiert. Wie die Luftröhre sollen sie in Nährlösung mit adulten Stammzellen für Implantationen präpariert werden. Selbst Durchblutung will Seifalian ermöglichen. Dafür sollen Empfänger ihre künstlichen Nasen und Ohren zunächst unter der Haut tragen, wo der Körper sie mit Gefäßen durchdringe. Im Tierversuch funktioniert das bereits.

Seifalian ist einer von tausenden Forschern weltweit, die sich mit der Zucht von Knorpel und anderen menschlichen Geweben befassen. Sie alle eint eine zentrale Herausforderung: Gewebe in dreidimensionale Formen zu bringen. Einerseits neigt menschliches Gewebe in vitro – also außerhalb des Körpers – zu flacher, zweidimensionaler Ausbreitung. Andererseits ist die Nähr- und Sauerstoffversorgung schwierig. Sind die Schichten über 100 nm dick, scheidet Versorgung per Diffusion aus. Gefäße müssen her.

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US-Forscher arbeiten daran, Gewebe samt Blutgefäßen mithilfe von 3-D-Druckern aufzubauen. Als Tinte dienen Mixturen aus Nährlösung, Wachstumsfaktoren zur Steuerung der Zellentwicklung (Signal-Proteine), Stammzellen und – je nach gewünschtem Ergebnis – Muskel-, Fett-, Knochen oder Knorpelzellen.

Die „Biotinte“ wird im Inkjet-Verfahren Schicht für Schicht auf „Biopapier“ aufgebracht. Meist wird auf Agarose gedruckt, ein Gel, das aus Algen gewonnen und in Biotech-Labors zur Trennung von Substanzen genutzt wird. Wird die Biotinte ringförmig gedruckt und das „Papier“ auf die Ringe gestapelt, ergibt sich eine Röhrenform. Gestützt von der umgebenden Gel-Matrix wachsen die Zellen zu Röhren zusammen. Ein erster Schritt hin zu Adern und Venen, um die herum beim Druck weitere Zellen aufgebracht werden können. Noch steckt das Verfahren in den Kinderschuhen. Doch mit dem Start-up Organovo existiert bereits ein Unternehmen, das 3-D-Biodrucker entwickelt und vermarktet.

Auch ein deutsches Gründerteam will im Tissue-Engineering-Markt mitmischen. Statt die Natur mit Hightech-Druckern und Nano-Polymeren nachzuahmen, setzen Ludwig Körber und Roman Breiter vom Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik der Uni Erlangen gleich auf die Natur. Genauer: auf Knorpel von Schweinen. Xenogenes Kollagen also, aus dem sich der Name ihres Projektes „XenoColl“ herleitet. Kollagen vor allem der Typen I, II und III ist das wichtigste Matrixmaterial natürlicher Knorpel und Sehnen. Die Forscher befassen sich seit Jahren mit diesem extrem zug- und stoßfesten Material. Nun haben sie ein mehrstufiges, nasschemisches Verfahren entwickelt, um Kollagen aus Schweine-Nasenscheidewänden komplett von tierischen Zellen und Bakterien zu befreien – ohne seine Funktionen zu beeinträchtigen. „Wir generieren eine Leermatrix, die Patienten mit Knorpelschäden implantiert werden kann“, erklärt Körber. Diese werde dann im Körper von Knorpelzellen besiedelt. Erste Versuche an Ratten verliefen vielversprechend.

Zunächst wollen die Erlanger solchen Patienten helfen, deren Nasenscheidewände zerstört sind. Auch die plastische Nasenchirurgie habe großen Bedarf an Knorpel. Später sollen dann auch Sportler mit Knorpelschäden von den aufbereiteten Schlachtabfällen XenoColls profitieren. Machbar wäre es mit dem Verfahren der Gründer auch, menschliches Kollagen von jeglichen Zellbestandteilen des Spenders zu befreien. Jedoch sieht Körber dafür wegen der guten Verfügbarkeit des tierischen Materials kaum Bedarf, sofern nicht ganze Ohrmuscheln oder Nasen von Unfallopfern ersetzt werden müssen. „Und auch die ließen sich aus unserem Kollagen modellieren“, ist er überzeugt.

Allogene Implantate gelten ebenfalls als vielversprechender Ansatz

Neben Knorpeln und Sehnen xenogenen Ursprungs gelten allogene Implantate – also von toten menschlichen Spendern – als vielversprechender Ansatz. Auch bei diesen werden ursprüngliche Zellsubstanz und potenzielle Krankheitserreger mit Gefriertrocknung, Gamma-Bestrahlung oder chemischen Verfahren beseitigt, um dann mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark des Empfängers darauf anzusiedeln. Diese Stammzellen spielen als Vorläufer von Stütz- und Bindegewebezellen eine zentrale Rolle bei der natürlichen Regeneration von Knochen, Knorpel, Sehnen oder auch Muskel- und Fettgewebe.

Allerdings bereitet es den Forschern Probleme, sie jenseits von Laborbedingungen zur gewünschten Spezialisierung anzuhalten. Während designte Signalproteine und Wachstumsfaktoren in definierten Randbedingungen eines Bioreaktors die gezielte Steuerung der Zellentwicklung erlauben, ist das im realen Körper schwieriger. Und so wimmelt es von kritischen Journal-Beiträgen, welche die Langzeitstabilität und Funktionalität der gezüchteten Materialien in Frage stellen.

Doch es gibt einen Bereich, in dem die Gewebezüchter dem Durchbruch nahe sind: Immer mehr Fachärzte setzen bei Knorpelschäden in Knie und Bandscheibe auf Autologe Chondrozyten-Transplantationen (ACT). Dabei legen die Ärzte den Defekt bis auf den Knochen frei und füllen die Leerstelle mit einer durch Knorpelzellen (Chondrozyten) des Patienten besiedelten Matrix. Dazu wird vorab arthroskopisch Knorpel an einer unbelasteten Gelenkstelle entnommen, aus dem Speziallabors Knorpelzellen extrahieren und in Zellkulturen vermehren.

Die Reutlinger Tetec AG, einer der etablierten Anbieter im Bereich ACT, setzt als Gerüst für die wachsenden Knorpel wahlweise eine Kollagen-basierte Membran- und Schwammstruktur oder injizierbares Hydrogel ein. Wettbewerber co.don aus Teltow setzt auf eine selbst haftende, minimalinvasiv einspritzbare Lösung mit Hunderttausenden Chondrozyten. Diese werden zuvor binnen fünf bis sieben Wochen aus 30 mg Knorpel des Patienten herangezüchtet und schließen nach dem Eingriff binnen weniger Wochen die abgenutzte Stelle im Knorpel.

Während bisherige Verfahren zwei Eingriffe im Abstand mehrerer Wochen voraussetzen, hat das Niederländische Start-up CellCoTec ein neues Verfahren in der klinischen Erprobung, das einen noch weitergehenden Eingriff in einer Stunde ermöglicht. Die Gründer isolieren und vermehren in einem Schrank-großen Zellprozessor neben Knorpel- auch Stammzellen aus dem Knochenmark des Patienten, die dann in einer eigens entwickelten dreidimensionalen Matrix aus abbaubarem Biomaterial implantiert werden. Während sich die Zellen im Knie weiter vermehren und Knorpel bilden, unterstützt die dämpfend wirkende 3-D-Matrix vorübergehend dessen Funktion.

„Vollständige Regeneration muss das Ziel der modernen biotechnologischen Verfahren sein“

Doch die Unterstützung schwindet. Binnen zwölf Monaten baut der Körper das Gerüst ab und ersetzt es durch frischen Knorpel. Die Gründer sind überzeugt, dass ihre Technologie künftig auch helfen wird, Menisken, Sehnen und Knorpel in anderen Gelenken zu heilen.

Angesichts solcher Möglichkeiten raten erste Sportärzte, Patienten bereits im Frühstadium von Knorpeldefekten zu operieren. „Bei symptomatischen Defekten der Knorpeloberfläche erscheint eine frühzeitige Operation sinnvoll, wobei die Knorpeltransplantation bei Defekten über 1,5 cm im Durchmesser als wichtige Option zur Verfügung steht“, schreibt etwa der Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin der Donau Universität Krems, Stefan Nehrer, in einem aktuellen Aufsatz in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin. Allerdings mahnt er: „Reparatur ist nicht genug. Vollständige Regeneration muss das Ziel der modernen biotechnologischen Verfahren sein.“ Doch genau daran hat die junge Disziplin noch zu arbeiten. Studien zeigen, dass zwar vier Fünftel der behandelten Profisportler nach einer ACT ihr altes Leistungsniveau erreichen, dies aber wenigen „Normalsterblichen“ gelingt. Und Langzeitstudien sind ohnehin noch Mangelware. Bis zur vollständigen Gelenkreparatur mit Zuchtknorpeln und Stammzellen werden wohl noch einige Jahre vergehen.

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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