Aktueller Stand der Technik 09.03.2024, 11:56 Uhr

Lebende Materialien – sind sie das große Ding für die Zukunft?

Was sind eigentliche lebende Materialien? Wie werden sie hergestell? Welche Vorteile und Herausforderungen haben sie? Wie sieht es mit den Zukunftsaussichten aus? Antworten rund um lebende Materialien finden Sie hier.

selbstheilender Beton

An der Hochschule München arbeiten sie an einem Beton, der sich mit Hilfe kalkbildender Bakterien selbst heilt.

Foto: Hochschule München / Johanna Weber

Intelligente Verpackungen, selbstheilende Baumaterialien, personalisierte Abgabesysteme für Medikamente – die Liste der Beispiele lebender Materialien lässt sich noch länger fortführen. Forschende bescheinigen ihnen ein enormes Potenzial und arbeiten mit Hochdruck daran, dieses Forschungsfeld voranzutreiben. Wir haben uns angschaut, was der aktuelle Stand der Technik ist und fragen uns, ob sie das große Ding für die Zukunft sind.

Was sind eigentlich Lebende Materialien?

Was „Leben“ bedeutet, brauchen wir sicherlich keinem erklären, doch was sind eigentlich Lebende Materialien? Einerseits bestehen sie aus lebenden Organismen, beispielsweise Bakterien, Algen oder Hefen. Diese übernehmen eine bestimmte Funktion und lassen sich passend programmieren. Andererseits ist ein Trägermaterial notwendig, in das die lebenden Organismen integriert sind. Deshalb werden sie nicht nur als Lebende Materialien, sondern häufig auch als Bio-Hybride bezeichnet.

Typisch für Lebende Materialien sind ihre besonderen Stoffwechseleigenschaften und die Fähigkeit, ganz unterschiedliche Stoffe produzieren zu können. Dazu zählen unter anderem anorganische Salze, Metalloxide und Biopolymere, aber auch medizinische Wirkstoffe. Und genau das machen sich Forschende zunutze und entwickeln daraus Materialien mit neuen Funktionen aus dem Bereich Technik und Medizin, die sich aus nicht-lebenden Stoffen so nicht gewinnen ließen.

Denn ein Material, das beispielsweise beschädigt wurde, kann sich nur regenerieren, wenn es aus lebenden Zellen oder Mikrooragnismen besteht. Diese Materialien lassen sich keinem einzelnen Fachgebiet zuordnen. Sie verbinden vielmehr die Materialwissenschaft mit der Synthetischen Biologie und der Biotechnologie.

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Typen Lebender Materialien

 Lebende Materialien haben den Vorteil, dass sie bestimmte Funktionen aufweisen. Zu den bekanntesten unter ihnen gehören:

  • Materialien, die sich selbst regenerieren. Sie werden auch häufig als selbstheilende Materialien bezeichnet.
  • Materialien, die sich besonders an die Umwelt sowie Umweltreize anpassen
  • Materialien, mit denen sich medizinische Wirkstoffe herstellen lassen

Bei der Entwicklung werden vor allem Algen, Bakterien, Hefen und Pilze eingesetzt. Vom Prinzip her machen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Natur zunutze und schaffen durch gezielte Kombinationen Materialien, die autonome Funktionen entwickeln. So wie sich die Bekleidungsindustrie den Lotuseffekt in der Natur abgeschaut hat, strebt die Wissenschaft das auch für Lebende Materialien an. Sie sollen die jeweils gewünschten Funktionen lebender Organismen besitzen. Dazu gehört unter anderem zu wachsen, sich selbst zu reparieren, externe Hinweise wahrzunehmen oder auch sich selbst zu organisieren.

Wie werden Lebende Materialien hergestellt?

Forschende betrachten den biologischen, lebenden Teil als Chassis. Sie sind das Fahrgestell für das Konstrukt und übernehmen die gewünschte Funktion. Ganz gleich um welche Mikroorganismen es sich handelt, Bakterien oder Pilze, Zellen dieser Organismen lassen sich extrahieren und in andere Materialien einarbeiten. In der Regel liefert die Natur die Idee, die Inspiration und die nötigen Organismen, aus denen die gewünschten Zellen gewonnen werden. Für die Umwandlung von Zellen in Lebende Materialien setzen Forschende in der Regel sogenannte synthetische Biologiewerkzeuge ein.

Ein Beispiel: Lebende Baustoffe entstehen zum Beispiel aus der Kombination bestimmter Bakterien, die Photosynthese betreiben, und einem Gemisch aus Sand und Gelatine. Letztere stellen das sogenannte Trägermaterial dar. Schließlich benötigen Bakterien Feuchtigkeit als Wohlfühlklima, um CO2 aufzunehmen, daraus Energie zu gewinnen und am Ende einen Mineralisierungsprozess durch die Herstellung von Calciumcarbonat anzustoßen. Der dabei entstandene Stein kann in zwei Hälften zerteilt werden und innerhalb kurzer Zeit wachsen die beiden Hälften zu vollständigen Steinen.

Forschende des Fraunhofer Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) konnten auf diese Art und Weise acht Steine aus einem gewinnen. Bei diesem Forschungsansatz kam gleichzeitig heraus, dass die lebenden Baumaterialien CO2 aufnehmen. Genau dieses Kohlendioxid entsteht in großen Mengen bei der Betonproduktion. Somit haben die lebenden Baustoffe auch einen Einfluss auf Nachhaltigkeit und Effizienz.

Wo kommen Lebende Materialien zum Einsatz?

Lebende Materialien können vielfältig eingesetzt und angewendet werden. Forscherinnen und Forscher haben derzeit folgende Einsatzgebiete im Blick:

  • Synthetische Biologie
  • Intelligente Oberflächen und Strukturen
  • Intelligente Gebäude
  • Energieerzeugung
  • Robotik
  • Gewebetechnik
  • Biotechnologie und Bioverarbeitung

Welche Vorteile und Herausforderungen gibt es für Lebende Materialien?

Lebende Materialien sind noch ein recht junges Forschungsfeld, aber zugleich auch ein schnell wachsendes. Man spricht vom Stadium der Grundlagenforschung. Das rasche Wachstum hängt vermutlich auch damit zusammen, dass in die Lebenden Materialien große Hoffnungen gesetzt werden. Sie sollen Probleme lösen, die künftig zunehmen werden. Trotzdem verweisen Forscherinnen und Forscher darauf, dass gerade bei diesem Themenfeld die Sicherheit besonders relevant ist und entsprechend berücksichtigt werden muss.

Das gilt vor allem dann, wenn auch gentechnisch veränderte Organismen zum Einsatz kommen. Allerdings ermöglichen vor allem gentechnische Verfahren, Lebende Materialien gezielt zu programmieren und auf die gewünschten Anwendungen abzustimmen. Vorteil der Mikroorganismen: Sie sind während ihres Lebenszyklus vollständig recycelbar und damit besonders nachhaltig.

Grundsätzlich bieten Lebende Materialien neue Möglichkeiten in verschiedenen Anwendungsgebieten. Und genau das macht sie eben auch so interessant. Beispiel Medizin: Forschende am Leibniz-Institut für Neue Materialien haben Lebende Materialien aus dünnen Fasern, Mikrokapseln und Membranen hergestellt. Diese können antimikrobielle und regenerative Substanzen produzieren und freisetzen.

Im menschlichen Körper eingesetzt, böten sie Medizinerinnen und Medizinern die Möglichkeit, diese lebendigen Materialien von außen zu steuern und zum Beispiel die von den Organismen erzeugten medizinischen Wirkstoffe adäquat zu dosieren. Bei diesem Beispiel wird der Sicherheitsaspekt besonders deutlich. Schließlich muss gewährleistet sein, dass die Hülle entsprechend robust ist, damit die Mikroorganismen diese keinesfalls verlassen können.

 Wie sehen die Zukunftsperspektiven für Lebende Materialien aus?

Da Lebende Materialien ein so breites Anwendungsspektrum haben, wird ihnen ein entsprechend hohes Potenzial zugeschrieben, die Herausforderungen der modernen Welt zu bewältigen. Denn sie können dank ihrer autonomen, adaptiven und selbstheilenden Eigenschaften in Kombination mit gentechnischen Veränderungen nach Bedarf und Wunsch „designt“ werden. Das macht sie zu dynamischen und reaktionsschnellen Materialien, die von der Natur inspiriert sind.

Gerade für die weitere Entwicklung Lebender Materialien ist es aus Sicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besonders wichtig, dass Forschende aus den verschiedensten Disziplinen zusammenarbeiten: aus Medizin, synthetischer Biologie, Biotechnologie, Materialwissenschaften, Cybergenetik, Informatik und Materialdesign. Seit diesem Jahr gehört das Forschungsgebiet „Lebende Materialien mit Adaptiven Funktionen“ zu den sechs neuen Schwerpunktprogrammen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2023 festgelegt hat und in den nächsten drei Jahren finanziell unterstützen wird. Auch das belegt, welche Bedeutung Lebende Materialien künftig haben können.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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