Europas größtes Entwicklungszentrum für Biopharmazeutika eingeweiht
Kaum ein Arzneimittelsegment wächst schneller als das der Biopharmazeutika. Boehringer Ingelheim reagiert auf diesen Trend und hat in Biberach Europas größtes Entwicklungszentrum für Biotechnologie gebaut. Dort sollen Medikamente aus Zellkulturen gegen Krebs und andere gefährliche Krankheiten entwickelt werden.
Der Pharmariese Boehringer Ingelheim, Deutschlands zweitgrößter Arzneimittelhersteller, hat kürzlich in Biberach, Baden-Württemberg, ein neues Entwicklungszentrum für Biotechnologie eröffnet. Mit einer Fläche von fünf Fußballfeldern und Investitionen in Höhe von 350 Millionen Euro ist es das größte Zentrum dieser Art in Europa. Dort werden Medikamente aus Zellkulturen entwickelt, die das Potenzial haben, Krankheiten wie Krebs und Immunerkrankungen effektiv zu behandeln. Das gesamte Projekt wurde vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE begleitet, das auf Bau und Immobilien spezialisiert ist.
Biopharmazeutika vom Labormaßstab bis zur klinischen Studie
500 Mitarbeitende sollen in dem neuen Gebäudekomplex in Biberach mit dem Namen „Biologicals Development Center“ künftig Wirkstoffe vom Labormaßstab bis zur klinischen Studie herstellen. Das alles erfolgt im Bereich der Biopharmazeutika, das zu den am schnellsten wachsenden Arzneimittelsegmenten der Pharmaindustrie zählt. Generell ist Biberach der weltweit größte Forschungs- und Entwicklungsstandort von Boehringer Ingelheim.
Bei Biopharmazeutika handelt es sich um biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, die neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen eröffnen. Zu nennen sind hier zum Beispiel Krebs, Rheuma oder Multiple Sklerose. Die Herstellung von Biopharmazeutika ist äußerst komplex, so bestehen chemisch-synthetische Wirkstoffe in der Regel aus maximal einigen hundert Atomen. Bei biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln wächst deren Anzahl auf bis zu mehreren tausend an. Hergestellt werden sie mithilfe gentechnischer Produktionsprozesse in lebenden Organismen, zum Beispiel in gentechnisch veränderten Säugetierzellen.
Boehringer Ingelheim setzt auf Reinraumkonzept
Das Unternehmen setzt in dem neuen Entwicklungszentrum auf ein Reinraumkonzept, um optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Es betrifft sowohl die Büro-, als auch die Labor- und Produktionsflächen. Unter einem Reinraum wird ein Raum verstanden, in dem die Konzentration luftgetragener Teilchen sehr gering gehalten wird. Solche Räume braucht es zum Beispiel bei der Halbleiterfertigung, wo Partikel, die in gewöhnlicher Umgebungsluft schweben, integrierte Schaltkreise in ihrer Funktionsfähigkeit stören würden. Ähnlich sensibel reagieren biotechnologische Entwicklungen.
„Das Gebäude stellt dem Bereich Development Biologicals modernste Infrastruktur und flexibles Equipment zur Verfügung. Durch das Gebäudekonzept bringen wir Mitarbeitende, die Prozesse entwickeln, Wirkstoffe herstellen und die Moleküle verstehen, in einen sehr offenen Austausch. Sie werden hier zukünftig eng zusammenarbeiten und Entwicklung auf höchstem Niveau betreiben“, erklärt Ralf Schumacher, Leiter der biotechnologischen Entwicklung bei Boehringer Ingelheim.
Hohe Anforderungen an den Neubau
Das Beispiel mit den Reinräumen zeigt, dass die Anforderungen an Neubau enorm waren, was das Projektmanagement einige Herausforderungen bescherte: „Die Qualitätsansprüche in Life Sciences-Projekten sind enorm, der Zeitdruck bei Super-Fast-Track-Projekten extrem“, erklärt Stefan Göstl, Associate Partner und Head of Life Sciences & Chemicals bei Drees & Sommer. „Die pharmazeutischen Qualitätssicherungssysteme müssen bereits in der Planungs- und Bauphase berücksichtigt werden, ansonsten lassen sich Termin- und Kostenrahmen nicht halten. Wir setzen daher auf das sogenannte integrierte Projektmanagement, das Planung, Bau und Prozesstechnik als Einheit definiert und optimal aufeinander abstimmt.“
Angefangen hat alles mit einer 360-Grad-Analyse des laufenden Projekts. Nachdem der Status Quo bekannt war, konnten die weiteren Schritte definiert werden. Das Team von Drees & Sommer übernahm anschließend diverse Leistungen im Bereich Projekt Management Office (PMO), unterstützte bei der Durchführung der Lean Systeme, beim Auftragnehmermanagement sowie der Inbetriebnahme. Außerdem wirkte das Unternehmen beim Umzugsmanagement und der Steuerung des Pendenzenmanagements mit.
Inbetriebnahme beläuft sich auf 8 bis 15 Prozent der Gesamtinvestitionen
Die Inbetriebnahme des Entwicklungszentrums war besonders heikel, zumal diese bereits vor dem Abzug der letzten Gewerke stattfand. Laut Stefan Göstl ist die letzte Phase nicht nur aus zeitlichen Gründen immer sehr hektisch, sondern hat bei solch komplexen Bauten stets auch einen finanziellen Aspekt: „Die enorme Komplexität der Branche, hohe Sicherheitsstandards und die im Rahmen der Inbetriebnahme einzuhaltenden Regularien führen dazu, dass sich die Inbetriebnahme von Neuanlagen auf acht bis fünfzehn Prozent der Gesamtinvestitionen beläuft. Mangelnde Kenntnisse oder falsche Entscheidungen schlagen dabei schnell sehr teuer zu Buche. Denn jede Inbetriebnahme ist anders und erfordert spezielle Kenntnisse und individuelle Lösungen.“
Dem Gewirr aus vielfältigen Aufgaben, unterschiedlichsten am Bau beteiligten Firmen und einer großen Anzahl von Mitarbeitenden an solch einem umfangreichen Bauwerk, lässt sich mit einem zentralen PMO Struktur geben. „Um die Transparenz der tatsächlichen Projektstände zu erfassen, haben wir ein stringentes Reporting und diverse Tracking-Tools implementiert“, sagt Ulrich Kaufmann, Associate Partner der Drees & Sommer SE. Damit konnten zum Beispiel Lücken rechtzeitig aufgedeckt und geschlossen werden.
Mit dem Progress Tracking & Reporting Tool lässt sich der ursprünglich geplante und der tatsächliche Projektfortschritt gegenüberstellen. Man kann sich das als Frühwarnsystem vorstellen, das es erlaubt, aufkommende Herausforderungen rechtzeitig zu erkennen und aktiv zu verringern. Ulrich Kaufmann zufolge kommt es neben den richtigen Tools aber auch auf die Erfahrungswerte an: „Jede noch so vermeintlich kleine falsche Entscheidung kann sich negativ auf das Gesamtprojekt auswirken und teure Verzögerungen oder Nachträge zur Folge haben.“
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