Virenhemmer aus dem Meer: Goldschwamm als Mittel gegen das Coronavirus?
Forscher an der TU Freiberg beschäftigen sich intensiv mit einem vielversprechenden Virenhemmer aus dem Meer, der als Mittel gegen die Vermehrung des grassierenden neuartigen Coronavirus wirken könnte.
Antivirale Wirkung eines Meeresschwamms
Die weltweiten Bemühungen, eine weitere Ausbreitung des Covid-19-Virus in den Griff zu bekommen, werden von wissenschaftlicher Seite stetig vorangetrieben. An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg könnte sich die jahrelange Forschung an einer besonderen Schwammart der Klasse Hornkieselschwämme nun unverhofft bezahlt machen. Die antivirale Wirkung einer vom Schwamm namens Aplysina aerophoba produzierten chemischen Substanz wurde bereits nachgewiesen und steht sofort für klinische Studien zur Verfügung.
Die TU Freiberg hat mit ihren Forschungen an im Meer lebenden Hornkieselschwämmen bereits im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Dabei analysierten Wissenschaftler der Bergakademie, die als weltweit älteste Montanuniversität gilt, Strukturen des marinen Badeschwammskeletts. Sie entwickelten daraus einen Verbundwerkstoff mit hervorragenden thermischen und mechanischen Eigenschaften, der für die industrielle Herstellung von Katalysatoren dienen könnte.
Darüber hinaus beschäftigen sich Mitarbeiter der Technischen Uni Freiberg seit längerem mit den chemischen Eigenschaften bestimmter Schwammsubstanzen und ihrer potenziellen pharmakologischen Bedeutung. Besondere Aminosäurederivate des Meeresschwamms Aplysina aerophoba sollten mit einer neuen Methode extrahiert und der medizinischen Forschung zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten bereitgestellt werden.
Der Goldschwamm Aplysina aerophoba und seine Besonderheiten
Das Team um Hermann Ehrlich, Leiter des Instituts für Biomineralogie und Extreme Biomimetik, spezialisierte sich bei seinen Untersuchungen auf die überwiegend in warmen Gewässern angesiedelte Schwammart Aplysina aerophoba. Diese gehört zur Klasse der Hornkieselschwämme und wird aufgrund ihrer Farbe und Formgebung auch als Goldener Zapfenschwamm oder Goldschwamm bezeichnet. Der Namensteil aerophoba (Angst vor Luft) rührt von der Eigenheit des Schwammes her, sich an der Luft dunkel zu verfärben.
Für die aktuelle Bedeutung des Goldschwamms rund um Covid-19 ist eine andere Besonderheit des Meeresbewohners maßgeblich. Dabei handelt es sich um Bromtyrosine, deren Wirkung als Virenhemmer bereits diskutiert wurde, als das Projekt der sächsischen Wissenschaftler aus Freiberg im Jahr 2014 startete.
Bromtyrosin als wertvoller Wirkstoff gegen Krankheitserreger
Diese zu den Aminosäuren zählenden Bromtyrosine werden vom Goldschwamm als Abwehrstrategie bei Verletzungen gebildet. Sie entfalten ihre erstaunliche Wirkung nicht nur gegen Viren, sondern gelten aufgrund ihres antitumoralen Effekts auch als Hoffnungsträger in der Krebsforschung. Außerdem halten sich die Schwämme mithilfe von Bromtyrosinen Bakterien und Parasiten vom Leib. Diese umfassende Schutzfunktion, die den Schwämmen das Überleben sichert, wird nun in der Humanmedizin als mögliche Hilfe gegen das neue Coronavirus gehandelt.
Bromtyrosin hemmt die Vermehrung von RNA-Viren, zu denen neben Tollwuterregern, dem Ebolavirus und Influenzaviren auch die Sars-assoziierten Coronaviren gehören. Die Substanz hemmt die Proteinsynthese der Viren und damit deren Vermehrung. Des Weiteren werden die Erreger daran gehindert, in die Körperzellen einzudringen. In den vorklinischen Studien, welche die Freiberger Forscher gemeinsam mit Kollegen des Dresdner Universitätsklinikums Carl Gustav Carus durchführten, zeigte Bromtyrosin zudem keinerlei zytotoxische, also zellschädigende Wirkung.
Schonende Gewinnung des Rohstoffs an der Adriaküste Montenegros
Ein wesentlicher Aspekt des Freiberger Start-ups anno 2014 – also lange Zeit vor dem Auftreten des Erregers Sars-CoV-2 – bestand in der Entwicklung einer effizienten Methode zur Gewinnung der wertvollen Extrakte. Bereits damals bestand für Forschungszwecke ein hoher Bedarf am Rohstoff Bromtyrosin. Der Goldschwamm ist im Mittelmeer weit verbreitet. Hier, in der Stadt Kotor an der montenegrinischen Adriaküste, realisierten die Freiberger Forscher den Aufbau einer speziellen Schwammzuchtanlage.
Sukzessive verfeinerten sie ihr spezielles Verfahren, um die Bromtyrosine zu großen Anteilen aus den Schwämmen isolieren und extrahieren zu können. Genutzt wird für diesen Prozess Mikrowellenstrahlung. Nur ein kleiner Teil des Schwammes wird dabei unter Wasser abgeschnitten, sodass der Organismus sich wieder erholen und weiterwachsen kann. Diese Förderungstechnik ist vergleichsweise schonend und zudem die weltweit einzige, die keine Abfälle verursacht.
Klinische Untersuchungen gegen das Coronavirus sind bereits möglich
In Zusammenarbeit mit Meeresbiotechnologen vom Institut für Marinebiologie in Kotor ist es den Freiberger Wissenschaftlern inzwischen gelungen, die bioaktiven Stoffe in ausreichenden Mengen zu gewinnen, um sie zu medizinischen Zwecken nutzbar zu machen. Die Arbeiten sind so weit fortgeschritten, dass vom Institut für Biomineralogie und Extreme Biomimetik grünes Licht für erste klinische Untersuchungen gegen den Erreger Covid-19 gegeben hat.
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