Aufsicht entwickelt sich für Behörden zur Herkulesaufgabe
In Deutschland müssen Bundesländer kontrollieren, ob Firmen und Händler die vielen Vorgaben der EU-Chemikalienverordnung Reach richtig umsetzen. Eine Herkulesaufgabe, auf die sich Bettina Schröder im Amt für Arbeitsschutz der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz regelrecht freut.
VDI nachrichten: Was bringt Reach für die Aufsicht Neues? Was ist alt?
Bettina Schröder: Neu ist etwa zu überwachen, ob gehandelte oder eingesetzte Chemikalien auch registriert sind. Die Prüfung, ob künftig Chemikalien richtig verwendet werden, ist nur zum Teil neu: Die Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutz ist gut geübtes Geschäft. Neu ist jedoch zu prüfen, ob die Vorgaben eines Lieferanten für das sichere Arbeiten mit einem Stoff vom Anwender auch eingehalten werden.
Wie prüft ein Inspektor, ob Chemikalien registriert sind?
Er besucht ein Unternehmen und fragt nach. Sagt das Unternehmen, wir haben dies und das gemacht und hier sind die Unterlagen, dann kann man relativ rasch einen Haken machen. Komplizierter wird es, wenn der Betrieb sagt, dieser Stoff fällt unter diese oder jene Ausnahme, ist ein Zwischenprodukt oder muss noch gar nicht registriert sein. Dann müssen wir alles genauer prüfen und das kann sehr aufwendig sein.
Wie prüfen Sie die Angaben der Industrie?
Wir machen Gegenchecks. Wir fragen bei der zuständigen Behörde, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, nach, ob die Angaben der Unternehmen zu Registrierungen wirklich zutreffen. Das wird künftig einfacher. Die EU-Chemikalienagentur (Echa) bereitet eine Datenbank für Aufsichtsbehörden vor.
Wird es Reach-spezifische Kontrollgänge geben?
Meist nein. Manches ist Bestandteil unserer Überwachung. So wird die Prüfung, ob Sicherheitsdatenblätter in der Lieferkette weitergegeben werden, typischerweise Bestandteil der Arbeitsschutzüberwachung sein. Wir werden aber auch Schwerpunkte setzen und mal genauer hinsehen wollen.
Geschieht das schon?
Ja. 2009 wurde das Enforce 1-Projekt durchgeführt. EU-weit prüften Aufsichtsbehörden, ob Betriebe sich an die Registrierungspflichten halten. Damals war das fast gleichbedeutend mit der Frage, ob die Betriebe ihre Vorregistrierungen durchgeführt haben, um die Übergangsfristen für die Registrierung alter Stoffe nutzen zu können. Wir hatten uns daran beteiligt und haben uns gefreut, wie gut Hamburger Betriebe vorbereitet sind.
Wir wollen 2011 auch am zweiten EU-weiten Projekt teilnehmen. Wir wollen hier etwa Formulierer, also Firmen, die aus verschiedenen Stoffen gebrauchsfertige Produkte wie Klebstoffe oder Lacke mischen, überprüfen.
Gibt es etwas unverwechselbar auf Hamburg Bezogenes?
Wir haben 2007 in 10 Betrieben deren Betriebsorganisation in Bezug auf das Chemikalienrecht geprüft, sprich ob es für die verschiedenen Aspekte und Abläufe Verantwortliche gibt und wie Änderungen der Gesetze weitergegeben werden.
Warum?
Dies waren Betriebe, die sich nach unserer Erfahrung als positive Beispiele eignen. Mit den Ergebnissen haben wir eine Checkliste „Betriebsorganisation Chemikalienrecht“ erstellt, die wir für eine chemikalienrechtliche Risikoklassifizierung von Unternehmen nutzen wollen. Firmen, die hier Defizite haben, sollen beraten werden. Und als problematisch erkannte Firmen können gezielter überwacht werden. Langfristig wollen wir die Organisation von Chemikalienrecht in den Betrieben verbessern und so die Zahl der Verstöße verringern.
Das hatte aber mit Reach nichts zu tun, oder?
Stimmt. Aber wir gehen davon aus, dass Betriebe, die sich hier gut aufstellen, eher in der Lage sind, neue Vorschriften wie die der Reach-Verordnung einzuhalten. Solche Firmen sinken im Risikoprofil ein bisschen tiefer als jene, in denen irritiert geschaut wird, wenn wir nach Reach fragen.
Der Kern von Reach ist ja, dass Betriebe mit dem neuen Wissen aus den erweiterten Sicherheitsdatenblättern mit Sicherheitsbewertung die Gefährdung richtig beurteilen …
Ja, das ist eigentlich die Königsdisziplin von Reach. Die Stoffe sind in einigen Jahren bewertet, man weiß, womit man es zu tun hat und jetzt müssen alle angemessene Schutzmaßnahmen für Beschäftigte, Verbraucher und Umwelt treffen. Dazu muss ich als Kontrolleur auch wissen, wie sieht es am Arbeitsplatz aus, wie setzen Betriebe etwa Farben, Lacke oder Sprays ein. Doch das wird langsam anfangen. Hersteller und Importeure werden erweiterte Sicherheitsdatenblätter schrittweise erstellen.
Dennoch – das klingt nach einer richtigen Herausforderung für ihre Mitarbeiter …
… ja, das ist auch eine. Aber wir bilden unsere Inspektoren ständig fort. Und ich bewundere immer wieder unsere Kollegen, mit welchem Schwung sie sich in diese neuen Aufgaben hineinarbeiten.
Wo liegen Probleme?
Im Arbeitsschutz gibt es für die Gefährdungsbeurteilung bereits Ansätze, im Umweltschutz sehe ich das noch nicht so. Hier fehlen noch Leitlinien, wie die künftigen Ergebnisse von Reach etwa im Immissionsschutz, im Gewässerschutz oder im Abfallbereich einzusetzen sind.
Zu Reach gehört auch die Marktüberwachung …
Das ist nicht neu. Auch vor Reach wurde der Einsatz von Chemikalien eingeschränkt. Das prüfen wir regelmäßig. So haben wir letzten Monat auf Weihnachtsmärkten Öllampen geprüft und unsere Inspektoren schlugen die Hände über den Kopf zusammen. Immer wieder prüfen Mitarbeiter auch in Betrieben, Supermärkten und im Einzelhandel, ob bestimmte Produkte die Vorschriften einhalten. So darf Cadmium in der Regel zu nicht mehr als 0,1 % in einigen Kunststoffen enthalten sein. Das sind Klassiker.
Wie organisiert die Stadt Hamburg eigentlich die Reach-Aufsicht?
Wir bündeln sie im Amt für Arbeitsschutz. Einzelne Regelungen wie die Beschränkung von Weichmachern in Spielzeug werden aber von anderen Stellen wie der Lebensmittelüberwachung der Bezirke umgesetzt. Es gibt aber keine Vorgaben aus der Verordnung selbst: Viele Bundesländer organisieren die Aufsicht daher anders.
Hat die Stadt extra Personal eingestellt?
Nein, das Amt ist nicht größer geworden. Die Reach-Aufsicht fügt sich in bestehende Bereiche des Arbeits- und Verbraucherschutzes ein. Wir haben in Hamburg 79 Inspektoren in der Gewerbeaufsicht, von denen zehn regelmäßig mit Chemikalienrecht und mit Reach befasst sind.
Das Besondere an Hamburg ist ja der Hafen. Arbeiten Sie mit dem Zoll zusammen?
Ja. Das ist zwar nicht ausdrücklich Vorschrift nach Reach, wohl aber nach der EU-Marktüberwachungsverordnung. Einfuhren zu kontrollieren ist aber eine Herausforderung. Denn es ist ja kaum zu erkennen, ob das, was in Containern gehandelt wird, den Regeln von Reach entspricht. Man sieht etwa Kunststoffen ihren Cadmiumgehalt nicht von außen an, er steht auch nicht in den Begleitpapieren.
Wie wollen Sie dennoch ein Auge auf die Einfuhren haben?
Wir können etwa Verkehrswege filtern und auffällig gewordene Produktgruppen ins Visier nehmen. Ist ein schwarzes Schaf bekannt, das Rohstoffe oder Produkte immer über den Hamburger Hafen einführt, können wir gemeinsam mit dem Zoll gezielt Frachtpapiere prüfen und Proben ziehen.
Wichtig ist auch, dass überall in der EU die Reach-Vorgaben gleichermaßen eingehalten und auch kontrolliert werden …
Dafür gibt es bei der Echa das Reach-Forum. Hier treffen sich regelmäßig Aufsichtsbehörden, tauschen sich aus und sprechen sich ab. In der Arbeitsgruppe „Zusammenarbeit mit den Zollbehörde“’ wird etwa besprochen, nach welchen Kriterien Zoll und Aufsichtsbehörden Einfuhren kontrollieren sollen. Darüber müssen wir uns noch verständigen. Wir stehen hier am Anfang.
Und ein letzten Wort: Wie ist die Zusammenarbeit mit der Industrie?
Gut. Wir haben ja den fairen Wettbewerb als gemeinsames Ziel! Firmen, die sich nicht an Regeln halten und billigere und oft auch gefährliche Produkte in den Markt bringen, verschaffen sich ja Wettbewerbsvorteile. Und das wollen weder wir noch die Industrie. Ergänzen möchte ich, dass es seit 2007 das Reach-Hamburg-Netzwerk gibt. Hier tauschen sich vierteljährlich Behörden und Industrie aus. Das Netzwerk hat vier Jahre lang die Wirtschaftsbehörde allein gefördert, jetzt wird es durch Beteiligung der Firmen aufrecht erhalten.
RALPH AHRENS
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