Chemie 13.05.2011, 19:53 Uhr

Die Düsseldorfer Fleckenmacher

Mit rund 50 000 Arbeitsplätzen in Industrieunter- nehmen ist Düsseldorf ein wichtiger Industriestandort. Eines, wenn nicht das wichtigste Unternehmen: Henkel. Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetik und Körperpflege, Kleb- und Dichtstoffe – all das wird seit über 100 Jahren im Düsseldorfer Stadtteil Holthausen verwaltet, produziert, entwickelt und erforscht. Flecken sind dabei die Basis für die Formulatur so mancher Produkte.

Hans-Jürgen Riebe kennt sich in Supermärkten aus. Die neueste Marmelade, die leckere Spaghetti-Soße, der frisch eingeführte Smoothie-Drink – Riebe findet alles, was Flecken macht. Wen wundert“s, sind doch Verschmutzungen das Spezialgebiet des promovierten Chemikers, der Abteilungsleiter Testtextilien und Anschmutzungen bei Henkel, Deutschlands Wasch- und Reinigungsmittelkonzern Nr. 1, ist.

Lappen mit jeweils 15 bunten Flecken sammeln sich in Riebes Labor – aufgehängt an einer Schiene an der Decke. Sie stammen alle aus der eigens entworfenen Wäscheanschmutzstation, in der die Lappen mit Gras, Motoröl oder eben Spaghetti-Soße behandelt wurden. Per Spritze landet eine exakt abgemessene Menge auf dem Baumwollmisch-Gewebe und wird dann mit rotierenden Schwämmchen eingerieben. Ein Mitarbeiter achtet akribisch auf die Herstellung der Flecken. „Hier dürfen uns keine Fehler unterlaufen, sonst ist das Waschergebnis qualitativ nicht nachvollziehbar“, erklärt Riebe und ergänzt stolz: „Wir stellen pro Jahr weit über 1 Mio. Flecken her.“

Flecken stellen die Grundlage für eines der wichtigsten Geschäftsfelder des Düsseldorfer Konzerns dar. Oder wie Arndt Scheidgen, Leiter der globalen Produktentwicklung für Wasch- und Reinigungsmittel bei Henkel, es formuliert: „Von diesen Testmaterialien hängen unsere Waschmittelprodukte ab.“

Und die haben hier im Düsseldorfer Süden eine lange Tradition. Bereits seit 1900 produziert Henkel im Stadtteil Holthausen – Henkels Bleich-Soda galt als erster Markenartikelerfolg. Längst stehen neben den alten Backsteinbauten viele neue Gebäude aus Stahl und Glas. Die Marken von heute, die für rund 29 % des Konzernumsatzes sorgen, heißen Persil, Weißer Riese, Terra, Perwoll, Spee, Dixan, Vernel, Pril, Somat, Sidolin, Bref und Dato.

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Doch zurück zu den Fleckentüchern: Sie lagern rund eine Woche im Dunkeln, um dann „dem Waschprozess zugeführt zu werden“, wie es die Chemiker ausdrücken. Enzyme, Tenside, Bleichen – all die geheimen Rezepturen von Persil & Co. müssen dann mithilfe der Fleckentücher unter Beweis stellen, was sie drauf haben. Nur so können die Formulierer die verschiedenen Komponenten in den Waschmitteln zusammenstellen: Tenside gegen Fette, Proteasen gegen Eiweiße, Bleiche gegen Rotwein- und Saftflecken – die Mischung machts.

„Entscheidend ist, dass all die Flecken standardisiert sind“, erklärt Scheidgen. Da ständig kontrolliert und entsprechend nachkorrigiert werden muss, sind hier Handarbeit und Augenmaß gefragt. Zudem müssen die Düsseldorfer stets up to date sein und auf neueste Produkte reagieren. „Nur wer weiß, wie die Farben und Komponenten aktueller Lippenstifte aussehen, kann auch mit Wachmitteln darauf reagieren“, berichtet Riebe. Asiatische Gewürzmischungen, zähflüssige Öle, Fruchtsäfte aller Art sind für Riebe und seine Mitarbeiter immer wieder eine neue Herausforderung.

Direkt nebenan steht die Maschine, die über das Wohl und Wehe der Waschmittelrezepturen entscheidet. Auch die Fleckenkontrollmaschine ist ein Unikat. Lichtblitze sausen über die Flecken, mit ausgeklügelter Optik werden Helligkeit und Farbwerte gemessen. „Wir richten uns hier nach internationalen Standards und sind deutlich präziser als das menschliche Auge“, sagt Riebe. Und beschreibt, wie die Messprotokolle dann an Datenbanken weitergeleitet und ausgewertet werden. Welche Rezeptur eines Waschmittels hat welchen Fleck bei welcher Temperatur und Waschdauer geknackt? Das fragt sich die Nr. 3 im weltweiten Waschmittelmarkt hier täglich.

Doch Industrieforschung betreibt der Düsseldorfer Konzern nicht nur für die „Waschküche“. Auch beim Geschirrspülen wollen die Experten bei Henkel ein optimales Reinigungsergebnis erzielen – selbst bei hartnäckigen Teebelägen in Tassen.

Chemieingenieur Arndt Kessler, Abteilungsleiter Hausgeräte-Technologie & Testmethoden bei Henkel, hat dafür mit seinem Team eigens einen Teetrinksimulator erfunden. Vorne füllt dieser die Tassen mit frisch aufgebrühtem Tee, die hinten schlückchenweise wieder „leergetrunken“ werden. Dazu saugt das Gerät in mehreren Schritten den Tee langsam wieder aus der Tasse heraus.

„So erhalten wir die typische Ringstruktur am Geschirr, wie sie sich beim Trinken Schluck für Schluck an der Innenwand der Tasse niederschlägt“, erläutert Kessler.

Die standardisierten Teebeläge dienen nun als Testmonitor für die Kraft der Bleiche im Geschirrspülmittel, „denn anders können wir diesen Teeablagerungen nicht begegnen“, so Kessler.

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Selbstverständlich belassen die Henkel-Forscher es nicht bei Tee. In ihrem Labor lassen sie auch Eigelb, Hackfleisch, Milch und eine spezielle Stärkemischung nach Plan auf dem Geschirr antrocknen, um anschließend überprüfen zu können, wie stark die Reinigungskraft ihres Geschirrspülmittels tatsächlich ist.

Jüngste Errungenschaft im Düsseldorfer Konzern: ein maschineller Telleranschmutzer, der von Roboterhersteller Kuka und dem Automatisierungsspezialisten Momac nach Anforderungen der Henkel-Ingenieure entwickelt und gebaut wurde. Er bringt eine Spezialmischung aus Kartoffel-, Weizen-, Reis- und Maisstärke in exakt vorgegebener Menge auf die Teller auf. Wie ein Jongleur schwenkt der Roboterarm zwischen Tellerregal, Waage und Stärkevorratsbehälter hin und her. Seine sieben Achsen verleihen ihm die nötigen Freiheitsgrade, um handähnliche Bewegungen durchzuführen.

Durchaus nach Handarbeit sieht es noch beim „Teststoff“ Ei aus. Ein Labormitarbeiter bepinselt dafür hingebungsvoll genormte Edelstahlplatten mit gequirltem Eigelb.

„Wir schaffen hier im Labor 250 000 bis 300 000 Anschmutzungen pro Jahr“, berichtet Kessler stolz. Im Gegensatz zur Waschmittelforschung für Textilien lässt es sich mit der Basis Geschirr leichter hantieren als mit Fasern. „Curry und Kurkuma sind für uns kein Problem, die Gewürze lösen sich bereits im ersten Wasserstrahl vom Porzellan“, weiß Henkels oberster Tellerwäscher.

Heute wird allgemein weniger heiß als früher gespült, trotzdem soll das Geschirr sauber werden. Dafür setzt Henkel „smarte Chemie“ ein. Enzyme zum Lösen von Eiweiß, Fett und Stärke sowie Tenside im Spülmittel müssen so formuliert sein, dass Gläser und Töpfe selbst nach einem Kurzprogramm der Maschine glänzen.

Regelmäßig erfinden die Düsseldorfer Forscher Zusatznutzen fürs Spülmittel: etwa den Spezialschutz gegen Glaskorrosion oder den Schnelltrockeneffekt für Tupperware. Jüngste Innovation des Chemiekonzerns, die schon in Supermärkten zu finden ist: ein Flüssigspülmittel für das ultrakurze Spülprogramm. Denn je kürzer das Geschirr in der Maschine verweilt, desto schneller muss sich das Spülmittel im Waschwasser auflösen. Ergebnis der Henkel-Forschung: ein Multifunktionsgel, das selbst hartnäckige Verschmutzungen lösen soll. Hier liegen die empfindlichen Enzyme getrennt von anderen Komponenten vor, damit sie sich nicht schon vor dem Einsatz in ihrer Wirkung blockieren.

Doch wohin geht der Trend? In diesem Punkt haben Spül- und Waschmittel vieles gemein: In beiden Produktsparten ist bei den jeweiligen Maschinen Energieeffizienz gefragt, Wasserverbrauch und Temperatur sinken bei den Geräten folgerichtig stetig. Wenn Hersteller wie Bosch, Siemens oder Miele Rekorde in puncto Wasser- oder Stromverbrauch aufstellen, dann heißt das übersetzt für die Reinigungsmittel, dass sie immer leistungsfähiger, immer schneller im Prozess aktiv werden müssen.

Das wissen die Chemiker und Ingenieure bei Henkel und den großen internationalen Konkurrenten Procter & Gamble und Unilever. Zugleich werden die Rezepturen für Lebensmittel, Kosmetika und vieles mehr immer vielfältiger. „Smoothies oder ‚long lasting Make-ups‘ – all das gab es vor Jahren noch gar nicht“, erzählt Riebe. Die Fleckenmacher im Düsseldorfer Süden werden also auch in den nächsten Jahren jede Menge zu tun haben.

B. RECKTER / R. BÖNSCH

Ein Beitrag von:

  • Bettina Reckter

    Bettina-Reckter

    Redakteurin VDI nachrichten
    Fachthemen: Forschung, Biotechnologie, Chemie/Verfahrenstechnik, Lebensmitteltechnologie, Medizintechnik, Umwelt, Reportagen

  • Regine Bönsch

    Regine Bönsch

    Redakteurin VDI nachrichten
    Fachthemen: Telekommunikation, Mobilfunk, Automobilelektronik, autonomes Fahren, E-Mobilität, Smart Home, KI, Datenschutz/IT-Sicherheit, Reportagen

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