Chemiepolitik 12.03.2010, 19:45 Uhr

„Die Komplexität von Reach haben alle unterschätzt“  

Die Zeit läuft. Bis zum 30. November müssen Chemiefirmen etliche Substanzen bei der europäischen Chemikalienagentur Echa in Helsinki registrieren lassen. Doch die Unsicherheit ist groß, viele Fragen sind nach wie vor offengeblieben. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und auch die EU-Kommission bieten derweil den Unternehmen Hilfestellung an. VDI nachrichten, Frankfurt/M., 12. 3. 10, ber

Die erste Frist ist der 30. November. Hersteller oder Importeure von Chemikalien, die eine jährliche Produktions- oder Einfuhrmenge von 1000 t übersteigen, müssen bis dahin umfangreiche Datensätze über chemische Zusammensetzung und Gefährdungspotenzial der darin enthaltenen Substanzen an die zuständige EU-Chemikalienagentur (Echa) in Helsinki schicken. Das gilt ebenso für krebserregende, erbgut- oder fruchtbarkeitsschädigende Stoffe ab einer jährlichen Herstellungsmenge von 1 t sowie für Stoffe, die für Wasserorganismen sehr giftig sind, ab 100 t/Jahr.

Das Regelwerk ist sehr komplex, der Beratungsbedarf entsprechend nach wie vor groß. So besuchten rund 1000 Vertreter von Chemiefirmen eine Informationsveranstaltung des VCI zur Umsetzung von Reach am 8. März in Frankfurt. „Alle – die EU-Kommission, die Behörden und auch die Industrie – haben die Komplexität von Reach unterschätzt“, kommentierte Uwe Wolfmeier von Clariant International. Es sei vor allem die Registrierung der Chemikalien, die mehr Zeit benötigt, als Gesetzgeber und Behörden gedacht hatten.

Zum Beispiel müssen nun Konkurrenten auf dem Markt zusammenarbeiten: Denn Firmen, die ein und dieselbe Substanz vermarkten, sollen ein gemeinsames Registrierdossier vorlegen. Dazu aber müssen sie sich absprechen. Fehlen einer Firma Daten, soll sie diese von anderen Firmen besorgen der Preis muss ausgehandelt werden. Diese Absprachen finden zurzeit in 56 000 virtuellen, also elektronischen Kommunikationsforen – den Substance-Information-Exchange-Foren (SIEF) – statt. Bislang erweisen sie sich als äußerst kompliziert und zeitraubend.

Zudem müssen sich Firmen immer wieder neu orientieren. Echa in Helsinki aktualisiert zwischenzeitlich Leitfäden zur Umsetzung sowie die Software zur Registrierung von Substanzen. Das alles ist nichts für unruhige Gemüter, meinte ein Teilnehmer der VCI-Konferenz. Für ihn bedeute die Abkürzung Reach daher „Risiko erhöhter Anfallhäufigkeit bei Cholerikern und Hysterikern“.

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Die EU-Kommission wie auch die Echa sehen diese Schwierigkeiten. Sie gründeten deshalb gemeinsam mit sechs Industrieverbänden die Directors Contact Group (s. Kasten). Diese soll bis Juni 2010 bürokratische Hemmnisse für die erste Registrierungsphase identifizieren und ausräumen.

Die VCI-Reach-Expertin Angelika Hanschmidt ermuntert Firmen daher, über große Probleme bei der Umsetzung zu berichten: „Wir setzen uns dann mit dem EU-Chemieverband Cefic zusammen und suchen nach Lösungen.“ Das Gesetz könne zwar nicht verändert werden, ein pragmatisches Vorgehen sei aber oft möglich. So verzichte die Kommission bereits darauf, so Hanschmidt, dass eine Firma die Ergebnisse bestimmter Kurzzeitstudien nicht vorlegen muss, wenn das Unternehmen Vorschläge für eine Langzeitstudie wie etwa einen 90-Tage-Test einreicht.

Reach bedeutet auch erheblichen Aufwand für Hersteller von Mischungen wie Lacke, Farben und Reinigungsmitteln. Diese Formulierer erhalten bald Sicherheitsdatenblätter mit Expositionsszenarien, in denen beschrieben wird, wie eine Substanz oder ein Gemisch sicher eingesetzt werden kann. Die Hersteller müssen daraus dann die Sicherheitsdatenblätter für ihre eigenen Mischungen entsprechend anpassen.

„Jeder Formulierer hat drei Möglichkeiten“, rechnete Dirk Bunke vom Öko-Institut, Freiburg, vor. Er könne erstens für das Sicherheitsdatenblatt seines Produktes ein eigenes Expositionsszenario erstellen. Oder er könne zweitens die Expositionsszenarien, die er erhalten hat, weiterleiten. Das klinge zwar einfach, so Bunke, gehe aber nur, wenn die Angaben zu den Stoffen auch auf das Produkt zutreffen. Oder er könne drittens die Informationen aus den Datenblättern der Rohstoffe in den Hauptteil des Sicherheitsdatenblattes zusammenfassen. „Das ist aber beispielsweise bei einem Lack mit 39 Inhaltsstoffen nicht einfach“, so Bunke.

Der Formulierer kann sich aber auf die risikobestimmenden Leitsubstanzen einer Mischung konzentrieren. Für viele Mischungen genügt es, jeweils eine Leitsubstanz für fünf mögliche Aufnahme- beziehungsweise Belastungswege zu analysieren: für die Inhalation, den Hautkontakt, fürs Verschlucken, für den Augenkontakt sowie die Belastung der Umwelt.

Der Grundgedanke dahinter ist einfach, erläuterte Ökotoxikologe Christian Bögi von der BASF: Wird mit Leitsubstanzen sicher umgegangen, geht auch von der Mischung keine Gefahr mehr aus. Besonders problematische Inhaltsstoffe eines Gemisches, die etwa Krebs erzeugen oder Augen reizen können, müssen in jedem Fall extra bewertet werden.

Wie ein Formulierer die relevanten Informationen aus mehreren Sicherheitsdatenblättern zusammentragen kann, zeigt der VCI in dem Praxisführer zur Expositionsbewertung und zur Kommunikation in den Lieferketten. R. AHRENS

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Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

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