„Die Pharmaindustrie ist im Umbruch“
Bei L. B. Bohle in Ennigerloh ist man überzeugt: Die Pharmaindustrie steht vor einem tief greifenden Umbruch. Das Unternehmen erwartet künftig mehr kontinuierliche und zunehmend automatisierte Prozesse. Mittendrin in der Forschung: Dejan Djuric. Sein Job: zwischen Pharmazeut und Maschinenbauer vermitteln.
Heute – mit nur 33 Jahren – ist Djuric Wissenschaftlicher Leiter beim Pharmamaschinenbauer L. B. Bohle in Ennigerloh. Rein geografisch liegt sein Arbeitsplatz ganze 75 km westlich seiner alten Fakultät. Ganz praktisch liegt er „auf der Schnittstelle zwischen Apotheker und Maschinenbauer“.
Der Ingenieur fragt: „Wie rau soll die Oberfläche sein?“ Dem Pharmazeuten ist der Unterschied zwischen einer Kreisel- und einer Drehkolbenpumpe im Zweifel egal – die Maschine soll eben leisten, was er ins Lastenheft geschrieben hat. Zwischen den beiden sprachlich und gedanklich zu vermitteln macht Dejan Djuric Spaß. Und es lohnt sich. „Können wir den Maschinenbediener überzeugen, bekommen wir später meist den Auftrag“, sagt der Pharmatechnologe.
Djuric verantwortet bei L. B. Bohle ein Labor mit dem simplen Namen „Service Center“, hinter dessen grauer Fassade sich Hightech verbirgt. Oben befinden sich Büros, unten erstreckt sich das „U“, ein technischer Bereich in Hufeisenform. Hierhin führt er Kunden, die genau wissen wollen, ob die Maschinen und Anlagen von L. B. Bohle zu ihnen passen. Im Gepäck haben sie meist ihre eigenen Wirk- und Hilfsstoffe.
Hinter einer Personenschleuse finden sie im „U“ acht rechteckige Nischen, in denen je eine Maschine im Pilotmaßstab aufgestellt ist. Ein Teil davon sind Handlingmaschinen. Das sind Maschinen, die nur eine Funktion erfüllen: etwa Wiegen oder Sieben. Die anderen nennen sie bei L. B. Bohle Prozessmaschinen. In diesen spielen sich jeweils gleich mehrere Operationen ab. Kunden können auf den realen Maschinen ihre Prozesse laufen lassen und sich ein Bild machen, bevor sie sich für eine Anlage entscheiden.
Dejan Djuric durchschreitet das „U“ im weißen Apothekerkittel. Im Uhrzeigersinn läuft er unter anderem an einer Einwaage, verschiedenen Granulierern und einem Tabletten-Coater vorbei. „Keine Ecken, keine Kanten, kein unnötiger Schnickschnack“, fasst Djuric für den Besucher zusammen – und meint die Maschinen.
Scheinbar spricht das die Kunden an. Denn das Unternehmen wächst kräftig. Nach 20 % Umsatzwachstum im Jahr 2011, dürften es 2012 rund 40 % geworden sein – längst ist der Umsatz des Vorkrisenjahres übertroffen. Dabei schreibt L. B. Bohle schwarze Zahlen.
Auch das Äußere des Stammsitzes Ennigerloh I spricht von Wachstum. Dort umzingeln Gebäude völlig unterschiedlicher Größen und Baustile einen kleinen Garten mit Teich und Springbrunnen. Münsterländische Landidylle inmitten architektonischer Sachlichkeit. Der Platz um den Teich ist erschöpft und so hat L. B. Bohle 2000 ein Werk im 20 km entfernten Sassenberg eröffnet. Im Herbst 2013 soll ein dritter Standort – Ennigerloh II – fertiggestellt werden.
Das neue Werk soll dem Pharmamaschinenbauer helfen, seine Produktion zu straffen. Aus der Autoindustrie unter dem Begriff „lean management“ bekannt, geht es darum, ein Minimum an Ressourcen einzusetzen. Nur so kann das Unternehmen, das an seine Kapazitätsgrenzen gelangt ist, weiter wachsen. In Einzelfällen, rechnet man hier vor, könnten Maschinen rund 45 % schneller gebaut werden.
Der Sinneswandel fällt mitten in eine Neuorientierungsphase der Kunden aus der Pharmaindustrie. „In der Vergangenheit wurden viele Prozesse nicht hinterfragt, weil sie meist funktionierten. Heute ist das nicht mehr möglich“, sagt Dejan Djuric. Künftig erwartet er in der Medikamentenproduktion mehr kontinuierliche und stark automatisierte Prozesse. Doch diese Entwicklung würde lahmen, würden nicht noch mehr genaue Kenntnisse der Prozesse gesammelt.
Genau das ist Aufgabe von Dejan Djuric. Als Grundlagenforscher sieht er sich dennoch nicht, als pragmatischer Grundlagenforscher schon eher. „Lösungsfinder, das trifft es.“ Er genießt an seinem jetzigen Job die Verantwortung, aber auch flache Hierarchien und Teamarbeit bei dem Mittelständler.
An Vergleichen innerhalb der Branche mangelt es ihm nicht. Nachdem er seine Diplomarbeit bei Merck in Darmstadt geschrieben hatte, zog es ihn zunächst zu Abbott nach Ludwigshafen. Dort fühlte sich Djuric ohne Doktortitel schnell gedeckelt und so begann er nach nur einem Jahr seine Promotion an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, um anschließend als Laborleiter zu BASF zu gehen – abermals nach Ludwigshafen.
Dann kam der Anruf von L. B. Bohle und damit die Chance, mit einem Schlag in eine verantwortungsvollere Position zu wechseln. Djuric sagte zu und kann nun „vielfältige Aufgaben anpacken und Lösungen ohne lange Umwege kreieren“. Dafür tauschte er sein Büro im achten Stock des BASF-Konzerns mit einem Büro im ersten Stock in Ennigerloh ein. Wenn er aus dem Fenster blickt, sieht Djuric jetzt grüne Felder statt chemischer Industrieanlagen.
Unbekannt war ihm L. B. Bohle nicht: Die Pharmatechnikbranche ist klein, und der Name Bohle in Fachkreisen ein großer. „Bohle wird unter pharmazeutischen Anlagenbauern in den Top 5 genannt“, sagt Djuric.
L. B. Bohle ist zwar ein absoluter Spezialist und beliefert ausschließlich die Pharmaindustrie. Innerhalb dieser Branche ist die Kundschaft allerdings breit gestreut. „Wir beliefern sowohl den Originator als auch den Generika-Hersteller“, sagt Djuric. Er geht davon aus, dass in nahezu jedem Pharmaunternehmen der Welt mindestens eine Komponente aus den beiden Werken in Ennigerloh und Sassenberg stammt. Technologieführer seien die Westfalen insbesondere bei den zukunftsträchtigen Coatern, also Anlagen, die die Medikamente mit einem Überzug versehen, der steuert, wo im Körper sie ihre Wirkung entfalten.
L. B. Bohle macht 30 % seines Umsatzes in den USA und knapp 20 % in Deutschland – unwahrscheinlich, dass sich das bald dramatisch ändert. Denn die Pharmaindustrie ist aufgrund der langen klinischen Testphasen zwangsläufig eine langsame Branche, in der die Kunden Wert auf Kontinuität legen. „So schwer es ist Fuß zu fassen, so nachhaltig können die Geschäftsbeziehungen sein“, sagt Djuric. IESTYN HARTBRICH
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