Dieser Lack könnte Reedereien Millionen sparen
Biofouling verursacht jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Ein spezieller Lack soll helfen, Schiffswände und Windkraftanlagen für Mikroorganismen unsichtbar zu machen.
Was nach dem Tarnkappenflugzeug F-117 oder dem Air-Force-Flieger B2 klingt, soll tatsächlich zivilen Zwecken dienen. Der vom Essener Spezialchemiehersteller Evonik Industries beworbene Lack wird nämlich nicht Flieger vor feindlichem Feuer verbergen, sondern Handelsschiffe vor Kleinstlebewesen. Diese sind nämlich gleich doppelt schädlich: Zum einen sind sie natürliche Feinde einer effizienten Schifffahrt, zum anderen beschleunigen sie den Klimawandel. Denn durch biologische Verschmutzung, neudeutsch auch Biofouling genannt, entstehen jährlich Kosen in Milliardenhöhe, wie die International Maritime Organization schätzt.
Problem Biofouling – so machen Kleinstlebewesen Schiffen zu schaffen
Ein Schiffsrumpf stößt im Wasser auf einen enormen Widerstand. Je größer dieser Widerstand ist, desto mehr Treibstoff muss das Schiff aufwenden, um auf Geschwindigkeit zu bleiben. Um diesen Widerstand zu minimieren, sind Schiffe hydrodynamisch geformt und ihre Lackierung soll den Strömungswiderstand ebenfalls möglichst gering halten. Letzteres funktioniert aber nur so lange wirklich verlässlich bis das Schiff von Algen, Mikroorganismen und Muscheln überwuchert ist. Dieser Prozess wird Biofouling genannt und erhöht den Strömungswiderstand sowie das Gewicht des Schiffes. Der Treibstoffverbrauch steigt dabei um bis zu 30%, verständlicherweise wollen die Reedereien also aus ökonomischer Sicht gegen den Bewuchs vorgehen. Zuletzt war es Ingenieuren der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA) gelungen, eine künstliche Delfinhaut zu entwickeln, die den Spritverbrauch senkt.
Doch auch aus ökologischer Sicht ist das Biofouling extrem schädlich, denn der Kohlenstoffdioxidausstoß von Schiffen ist einer der größten Übeltäter im Klimawandel. Den Verbrauch an Schiffsdiesel möglichst gering zu halten, ist also im Interesse des gesamten Planeten. Bisher griffen Reedereien dabei größtenteils auf Biozide zurück. Diese Pestizide töten den Bewuchs ab, sind aber selbst nur schwer abbaubar. Das ist gut für die Schiffe, doch der sich bildende Bewuchs formt in freiem Wasser auch Korallenriffe. Der Einsatz von Pestiziden ist entsprechend nicht die umweltbewussteste Methode, um gegen Biofouling vorzugehen.
Besser ist da eine physikalische Vorgehensweise, etwa spezielle Beschichtungen. Man spricht hier von Silicone Fouling Release Coating, kurz SFRC. Diese Art von Beschichtung zeichnet sich durch eine extrem glatte Oberfläche aus, erodiert nicht und ist seewasserbeständig. Für private Anwender und kleinere Boote wie Sportboote im Süßwasser werden wiederum andere, nämlich reinigungsfähige Beschichtungen eingesetzt. Damit können die Schiffe manuell oder in Waschstraßen regelmäßig von organischem Bewuchs befreit werden. Evonik greift beim Tarnumhang für Schiffe auf ein physikalisches Verfahren zurück, dass nicht aus einer durchgängig glatten Oberfläche besteht. Stattdessen lassen unterschiedliche Schichten im Schiffslack den Rumpf wie Wasser wirken.
Der Lack von Evonik macht Schiffe „unsichtbar“
Für Organismen ist der neue Lack von Evonik biologisch vollkommen unbedenklich. Das Verfahren macht sich lediglich verschiedene physikalische Effekte zunutze. Die Essener setzen für die Schiffslackierung abwechselnde hydrophobe und hydrophile Polymere ein. Während die hydrophoben Schichten das Wasser abstoßen, ziehen die hydrophilen Schichten das Wasser direkt an den Rumpf des Schiffes. So entsteht eine wechselseitige Abstoßung und Anziehung, eine Art Wasserhülle schließt sich um den Rumpf des Schiffes.
Die Meeresorganismen können nicht mehr erkennen, ob es sich bei dem Schiff um ein festes Objekt handelt oder ob sich lediglich noch mehr Meerwasser vor ihnen befindet.
Die hydrophobe (also wasserabweisende) Schicht funktioniert dabei wie andere Silikonschichten auch. Sie besteht aus einem Silikon-Hybridharz und Meereslebewesen können sich dadurch nicht an den Rumpf haften. Diese Schichten am Rumpf sind nicht nur extrem glatt, sondern bieten Muscheln und anderem Bewuchs auch nur eine sehr geringe Oberflächenspannung. Dadurch wird die Schicht in der Theorie besonders leicht zu reinigen: In der Praxis reicht bereits das Wasser der Fahrtströmung, um den Rumpf zu säubern.
Der Tarnlack ist noch in der Testphase
Ganz serienreif ist die Neuentwicklung des Tarnlacks aber noch nicht, bisher finden gerade einmal Feldtests statt. Unter realen Bedingungen möchte Evonik so ermitteln, ob die guten Laborergebnisse sich auch auf die Schifffahrt ausweiten lassen. Die Reedereien haben aber verständlicherweise ein enormes Interesse an der Entwicklung des neuen Lackes, denn die Mehrkosten durch zusätzlichen Treibstoff belaufen sich weltweit auf Beträge im Milliardenbereich, hinzu kommen regelmäßig notwendige Neulackierungen der Flotten. Auch hier soll der Lack von Evonik sich als langlebiger erweisen und die Zeitspanne bis zur notwendigen Erneuerung des Lacks verlängern.
Die Amphiphilen Polymere – so der offizielle Name des Tarnumhangs – könnten also gleich mehrere Probleme auf einmal lösen. Im gleichen Maße, in dem sie den Kraftstoffverbrauch der Schiffe reduzieren, könnten sich die Beschichtungen allerdings eher ungewollt auch als Klimasünder erweisen. Denn für die Reedereien stehen die Transportkosten im Vordergrund, wenn es darum geht, umweltbewusstere Flotten zu entwickeln und den Treibstoffverbrauch dadurch zu senken. Haben sie also die Wahl zwischen einem einfachen Lack und der Anschaffung eines neuen Schiffes, dürfte die Wahl nicht schwer fallen. Und gerade dadurch könnten ältere Transportschiffe länger als nötig im Einsatz bleiben, bevor sie ein Trockendock zur Lackierung anfahren müssen oder ausgemustert werden.
Insgesamt sind Seeschiffe für mehr als zwei Prozent des Kohlendioxidausstoßes weltweit verantwortlich – um dies dauerhaft zu reduzieren, braucht es langfristigere Lösungen. Denn das Problem des Klimawandels lässt sich nicht überlackieren.
Ein Beitrag von: