Forscher will Industrie revolutionieren – Mithilfe von Bakterien
Ein Forschungsteam aus Wien stellt aus erneuerbaren Energien und Kohlenstoffdioxid Futter für eine Bakterienfamilie her, die es in Chemierohstoffe und Biosprit umwandeln.
Trotz aller Anstrengungen, auf Rohstoffe auszuweichen, die Umwelt und Klima weniger oder gar nicht belasten, ist die chemische Industrie noch immer weitgehend auf Erdöl und Erdgas angewiesen. Das will Stefan Pflügl vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der Technischen Universität Wien ändern. Er hat einen neuen Weg gefunden, Kohlenstoffdioxid (CO2) für die Herstellung von Chemikalien nutzbar zu machen.
Bakterien produzieren Ameisensäure
Seine Helfer sind Acetogene, eine Gruppe von Bakterien, die Natriumformiat, das Natriumsalz der Ameisensäure, oder Ameisensäure selbst verstoffwechseln können. Dabei entsteht Essigsäure – eine mit einer Produktionsmenge von mehr als zehn Millionen Tonnen pro Jahr wichtige Basischemikalie unter anderem für die Kunststoffherstellung. Per Genmanipulation ist es möglich, diese Mikroorganismen „umzuerziehen“, sodass sie den Brennstoff Ethanol, der Benzin beigemischt werden kann – Produktname in Deutschland „E10“ – oder Milchsäure produzieren. Milchsäure lässt sich polymerisieren, sodass biologisch abbaubarer Kunststoff entsteht.
Natrium-Ionen-Batterie: CATL mixt Zell-Chemie und löst weltweites Problem
Mit Ökostrom und Kohlenstoffdioxid
Ameisensäure und deren Natriumsalz lassen sich mit Ökostrom und CO2 herstellen, das direkt aus der Luft gewonnen wird. Das reduziert die Konzentration des Klimagases und hilft damit bei den Anstrengungen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Climeworks in Zürich produziert Anlagen, die CO2 aus der Luft filtern, bereits kommerziell.
Und an der Ingenieursschule der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich und Winterthur ist ein Material entwickelt worden, das CO2 noch energieeffizienter aus der Luft angelt. Die Voraussetzungen in diesem Punkt sind also erfüllt, und an überschüssigem Wind- und Solarstrom besteht an vielen Tagen auch kein Mangel. Statt ganze Windparks zeitweise abzuschalten und Solarzellen vom Netz zu trennen könnte man auch Natriumformiat oder Ameisensäure herstellen. Pflügl nutzt für seine Laborversuche allerdings CO2 aus der Stahlflasche.
Die größten Chemieparks der Welt
Ziel ist der Kohlenstoffdioxid-Kreislauf
Um herauszufinden, wie genau sich Formiat durch das Acetobakterium woodii (kurz A. woodii) verwerten lässt, untersuchte ein Team um Pflügl, wie das Bakterium verschiedene Substrate – darunter auch Formiate – verstoffwechselt. Zudem schauten sich die Forschenden über ein metabolisches Modell an, wie sich A. woodii gentechnisch verändern lässt, um andere Substanzen als Essigsäure zu produzieren.
„Die Wirtschaft der Zukunft muss kohlenstoffneutral sein“, fordert Pflügl. Da Kohlenstoff jedoch ein wichtiger Bestandteil vieler Produkte ist – wie beispielsweise Kraftstoff oder Plastik – sollte das vorhandene CO2 recycelt und in den Kreislauf zurückgeführt werden. Damit verschwindet es zwar nicht aus der Atmosphäre, es kommt jedoch bei der Nutzung etwa des Treibstoffs nur so viel CO2 hinzu, wie zuvor der Luft entnommen worden ist.
Experte ist sicher: „Wasserstoffauto ist in 10 Jahren Normalität“
Wahre Überlebenskünstler
Formiate, das sind Verbindungen aus Kohlen-, Sauer- und Wasserstoff sowie einem Metall, könnten zum Grundbaustein der Bioökonomie werden, meint Pflügl. Formiate sind pulverförmig, sodass sie sich leicht transportieren lassen und flexibel für die Herstellung von Chemikalien und Treibstoffen verwendet werden können.
„Acetogene sind wahre Überlebenskünstler, die auch Substrate wie Kohlenstoff, CO2 und eben Formiate verstoffwechseln“, so Pflügl.
Bakterien in Batterien – Forscher machen erstaunliche Entdeckung
Selbst unter extremen Bedingungen gelingt es ihnen, aus einer Vielzahl von Nahrungsquellen genug Energie zum Überleben zu erzeugen. Mit seinem Team untersuchte er, wie die Bakterien auf unterschiedliche Substrate reagieren. Formiate und Ameisensäure „schmecken“ ihnen offensichtlich am besten. Zumindest ist die Ausbeute bei diesem Nahrungsangebot am höchsten.
Weitere Wertstoffe im Visier
Auf der Basis experimenteller Daten und unter Verwendung eines Modells entwickelten die Forschenden außerdem Strategien, wie sich A. woodii noch auf andere Weise gentechnisch manipulieren lässt, sodass sie auch andere Wertstoffe produzieren. Diese Tests stehen noch aus.
Ein Beitrag von: