Chemieindustrie im Dialog 02.12.2011, 12:03 Uhr

„Going Green: Chemie“: Chemie ohne Erdöl möglich

Chemiefirmen hatten bei den Grünen lange Zeit einen schlechten Ruf. Doch dann betonte 2009 deren Bundestagsfraktion, die westliche Zivilisation sei ohne Erleichterungen der Chemie nicht denkbar, die zudem in Deutschland ein wichtiger Wirtschaftsmotor sei. Und nun spricht die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung gar mit Chemieunternehmen wie Bayer über nachhaltige Chemie.

Sinnvoller Dialog mit der Industrie.

Sinnvoller Dialog mit der Industrie.

Foto: Bayer MaterialScience

„Ein sinnvoller Dialog ist in Gang gekommen“, lobte Ralf Fücks, Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung, als er die Studie „Going Green: Chemie“ vergangene Woche in Berlin vorstellte. In ihr zeigen Uwe Lahl und Barbara Zeschmar-Lahl vom Beratungsbüro Kommunikation und Projektsteuerung in Oyten bei Bremen, was Grüne von der Chemieindustrie erwarten.

„Es freut uns, dass die Grünen uns als Klimaschützer anerkennen“, erwiderte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Ohne eine grüne Chemieindustrie könne in der EU das Ziel, 2050 das Klima mit 80 % weniger CO2 zu belasten, nicht erreicht werden, weiß auch Lahl.

Schon jetzt spiele die deutsche Chemie bei der „Decarbonisierung“ des Lebens und der Wirtschaft eine wichtige Rolle, ergänzte Tillmann. Von 1990 bis 2009 hat die Chemieindustrie die Produktion um 42 % erhöht, dabei aber den Energieeinsatz um 33 % gesenkt.

Chemische Produkte können den Klimaschutz unterstützen. Ein Beispiel: Um 1 t Polystyrol herzustellen, werden umgerechnet etwa 2500 l Heizöl benötigt – das entspricht rund 7,5 t CO2-Emissionen. Die gleiche Tonne Kunststoff spart jedoch als Dämmmaterial pro Jahr ca. 3300 l Heizöl ein – also rund 10 t CO2.

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Chemie ohne Erdöl: Organische Moleküle verstärkt aus nachwachsenden Rohstoffen

Das reiche aber nicht, kritisiert Lahl: „Wir brauchen Sprunginnovationen, um den Energie- und Ressourcenverbrauch in der Chemie drastisch zu senken.“ Chemiefirmen müssten zudem organische Moleküle aus nachwachsenden Rohstoffen statt aus Erdöl herstellen.

Mögliche technische Innovationen: Mehr Substanzen biotechnologisch und damit energiesparend herstellen, Syntheseverfahren durch Katalysatoren effizienter gestalten und Solarenergie für chemische Reaktionen nutzen. Zudem lasse sich CO2 als Baustein für chemische Moleküle nutzen, „wenn erneuerbare Energiequellen die dafür notwendige Energie bereitstellen“, sagte Lahl.

Der Staat sollte dies mit Forschungsgeldern stützen, zugleich aber Firmen mit gesetzlichen Vorgaben in Richtung Energieeffizienz drängen. Viele Anlagen der hiesigen Chemie seien so gut, dass sie Zertifikate für den CO2-Emissionshandel umsonst erhielten, so der Umweltexperte. Sinnvoll wäre daher, würde die EU die Klimaschutzvorgabe für 2020 von 20 % auf 30 % erhöhen.

Und auf Rohstoffbasis? Zurzeit stammen nur 10 % bis 13 % der Rohstoffe, die deutsche Chemiefirmen nutzen, von Pflanzen und Bäumen. Sie werden zu Spezial- und Feinchemikalien wie Klebstoffen und Tensiden für Waschmittel.

Biomasse-Cracker und Biomasseraffinerien machen Chemie ohne Erdöl möglich

Die Chemie könne aber vollständig auf Erdöl verzichten, behauptet Lahl. Chemiefirmen würden Basisstoffe wie Ethen oder Propen in Biomasse-Crackern herstellen und Spezialchemikalien in Biomasseraffinerien. „Schon 2050 könnte mehr als 80 % aller Chemikalien von nachwachsenden Rohstoffen stammen.“ Ziel sei die Kaskadennutzung. Biomasse müsse erst stofflich eingesetzt und wiederverwertet werden, bevor sie am Ende des Lebenszyklus eventuell energetisch verwertet wird.

„Die Politik muss Biomasse für die stoffliche Nutzung privilegieren“, fordert der Berater. Denn während Chemiefirmen zur Herstellung organischer Moleküle auf eine Kohlenstoffquelle angewiesen sind, könnten Energieversorger bis 2050 auch ohne Biomasse ausreichend erneuerbare Energien bereitstellen. Biomasse werde zurzeit aber aufgrund des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) meist für die Energieversorgung genutzt.

Von der Bundesregierung verlangt Lahl, das schrittweise zu ändern und Nachhaltigkeitskriterien für die stoffliche Nutzung von Biomasse festzulegen. Zudem solle die Regierung eine Subvention streichen. Chemiefirmen nutzen Erdöl steuerbegünstigt, wenn sie daraus Chemikalien herstellen. Würde diese Nutzung wie die energetische Nutzung besteuert, könnte der Staat ca. 1,6 Mrd. €/a einnehmen und damit den Umstieg in der Rohstoffversorgung finanziell unterstützen, so Lahl.

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Dagegen wehrt sich der VCI: „Es handelt sich um keine Subvention“, erklärt Jörg Rothermel, VCI-Fachmann für Energie-, Klimaschutz und Rohstofffragen. Diese Steuer wurde nur für die energetische Nutzung etwa von Rohöl geschaffen. Und die Verteuerung dieses Rohstoffs würde nicht automatisch zu mehr Einsatz von Biomasse führen. Aus Zucker oder Zellulose ließen sich Basischemikalien wie Ethen oder Propen noch nicht wirtschaftlich herstellen.

Vollständiger Umstieg auf eine Chemie ohne Erdöl ist nicht unmöglich

Ein vollständiger Umstieg sei auch deshalb nicht absehbar, ergänzt Tillmann, weil sich Erdöl mengenmäßig kaum durch Biomasse ersetzen lasse. Ein Vergleich: Ein moderner Cracker hat eine Kapazität von mehr als 800 000 t Ethen (in Deutschland entstehen in 14 Crackern aus 15 Mio. t Rohbenzin jährlich rund 5 Mio. t Ethen sowie andere Basischemikalien). Allein für die gleiche Menge Ethen müssten in einem Zuckerrohr-Cracker in Brasilien mehr als 20 Mio. t Zuckerrohr von einer Fläche von rund 220 000 ha verarbeitet werden – einer Fläche etwa so groß wie das Saarland. Und ein Zellullose-Cracker in Deutschland bräuchte Holzschnitzel aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern von einer vielfachen Fläche des Saarlands.

Doch es gebe ausreichend Fläche, meint Lahl. Für den Umstieg der Rohstoffversorgung auf Biomasse seien weltweit 200 Mio. ha notwendig. Landwirte würden zurzeit auf etwa 1,5 Mrd. ha Pflanzen für Lebens- und Futtermittel anbauen. Rund 400 Mio. ha Fläche aber haben sie verlassen – meist wegen fehlender Einnahmen oder Fehlern bei der Bewirtschaftung. Mit einer vernünftigen Politik ließen die sich wieder nutzen.

Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

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