Mit chemischen Produkten kräftig Energie sparen
Mit energiesparenden Verfahren und Produkten trägt die chemische Industrie in Deutschland erheblich zum Klimaschutz bei. So lassen sich etwa leichtere Fahrzeuge bauen, die weniger Kraftstoff verbrauchen und weniger CO2-Emissionen verursachen. Auch Solarzellen und Flüssigkristalle werden durch neue chemische Rezepturen energieeffizient. Ganz vorne in der Chemieküche mischen zwei Darmstädter Firmen mit: Merck und Evonik Industries.
Sieben Stockwerke hoch ist das Gebäude, in dem die Merck KGaA die chemischen Zutaten für LCDs (engl. liquid crystal display) herstellt. In der fünften Etage werden Rohstoffe in die Reaktoren gekippt, die Reaktionstemperatur liegt bei etwa 1000 °C. Weiter unten werden die Produkte – sogenannte „Singles“ – getrocknet. 120 Mitarbeiter betreuen die Prozesse rund um die Uhr.
Merck stellt in Darmstadt an der Frankfurter Straße unterschiedliche Singles in zweistelliger Zahl her. „Die Rezepturen sind unser Geheimnis“, sagte Robert Wagner den VDI nachrichten. Der Chemiker betreut die Flüssigkristallproduktion.
Singles sind klare, trübe oder viskose Flüssigkeiten, ab und an auch Kristalle. Sie werden in Gebinden zu 60 kg bis 100 kg abgefüllt und per Schiff nach Japan, Korea oder Taiwan transportiert. Dort mischt Merck aus den Singles je nach Kundenwunsch die eigentlichen Flüssigkristalle.
Innovative Flüssigkristalle zeichnen sich durch eine hohe Lichtdurchlässigkeit aus und sparen gegenüber herkömmlichen bis zu 20 % an Energie ein.
Das ist zwar Stand der Technik, betonte Till Langner, Marktforscher bei Merck, doch es gehe noch energiesparender: „Der Energieverbrauch von Fernsehern lässt sich mit neuen Flüssigkristallen um weitere 15 % senken.“ Merck experimentiert dazu mit Spezialchemikalien, damit die Flüssigkristalle noch weniger Hintergrundbeleuchtung benötigen. Die Firma hat zudem einen weiteren Ansatz im Auge: Leuchtdioden aus organischen Materialien (O-LED).
Nur 5 km entfernt an der Kirschenallee liegt die Chemiefirma Evonik Röhm, eine Tochter von Evonik Industries. Auch hier stehen Zutaten für grüne Produkte vorne an. „Pkw können 2020 zu einem Drittel aus Kunststoff bestehen“, erläuterte Sven Augustin vom Industrieteam Kraftfahrzeuge.
Die Firma setzt auf Polymethylmethacrylat (PMMA). Der Kunststoff, besser bekannt als Plexiglas, habe viele Vorteile: Er ist robust, bruchfest, witterungsbeständig und halb so schwer wie Glas.
PMMA könnte Glas und Stahlbauteile ersetzen, so Augustin. Ein Beispiel: Mit einer speziellen PMMA-Formmasse lassen sich Dächer konstruieren, die leichter sind als Dächer aus Stahl. Diesem Plexiglas mischt Evonik zudem besondere Zusatzstoffe bei, sodass weniger Infrarotstrahlung den Innenraum erreicht und Klimaanlagen im Sommer weniger kühlen müssen.
Evonik hat weitere Spezialkunststoffe, die das Fahrzeuggewicht senken, im Angebot. Hitzefeste Polyamide können im Motorraum Bauteile aus Aluminium ersetzen. Solche Polyamidteile haben sich in Rennwagen bereits bewährt.
Das Unternehmen hält weitere Anwendungen für Plexiglas parat: „Mit dem über Jahrzehnte vergilbungsfreien Kunststoff lässt sich Sonnenenergie effizienter nutzen“, so Thomas Rhein. Der Projektleiter „Leichtbau Solarmodule“ gibt Beispiele: PMMA könne in Parabolrinnen und -schüsseln schweres Glas ersetzen und als Fresnel-Linse helfen, aus Sonnenlicht Strom zu gewinnen. In flexiblen Solarzellen wiederum schützen spezielle Plexiglasfolien Solarelemente vor Korrosion durch Feuchtigkeit und Sauerstoff.
Geringeres Gewicht, die spezielle Transmissionscharakteristik und die hohe UV- und Witterungsbeständigkeit sind die Hauptgründe, weshalb Evonik Plexiglas als Abdeckplatte für das weltweit größte Leichtbau-Solarmodul verwendet hat. Mit seinen 1,58 m x 4 m wiegt es gerade einmal 80 kg.
Auch am Erfolg künftiger Elektroautos wird gearbeitet. „Der Leichtbau wird die Elektromobilität voranbringen“, glaubt Rhein aus einem einfachen Grund: Je leichter ein Pkw, desto kleiner kann die Batterie sein. Evonik Industries will auch selbst Lithiumbatterien – das zentrale Element aller elektrischen Antriebe – herstellen. Die Chemiefirma hat daher 2008 mit Daimler die Firma Li-Tec Battery gegründet. Sie wollen 2011 im sächsischen Werk Kamenz 300 000 Lithiumzellen für Pkw fertigen.
Damit könnte für europäische Autohersteller eine Abhängigkeit von Batterieimporten aus Fernost enden. Zurzeit beliefern Firmen wie Sanyo, Sony, Panasonic oder Samsung solche Batterien aus Japan und Korea. Der Transport per Schiff nach Europa dauert bis zu acht Wochen. In großer Stückzahl dürfen Batterien nicht geflogen werden, da sie eine leicht entzündliche Flüssigkeit enthalten. Evonik und Daimler sind nicht die Einzigen, die diesen Markt entdeckt haben: Auch der Autozulieferer Bosch und der Elektronikkonzern Samsung wollen diese Batterien in Europa herstellen.
Merck mischt bei der Elektromobilität ebenfalls mit. Die Firma entwickelt kundenspezifische Elektrolytsysteme. Als Leitsalz in Elektrolyten für Lithiumbatterien wird fast ausschließlich Lithiumhexafluorophosphat (LiPF6) verwendet. „Die Batterien sind aber in vielen Punkten verbesserungswürdig“, meint Michael Schmidt, bei Merck für Elektromobilität zuständig. So muss eine Autobatterie bis zu 15 Jahre halten, damit sich Elektroautos auf dem Markt durchsetzen können.
Solch eine Lebensdauer bedeutet, dass sich die Kapazität der Batterien beim Aufladen quasi nicht verringern darf. „Die Batterien sollten auch etwa doppelt so leistungsfähig sein wie heute“, so Schmidt. Um das zu erreichen, will Merck den elektrischen Widerstand im Elektrolyten deutlich senken.
Experimentiert wird dazu mit speziellen Zusatzstoffen. „Sie sind quasi die Meisterspucke“, so Schmidt, und sie machten den Unterschied zwischen einem guten und einem herkömmlichen Elektrolyten aus. Merck forscht zudem an Elektrolytsalzen, die einige Nachteile des LiPF6 nicht aufweisen. LiPF6 ist zwar leitfähig und elektrochemisch stabil, dafür aber wasserempfindlich und beginnt sich bei 60 °C zu zersetzen. Dank Darmstädter Chemieinnovationen können also in vielleicht nicht ganz so ferner Zukunft mehr und mehr Elektroautos klimafreundlich auf den Straßen fahren. RALPH AHRENS
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