Viele chemische Substanzen lassen sich aus Pflanzen herstellen
Weg vom Erdöl, hin zu nachwachsenden Rohstoffen kann sich auch für klassische Chemiefirmen durchaus rechnen. Ob Baustoffe, Farben und Verpackungen, Textilien oder Kosmetika – chemische Erzeugnisse lassen sich vom Acker nachhaltig, günstig und in besserer Qualität gewinnen, behauptet ein Hersteller von Pflanzenfarben aus Braunschweig.
Wie die klassische Chemie mit weniger Energie und ohne hohe Drücke auskommen und sogar aggressive Chemikalien wie Chlor oder Salpetersäure vermeiden kann, weiß Hermann Fischer ganz genau. Seine Gedanken zur Umstellung einer ganzen Branche auf Rohstoffe vom Acker beschreibt der Mitgründer der Braunschweiger Firma Auro Pflanzenchemie im Buch „Stoff-Wechsel“. Darin hält er ein flammendes Plädoyer für nachhaltiges Wirtschaften, das nur mit einer Chemie aus der Kraft der Sonne möglich sei und für das er den Begriff „Solare Chemie“ geprägt hat.
Der Chemieindustrie sind diese Gedanken nicht fremd. „13 % aller Rohstoffe sind bereits natürliche Öle, Fette oder Zucker“, erklärt Jörg Rothermel, Experte für Rohstofffragen beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). Solcher Substanzen würden etwa für die Herstellung von Feinchemikalien wichtiger.
Die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen – die sogenannte Bioökonomie – bietet der Chemie zwei Wege an: den der Cracker oder den einer direkten Pflanzennutzung. Den Ansatz der Cracker zu kopieren, die zunächst lange Molekülketten etwa des Erdöls zerkleinern, um daraus dann wieder neue langkettige Substanzen herzustellen, hält Chemiker Fischer für unsinnig. Dies setze nur die Tradition jener Chemieanlagen fort, in denen Erdölcrackprodukte durch Pflanzencrackprodukte substituiert würden.
Pflanzenwelt bietet Vielfalt von 50 000 verschiedenen Molekülen
„Das beraubt die solare Chemie ihres entscheidenden Vorteils“, meint Fischer. Denn die Pflanzenwelt bietet eine unglaubliche Vielfalt von über 50 000 verschiedenen Molekülen. Zersetzten Unternehmen die Fasern, Öle, Wachse, Harze oder Farbstoffe in Crackern, entstünde lediglich Petrochemie auf pflanzlicher Grundlage. Es sei unsinnig, Pflanzen mithilfe von Sonnenenergie, Wasser und Boden erst komplexe Strukturen herstellen zu lassen, um diese dann zu zerstören und erneut mit Energieaufwand komplexe Strukturen zu bauen. Für Chemiker und Chemieingenieure sieht Fischer zukunftssichere Arbeitsplätze.
Fischer bevorzugt aber den zweiten Weg: die gezielte Nutzung der fotosynthetischen Vorarbeit der Pflanzen. Der Gedanke ist nicht neu: Einige Unternehmen stellen etwa Gerätegehäuse aus Verbundwerkstoffen her, bei denen Matrix und Fasern aus pflanzlichen Stoffen bestehen.
Plastikbeutel und Verpackungen bestehen immer häufiger aus Polymilchsäure. Mit Hanf-, Lein-, Nessel- oder Holzfasern ließen sich Häuser ebenso gut dämmen wie mit Schäumen aus Polystyrol oder Polyurethan, sagt der Braunschweiger Chemiker. Naturfasern könnten zudem mehr Wasserdampf aufnehmen.
Naturkleber für Bodenbelege aus Kautschuk und Harz
Auro hat aus Naturkautschuk, Kiefern- und Dammarharz Naturkleber für Bodenbeläge entwickelt sowie Holzlacke aus Pflanzenölen, Harzen und Wachsen. Schmieröle auf Pflanzenbasis leiten die Reibungshitze in Kettensägen von Waldarbeitern genauso ab wie in schnell laufenden Antrieben von Windrädern. Die Öle sind zudem hitze- und kälteresistenter als konventionelle Öle und bereiten bei Leckagen weniger Probleme.
Dennoch: Die meisten dieser Ökogüter sind Nischenprodukte. Es müsse noch viel geforscht werden, um neue Fein- und Massenchemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Fischer macht sich aber um die Zukunft keine Sorge – im Gegenteil: „Die Chemie hat ihre goldene Zukunft auf einer völlig neuen Grundlage noch vor sich.“ Für Chemiker und Chemieingenieure sieht er neue und zukunftssichere Arbeitsplätze.
Gibt es aber ausreichend Biomasse, um alle Bedürfnisse der Energiegewinnung, der Treibstoffherstellung und der stofflichen Nutzung in der Chemie zu befriedigen? Die Debatte um Teller versus Tank oder T-Shirt werde aus Sicht Fischers falsch geführt. Pflanzen seien ein unerschöpfliches Reservoir. Jedes Jahr entstünde auf der Erde viele Tausend Mal mehr Biomasse als das, was Chemiefabriken weltweit an Erdöl verarbeiten.
Viele Teile der Pflanzen werden nicht genutzt
Wir nutzen nur einen Teil der Nahrungspflanzen“, kritisiert Fischer. Beim Getreide interessieren Körner, bei Raps das Öl. Wertvolles faser-, farbstoff-, wachs- oder harzhaltiges Material bleibt ungenutzt. „Pflanzen sollten aber möglichst ganzheitlich genutzt werden“, fordert der Braunschweiger Chemiker. Ein Beispiel: Aus Flachs lassen sich dämmende Fasern, Öl für Linoleumböden und eiweißreiche Nahrung gewinnen.
VCI-Mann Rothermel bleibt skeptisch: „Erdöl und Erdgas werden sich nicht vollständig durch Biomasse ersetzen lassen.“ Biomasse wachse zwar unendlich nach, sei aber in ihrer jeweiligen Gesamtmasse begrenzt.
Der Verbandsexperte zieht einen Vergleich: Ein moderner Cracker produziere aus Erdöl heute rund 1 Mio. t Ethen/Jahr. Eine entsprechende Ethen-Herstellung aus Bioethanol in einem deutschen Zellullose-Cracker benötigte Holzschnitzel aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern von einer vielfachen Fläche des Saarlands.
Auch Fischer weiß, dass sich seine Idee eines Stoff-Wechsels nicht sofort 1:1 auf die Industrie übertragen lässt. Doch er ringe gern mit Vertretern der Chemieindustrie um den besten Weg in die Zukunft. Und mehr noch: „Wir werden jedes Massenprodukt auf den Prüfstein stellen müssen.“ Künftig sei mit weniger Substanz der gleiche Effekt zu erzielen. Und viele Wegwerfartikel aus Plastik würden haltbarer, wenn sie mit Naturfasern verstärkt sind.
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