Wie lassen sich Hormone aus dem Abwasser entfernen?
Steroidhormone, sie kommen unter anderem in der „Pille“ vor, sind chemisch stabil und gelangen über den Urin ins Abwasser. KIT-Forscher haben ein neues Reinigungssystem entwickelt – und erreichen sogar EU-Richtwerte für Trinkwasser.
In diesem Jahr feiert die Anti-Baby-Pille ihren 60. Geburtstag. Bundesweit nutzen laut Schätzungen mehrerer Krankenkassen 52 % aller sexuell aktiven Frauen im gebärfähigen Alter ein solches Präparat zur Verhütung. Es enthält verschiedene Steroidhormone, die chemisch besonders stabil sind. Verschiedene Moleküle gelangen über den Urin ins Abwasser. Durch physikalische, biologische oder chemische Verfahren, die bislang als Standard in Kläranlagen zu finden sind, lassen sie sich nicht abtrennen. Sie gelangen in die Umwelt und führen etwa bei Fischen zu einer Verweiblichung.
Umso wichtiger sind neue Klärtechniken. Jetzt stellen Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein neues Filtersystem vor. Sie haben Polymermembranen mit aktiviertem Kohlenstoff kombiniert und damit Reinigungsschritte untersucht. Zuerst presst man Abwasser durch eine semipermeable Membran. Bei diesem Schritt werden gröbere Verunreinigungen, aber auch Mikroorganismen, abgetrennt. Dahinter befindet sich eine aktive Schicht aus Kohlenstoffpartikeln, um Steroidhormone zu binden.
Kleine Kohlenstoffpartikel – große Effektivität
Verfahren der Abwasserreinigung mit Aktivkohle sind an und für sich nicht neu, waren aber bislang kaum praxistauglich. Deshalb nahmen KIT-Forscher den Filterhersteller Blücher GmbH aus Erkrath mit ins Boot.
Basis der innovativen Reinigungstechnologie sind modifizierte Kohlenstoffpartikel, auch Polymer-Based Spherical Activated Carbon (PBSAC) genannt. Bei Experimenten erwies sich deren Geometrie als entscheidend. „Je kleiner der Partikeldurchmesser, desto größer die äußere Oberfläche der Aktivkohleschicht, die für die Adsorption der Hormonmoleküle verfügbar ist“, erklärt Matteo Tagliavini vom KIT.
Die Aktivkohleschicht auf der Membran ist nur zwei Millimeter dick. Im Verlauf ihrer Experimente verkleinerten die Forscher den Durchmesser der Aktivkohle-Partikel von 640 auf 80 Mikrometer – mit Erfolg: Ihnen gelang es, aus Wasserproben 96 % des enthaltenen Östradiols zu entfernen. Östradiol ist ein biologisch wirksames Sexualhormon. Im nächsten Schritt wurde der Sauerstoffgehalt in der Aktivkohle weiter erhöht. Die Resultate verbesserten sich weiter. Schließlich wurde 99 % des Östradiols aus Proben eliminiert.
Grenzwerte der EU-Trinkwasserverordnung erreicht
„Das Verfahren erlaubt einen hohen Wasserdurchfluss bei niedrigem Druck, arbeitet energieeffizient, filtert viele Moleküle heraus, erzeugt keine schädlichen Beiprodukte und lässt sich flexibel in Vorrichtungen verschiedener Größe einsetzen – vom heimischen Wasserhahn bis hin zu Industrieanlagen“, fasst Andrea Iris Schäfer ihre Ergebnisse zusammen. Die Professorin leitet das Institute for Advanced Membrane Technology am KIT. Sie berichtet auch über Ergebnisse des neuen Reinigungsschritts: „Unsere Technologie ermöglicht es nun, den von der Europäischen Kommission für Trinkwasser vorgeschlagenen Richtwert von einem Nanogramm Östradiol pro Liter zu erreichen.“
Vor der Filtration sind es – je nach Wasserprobe – mehrere Nanogramm pro Liter. Diese vermeintlich geringe Konzentration recht schon aus, um die Gesundheit von Menschen zu gefährden oder Ökosysteme zu belasten.
Verfahren für weitere Arzneistoffe testen
Steroidhormone sind aber eine Mikroverunreinigung im Abwasser. US-Wissenschaftler fanden in Wasserproben aus rund 70 Ländern mehr als 500 verschiedene Arzneimittel und deren Abbauprodukte – allein in Deutschland sind es 150. Besonders häufig handelt es sich um Antibiotika, Schmerzmittel, Blutdrucksenker, Antidepressiva beziehungsweise um deren Metaboliten. Ziel muss sein, langfristig den Eintrag solcher Wirkstoffe zu vermeiden. Experten diskutieren zwei mögliche Strategien.
Alles beginnt damit, Konsumenten besser zu informieren. Denn Jahr für Jahr kippen Verbraucher Millionen an Tabletten, Kapseln oder Tropfen in ihre Toilette oder ihr Waschbecken. Die Konsequenzen bedenken sie nicht. Und vielen ist unklar, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Altarzneimittel über die Restmülltonne sicher zu entsorgen sind. Müllverbrennungsanlagen gibt es flächendeckend. Wer Altpräparate in die Apotheke trägt, wird sich wundern. Auch dort landen Medikamente im Restmüll.
Auch die Industrie ist gefragt, nachhaltigere Moleküle zu entwickeln. Das geht so: Beim sogenannten Drug Targeting reichern sich Pharmaka an Bindungsstellen, den Rezeptoren an. In Summe sind niedrigere Dosen eingenommen, und es wird auch weniger ausgeschieden. Eine andere Strategie ist, Wirkstoffe zu entwickeln, die im Körper schnell zu harmlosen Stoffwechselprodukten abgebaut werden. Dazu gehören etwa sogenannte Biologicals, also therapeutische Proteine oder Antikörper. Sie werden schnell zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut.
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