Zwei Fliegen mit einer Klappe: E-Fuels aus Abfällen
Forschende haben eine Anlage entwickelt, die aus Abfällen wie alten Speisefetten klimaneutrale Kraftstoffe produziert. Das Verfahren benötigt nur wenig Strom und hat das Potenzial, fossile Brennstoffe zu reduzieren und Abfallprobleme zu lösen. Zudem wird an einer Erweiterung gearbeitet, um Kunststoffabfälle zu verarbeiten.
Doppelt gut für die Umwelt ist eine Lösung, an der aktuell Hamburger Verfahrenstechniker arbeiten: Sie stellen E-Fuels aus Abfällen her. Damit verringern sie nicht nur unser Abfallproblem, sondern helfen zudem, unseren motorisierten Verkehr umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten. Für die Herstellung der E-Fuels benötigen sie etwas Strom, die Anlage soll allerdings die Energie effizienter ausnutzen als E-Autos. In einem weiteren Schritt soll die Anlage nicht nur altes Speisefett, sondern auch Kunststoffabfälle verwerten können. Das birgt riesiges Potenzial, besteht doch die Chance, zumindest den größeren Plastikmüll wieder aus den Weltmeeren herauszubekommen.
Künstlicher Diesel aus Altspeisefetten
Forscher an der HAW in Hamburg-Bergedorf arbeiten an einem Projekt, das darauf abzielt, das Klima durch die Verwendung von Kraftstoffen aus Abfällen zu schonen. In ihrer Pilotanlage stellen die Wissenschaftler Bio-Rohöl und künstlichen Diesel aus Altspeisefetten her, die als klimaneutrale Alternativen für herkömmliche Autos und Lastwagen dienen können.
Laut Projektleiter Prof. Thomas Willner benötigt die Anlage für die Herstellung eines Liters Kraftstoff eine Kilowattstunde Strom. Um ein Auto 100 Kilometer weit zu fahren, seien somit rund fünf Kilowattstunden Strom notwendig. Im Vergleich dazu verbrauche ein Elektroauto auf dieser Strecke etwa 15 Kilowattstunden, so Willners Kollegin Prof. Anika Sievers.
Das Projekt hat großes Potenzial, da es nicht nur einen Beitrag zur Schonung des Klimas leistet, sondern auch einen nachhaltigen Umgang mit Abfällen fördert. Die Verwendung von Altspeisefetten als Rohstoffe trägt dazu bei, dass weniger Abfall auf Deponien landet und somit weniger Treibhausgase freigesetzt werden. Darüber hinaus können die klimaneutralen Kraftstoffe dazu beitragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und die Energiewende voranzutreiben.
So funktioniert die Herstellung
Auf dem Bergedorfer Campus der HAW in Hamburg steht eine Werkhalle mit mehreren großen Kunststoffbehältern, die etwa einen Meter hoch sind. Diese Behälter enthalten altes Speisefett aus der Mensa der Hochschule. In einem Tank der Anlage wird das Fett vorgewärmt und homogenisiert, bevor es in einen Reaktor gepumpt wird.
Das zylinderartige Gerät, etwa anderthalb Meter groß, ist in einem Container darüber montiert. Dort werden die relativ großen Kohlenwasserstoff-Moleküle des Fetts bei einer Temperatur von 350 bis 400 Grad aufgebrochen, um Bio-Rohöl (Cracked Vegetable Oil – CVO) zu produzieren. In einer zweiten Stufe werden Grundstoffe erzeugt, die in der chemischen Industrie verwendet werden können. Die Moleküle werden vorher durch Zugabe von Wasserstoff „designed“, wie Projektleiter Prof. Thomas Willner erklärt.
Während des Prozesses entstehen auch Gase wie Methan, Ethan und Propan, die in Zukunft zum Erwärmen der Anlage genutzt werden sollen. „Der Prozess könnte autark laufen“, sagt Willner. Am Ende des Verfahrens bleibt eine Art Kohle übrig, die als Bodenverbesserer verwendet werden kann und CO2 langfristig bindet. Darüber hinaus kann aus dem zurückbleibenden Abwasser noch Biogas gewonnen werden.
Das Verfahren kommt ohne Katalysator aus
Das Crack-Verfahren an sich ist keine neue Erfindung und wird seit Jahren angewendet. Allerdings hat Prof. Thomas Willner und sein Team das Verfahren weiter optimiert, so dass die Umwandlung von organischen Abfällen nun ohne die Zugabe von Katalysatoren erfolgt. Dieser Durchbruch im Verfahren, das READi TM genannt wird, hat großes Potenzial für die industrielle Produktion. „READi“ steht für die Kombination aus Reaction und Distillation.
In einem nächsten Schritt möchte das Team um Prof. Willner das Verfahren mit einer 2000-Liter-Anlage erproben, die für die industrielle Produktion geeignet wäre. Vorher wurde im Forschungsteam mit Katalysatoren gearbeitet, die jedoch schnell deaktiviert werden mussten, wenn die anfallenden Abfälle verunreinigt waren. Dies war der Ansporn, etwas Neues zu entwickeln.
Das Ziel war, den Verflüssigungsprozess wirtschaftlicher und in der Anwendung praktikabler zu gestalten. Mit öffentlichen Mitteln und privaten Förderern hat das Team deshalb an einem neuen Crack-Verfahren geforscht, das ohne die hochempfindlichen Katalysatoren auskommt. Die Betriebskosten des Verfahrens sollten dabei so weit gesenkt werden, dass die Abfälle in kleinen dezentralen Anlagen ökonomisch verarbeitet werden können.
Nachbehandlung mit Wasserstoff
Der aus dem Reaktor gewonnene synthetische Kraftstoff muss am Ende noch mit ein wenig Wasserstoff nachbehandelt werden, damit er normgerecht wird. Dieser kann aus regenerativen Energiequellen gewonnen werden, wie es das CC4E am Energie-Campus bereits unternimmt. „Hier ist auch die Schnittmenge zu unserer Arbeit“, erläutert der Prof. Willner. Denn: Um die CO2-Neutralität des Kraftstoffes zu gewährleisten, müsse auch der Wasserstoff CO2-neutral gewonnen werden. Und das gelingt zum Beispiel mit Energie aus Windkraftanlagen, die in Form von Wasserstoff zwischengespeichert wird.
„Mit der Zugabe eines Wasserstoffes aus regenerativen Energiequellen können wir die vollkommene CO2-Neutralität erreichen“, sagt Willner. „Glücklicherweise benötigen wir nur wenig Wasserstoff, im Vergleich zu den konventionellen katalytischen Verfahren ist es nur etwa die Hälfte.“ Der Bedarf an klimaneutral hergestelltem synthetischem Kraftstoff steigt derzeit stark an, da die Beimischungsquoten von sogenannten E-Fuels zu herkömmlichen Kraftstoffen in den kommenden Jahren zunehmend erhöht werden.
So soll es weitergehen
Um das Verfahren auf einen industriellen Maßstab zu skalieren, wurde die Firma NEXXOIL ausgegründet. Die meisten der Mitarbeiter haben zuvor an der HAW Hamburg Verfahrenstechnik studiert, die Firma ist somit quasi ein Eigengewächs. Und auch wenn es derzeit nicht die Lobby für E-Fuels gibt, glauben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dennoch fest an ihr Produkt:
„Wie gefährlich die Abhängigkeit von öl- und gasliefernden Staaten ist, zeigt uns gerade die aktuelle Krise mit Russland. Das hat in jedem Fall das Bewusstsein verändert. Das Umrüsten auf reine E-Mobilität ist dazu sehr teuer und schafft neue Abhängigkeiten, insbesondere von China bei Ressourcen wie Kupfer, Nickel, Lithium, Kobalt und seltene Erden für Batterien und neue Elektro-Infrastruktur. Am Ende sollte es einen vernünftigen Mix aus unterschiedlichen Mobilitätsformen geben, der auf die Straße kommt.“ Zumal weitere Anwendungsfälle denkbar seien, mit denen globale Abfallprobleme gelöst werden könnten.
E-Fuels aus Kunststoffabfällen
Im Folgeprojekt KLIMAKRAFT soll die Anlage so umgebaut werden, dass der Reaktor mit Kunststoffabfällen gefüttert werden kann. Dies ermöglicht nicht nur die Herstellung von klimaneutralen Kraftstoffen, sondern auch die Produktion von chemisch recycelten Kunststoffen. Das Projekt könnte somit einen wichtigen Beitrag zur Lösung dringender globaler Abfallprobleme wie dem Plastikmüll im Ozean leisten.
Durch die Montage von Kleinanlagen auf Schiffen könnte direkt vor Ort aus dem Ozean geborgenes Plastik in sauberes, hochwertiges Öl umgewandelt werden, um es wieder in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen. Darüber hinaus könnten solche Anlagen an Land dazu beitragen, einen Anreiz zu schaffen, Plastikabfälle nicht mehr in Flüsse zu werfen, wie es in vielen Ländern leider noch immer geschieht. Stattdessen könnten die Abfälle vor Ort dezentral und gewinnbringend in Produkte aufgearbeitet werden.
(mit dpa)
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