Atomuhren: Sekundenfehler nach Milliarden Jahren
Atomuhren, die die Schwingungen von Caesiumatomen ausnutzen, sind extrem genau. Doch Physiker in aller Welt geben sich damit nicht zufrieden. Ihr Ziel: Die Kernuhr, die auf Energieveränderungen im Thorium-Atomkern basieren.
Alle Uhren arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Irgendetwas wird periodisch angestoßen, sodass es schwingt. Dann werden die Schwingungen gezählt. Eine bestimmte Anzahl entspricht einer Sekunde. Bei den ersten Uhren war es das Pendel. Später die Unruh. Bei moderneren Uhren sind es Quarzkristalle, die elektrisch angeregt werden und bei den gängigsten Atomuhren sind es Caesiumatome, genauer das Caesium-Isotop 133, das sich am pflegeleichtesten gezeigt hat. Es wird in einem Ofen verdampft. Danach haben die Isotopen zwei unterschiedliche Energieniveaus. Diejenigen, die für die Zeitmessung nicht geeignet sind, werden magnetisch weggeschnipst. Übrig bleiben Isotopen, die alle auf dem gleichen Energieniveau sind.
Jetzt werden sie per Mikrowelle angeregt. Sie nehmen Energie auf, um sie wieder abzustrahlen. Das geschieht mit einer bestimmten Frequenz, nämlich 9.192.631.770 Hertz, die von einem Zählwerk erfasst werden. Das entspricht einer einzigen Sekunde. In Deutschland gibt die Atomuhr mit der Bezeichnung CS2, betrieben von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, den Takt an. Sie liefert beispielsweise das Zeitsignal, das der Langwellensender in Mainflingen im hessischen Offenbach ausstrahlt. In ganz Mitteleuropa wird es von Funkuhren empfangen. Und auch im Netz gibt sie ihr Wissen preis, unter uhr.ptb.de ist die CS2-Zeit im Internet zu finden.
Nächste Schaltsekunde am 30. Juni 2019?
Um die winzigen Unterschiede zwischen der weltweit einheitlichen Atomuhr-Zeit und der auf der Erdrotation basierenden Weltzeit auszugleichen, müssen hin und wieder Schaltsekunden eingefügt werden, die die beiden Zeiten wieder in Übereinstimmung bringen. Zuletzt gab es am 31. Dezember 2016 eine solche Korrektur. Der Termin für die nächste liegt noch nicht fest, steht aber kurz bevor. Vermutlich passiert es am 30. Juni 2019.
Mit Strontium gehen Atomuhren noch genauer
CS2 geht in einem Jahr sechs Milliardstel Sekunden falsch. Anders ausgedrückt: In sechs Milliarden Jahren geht die Braunschweiger Atomuhr eine Sekunde nach – oder vor. Manchen Physikern ist das nicht genug. Sie wollen die Zeit noch genauer messen. Wissenschaftlern der University of Colorado und des National Institute of Standards and Technology ist das vor zwei Jahren gelungen. Sie nutzten ein optisches Gitter aus Laserstrahlen, das wie ein winziger Käfig wirkt. Sie sperrten darin ein paar Tausend Atome des Erdalkalimetalls Strontium ein und traktierten sie mit einem weiteren Laserstrahl mit einer Wellenlänge von exakt 698 Nanometer. Dessen Energie lässt die Strontiumatome zwischen zwei Energiezuständen pendeln, 430 Billionen Mal pro Sekunde. In 15 Milliarden Jahren ginge die Uhr nur eine Sekunde nach.
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Die Kernuhr wird das Präzisionsprodukt der Zeitmessung
Noch genauer wäre eine Kernuhr. Anders als bei gewöhnlichen Atomuhren dienen nicht die Schwingungen von Elektronen, die um einen Atomkern kreisen, als Taktgeber, sondern ein Anregungszustand im Atomkern selbst. Derzeit ist Thorium der aussichtsreichste Kandidat für den Bau einer Kernuhr. Einigen dürfte es noch als Brutmaterial aus der Zeit der Kugelhaufenreaktoren bekannt sein – es verwandelte sich während des Reaktorbetriebs in spaltbares Uran. Nun soll es Kernuhren zum Leben erwecken. Noch gibt es sie zwar nicht, aber Forscher wie Ekkehard Peik von der PTB wissen schon, wie es geht. Und vor allem, warum eine solche Uhr noch weit genauer ist als alle anderen Atomuhren.
„Welt der Physik“ nannte er den entscheidenden Vorteil dieses Uhrentyps. Im Kern herrschen gewaltige Kräfte – bei der Spaltung in Reaktoren wird sehr viel Energie freigesetzt. Anders als ganze Atome sind die Kernkräfte gegen äußere Einflüsse wie Erschütterungen und Temperaturveränderungen immun. Das ist ihr Vorteil. Nachteilig ist, dass zur Erreichung anderer Energieniveaus ebenfalls große Kräfte nötig sind. Meist kann man nur mit radioaktiver Gammastrahlung etwas ausrichten. Und hier kommt Thorium ins Spiel, denn es ist genügsamer. Hier reicht schon ultraviolette Strahlung aus, die mit Lasern leicht zu produzieren ist.
Das Thorium-Isotop 229 ist dennoch kein optimaler Kandidat. Es ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 8.000 Jahren. Das heißt, nach dieser Zeitspanne ist nur noch die Hälfte des Materials übrig. Peik findet, das sei „langlebig genug, um damit eine Kernuhr betreiben zu können“.
Präzise Zeit ist wichtig fürs Navi und autonome Autos
„Für den Alltagsgebrauch und auch für normale wissenschaftliche Zwecke benötigt man eine solch komplizierte Uhr natürlich nicht“, sagt der Physiker. Sie würde lediglich in der Grundlagenforschung Fortschritte bringen. Alltag für Atomuhren ist beispielsweise die Satellitennavigation. Diese beruht auf Laufzeitmessungen von Signalen, die beispielsweise die amerikanischen GPS-, die russischen Glonass-, die chinesischen Beidou- und die europäischen Galileo-Satelliten aussenden. In jedem Satelliten befindet sich eine Atomuhr. Je besser sie mit der Welt-Atomuhrzeit übereinstimmt desto präziser arbeitet das System. Aus den Laufzeiten der Signale mehrerer Satelliten lässt sich die Position des Empfängers etwa in einem Auto ermitteln.
Eine kurze Geschichte der Atomuhr
Die Grundlagen der Atomuhr schuf der US-amerikanischen Physiker Isidor Isaac Rabi an der Columbia University in New York. 1944 erhielt dafür den Nobelpreis für Physik. Harold Lyons, Mikrowellenexperte am National Bureau of Standards in den USA, baute 1949 die erste Atomuhr. Sie basierte auf den Schwingungen von Ammoniakmolekülen. Sie lief allerdings nicht so genau wie sie sollte. Deshalb wurde sie drei Jahre später umgerüstet. Jetzt gaben Caesiumatome den Takt an. Dieses Prinzip gilt bis heute. Weltweit gibt es mehr als 260 Atomuhren in 60 Zeitzentren, die regelmäßig untereinander abgeglichen werden. Das Ergebnis ist die Internationale Atomzeit, die für die ganze Welt verbindlich ist.
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