Automatische Notfallerkennung ermöglicht Senioren selbstbestimmtes Leben
Ein leider allzu realistisches Horrorszenario: Ein älterer Mensch stürzt in seiner Wohnung und wird stundenlang nicht gefunden, weil er den Alarm nicht auslösen kann. Um dies zu verhindern, entwickelt das Fraunhofer-Institut in Stuttgart derzeit ein Sensorsystem, das in Notsituationen automatisch, schnell und zuverlässig Hilfe ruft.
Möglichst lange selbstständig in der eigenen Wohnung leben: Diesen Wunsch hegen viele Senioren. Oft werden sie durch die Angst vor Stürzen und die Hilflosigkeit danach daran gehindert – eine Sorge, die tatsächlich berechtigt ist. Mehr als ein Drittel aller über 65-Jährigen stürzt mindestens einmal jährlich, in fortschreitendem Alter kommt das noch häufiger vor.
Kommt der Gestürzte nicht selbst wieder auf die Beine, ist guter Rat teuer. Bisherige Alarmsysteme, die im Notfall Hilfe rufen sollen, haben oft irgendeinen Haken: Manche Alarmknöpfe sind vom Boden aus nicht erreichbar, andere lösen zu schnell aus. Wieder andere Systeme wie Sensoren im Fußboden sind zwar zuverlässig, aber in der Regel sehr teuer und aufwändig zu installieren.
Sensorboxen werden wie Rauchmelder an die Decke installiert
Forscher am Frauenhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart entwickeln derzeit eine Lösung für diese Probleme. Dies geschieht im Rahmen der Fraunhofer-Allianz Ambient Assisted Living – übersetzt umgebungsunterstützes Leben –, im Rahmen derer sich 13 Frauenhofer-Institute in ganz Deutschland auf die Entwicklung ganzheitlicher intelligenter Systeme für die häusliche Umgebung speziell älterer Menschen konzentrieren.
Die Stuttgarter Forscher arbeiten gemeinsam mit ihren Projektpartnern Bruderhaus-Diakonie Reutlingen, Vitracom und Sikom Software an einem Projekt namens safe@home, das weitgehend wartungsfrei ist, Notlagen automatisch erkennt und sich ohne größere Baumaßnahmen in jede Wohnung integrieren lässt. Zudem schränkt es den Bewohner nicht in seiner Bewegungsfreiheit ein. Um den Bedarf der Zielgruppe möglichst genau zu treffen, haben die Entwickler bereits im Vorfeld intensiv mit Senioren zusammengearbeitet.
Das System besteht aus Sensorboxen, die wie Rauchmelder an der Decke installiert werden. Diese registrieren, wenn eine Person stürzt oder aus einem anderen Grund hilflos ist. Wenn der Sensor eine Situation als Notfall erkannt hat, wird die ebenfalls in der Wohnung installierte Alarmeinheit CareBox informiert, die wiederum Hilfe ruft. Ob das per Telefon, Internet oder Handy geschehen soll, lässt sich im Vorfeld per Alarmplan einstellen – ebenso, wer in welcher Reihenfolge informiert wird: zum Beispiel erst Pflegekräfte, danach Nachbarn oder Angehörige.
Bevor aber überhaupt irgendjemand alarmiert wird, meldet sich die Carebox zunächst bei ihrem Senioren: Wenn dieser die Frage der Computerstimme, ob alles in Ordnung sei, bejaht, muss kein Retter unnötig die Wohnung betreten. Auf diese Weise werden Fehlalarme verhindert und die Privatsphäre des Nutzers geschützt.
Optische und akustische Sensoren registrieren Notfälle
Die pralinenschachtelgroße Box ermittelt mit optischen und akustischen Hochleistungssensoren die Lage und die Position einer Person und registriert auch ihre Bewegungen. Das funktioniert selbst dann, wenn Möbel teilweise im Weg stehen, bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen und sogar bei Dunkelheit. Außerdem ist sie vor Nässe geschützt und kann damit auch im Badezimmer installiert werden. Auf diese Weise kann safe@home Stürze innerhalb kürzester Zeit feststellen.
Bei anhaltender Bewegungslosigkeit und bei Hilferufen wird das System ebenfalls aktiv. Sorgen, dass die Daten in unbefugte Hände gelangen, müssen sich die Nutzer nicht machen: Laut Frauenhofer-Institut werden die Informationen direkt in der Sensorbox ausgewertet und nur bei Bedarf an die Alarmeinheit weitergeleitet, mit der sie per WLAN oder LAN-Kabel verbunden sind. Die Carebox wiederum kommuniziert per DSL oder ISDN mit der Außenwelt.
Wie sich das System in der Praxis bewährt, testen die Entwickler seit Mitte 2012 in sechs Wohnungen in betreuten Anlagen der Bruderhaus-Diakonie in Reutlingen und der Volkswohnung Karlsruhe. Demnächst sollen 20 weitere Testwohnungen hinzukommen.
System soll Ende des Jahres für 1000 Euro auf den Markt kommen
Die Ergebnisse sind bisher positiv: Die Bewohner fühlen sich von der Anlage weder gestört noch überwacht, sondern eher sicherer. Bereits im Vorfeld hatten Interviews mit Senioren ergeben, dass viele neben der Wartungsfreiheit auch Wert auf die Möglichkeit legen, den Alarm gegebenenfalls ausstellen zu können. Auch der voraussichtliche Preis von etwa 1000 Euro erschien ihnen akzeptabel.
Auf den Markt kommen soll safe@home Ende 2014. Laut Frauenhofer-Institut ist der Bedarf groß und wird in den nächsten Jahren auch noch steigen: Bereits heute leben mehr als 5,4 Millionen über 60-jährige Senioren in Deutschland in Singlehaushalten. Bis 2030 wird ein Drittel der Bevölkerung mehr als 65 Jahre alt sein. Entsprechend hoch ist dann auch der Anteil der Alleinlebenden.
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