Cognitive Computing: Chips ahmen das Gehirn nach
Forscher von IBM haben Prototypen einer neuen Klasse von Computerchips vorgestellt. Sie ahmen die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns – Wahrnehmung, Erkennung und Reaktion – in Grundzügen nach. Damit ließen sich lernende Computer realisieren, die um ein Vielfaches effizienter und kleiner sind als heutige Systeme.
Praktisch alle in Computern eingesetzten Prozessoren basieren auf einer Grundarchitektur, die der Princeton-Professor John von Neumann 1947 schuf: Ein Computer besteht aus Rechen-, Steuer-, Eingabe- und Ausgabeeinheit sowie einem Arbeitsspeicher, in dem die zu verarbeitenden Daten und die Programmschritte abgelegt sind. Nach den definierten Programmen und weiteren Instruktionen werden die gestellten Aufgaben Schritt für Schritt durchgeführt.
Forscher des IBM Research Center in Almaden, Kalifornien, haben nun jüngst Prototypen einer neuen Klasse von Computerchips vorgestellt. Sie ahmen die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns in Sachen Wahrnehmung, Erkennung und Reaktion in Grundzügen nach. Dieser Ansatz wird „Cognitive Computing“ genannt. Damit könnte man lernende Computer realisieren, die um ein Vielfaches effizienter und kleiner sind als heutige Systeme.
Die Neurobiologie dient als Vorbild für die Cognitive Computing-Chips
Die vorgestellten neurosynaptischen Computerchips enthalten übliche Silizium-Schaltkreise sowie Algorithmen, deren Aufbau aus der Neurobiologie stammt. Diese Algorithmen machen ähnliche Abläufe möglich, wie sie zwischen Neuronen und Synapsen im Gehirn auftreten.
Zwei erste Prototypen wurden gefertigt und befinden sich derzeit in der Testphase. Die Prozessorkerne enthalten 256 Neuronen. Einer der Testchips enthält 262 144 programmierbare Synapsen, der andere dagegen 65 536 lernende Synapsen. Die IBM-Forscher zeigten damit Anwendungen wie Navigation, maschinelles Sehen, Mustererkennung oder assoziative Speicherung.
Die Chips wurden im Rahmen der mehrjährigen Forschungsinitiative SyNAPSE (Systems of Neuromorphic Adaptive Plastic Scalable Electronics) entwickelt. Dabei konnten Erkenntnisse aus der Nano- und Neurowissenschaft eingebracht werden. Auch Elemente des Supercomputing wurden verwendet.
Cognitive Computing bei IBM durch die amerikanische Darpa unterstützt
IBM und eine Reihe US-amerikanischer Universitäten haben nun für die zweite Phase des Synapse-Projektes Unterstützung in Höhe von 21 Mio. $ von der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) erhalten.
Ziel von Synapse ist es, ein Computersystem zu entwickeln, das nicht nur verschiedene sensorische Eingangsdaten gleichzeitig analysiert, sondern sich auch auf Basis seiner Interaktion mit der Umwelt dynamisch rekonfiguriert. Weiter will man dabei ein System mit geringem Energieverbrauch und Volumen realisieren, ähnlich dem menschlichen Gehirn. Dabei stellen sich die IBM-Forscher ein System mit 10 Mrd. Neuronen und 100 Billionen Synapsen vor, das weniger als 1 kW an elektrischer Energie verbraucht und ein Volumen von weniger als 2 l hat.
Der Projektleiter bei IBM in Almaden, Dharmendra Modha, sieht künftige Anwendungen in der Informatik unter einem neuen Aspekt: Zunehmend wird nach Funktionalitäten verlangt, die mit der heutigen Architektur nicht mehr effizient umgesetzt werden können. Die nun vorliegenden Prototypen sieht er als (weiteren) wichtigen Schritt in der Computerentwicklung.
Cognitive Computing: Verkehrspolizei der Zukunft
Künftige Prozessoren sollen selbstständig Informationen erarbeiten, ganz ohne externe Programmierung. Als Beispiel nennt Modha intelligente Verkehrsleitsysteme, die selbst sehen, Abgase und andere Gerüche analysieren und Geräusche auswerten können – und dann selbstständig eine Entscheidung treffen, wo man eventuell Straßenabschnitte über Verkehrsampeln sofort sperren sollte, z. B. nach einem Unfall oder Brand. Ein anderes Beispiel wäre der Einbau solch „Cognitive Computing“ als Co-Prozessoren in Laptops, Tablet-PCs und Smartphones, die dann mit ihrer jeweiligen Umwelt kommunizieren könnten.
Für die Phase 2 des Synapse-Projekts hat man jetzt die besten Leute in den USA zusammengebunden. Sie kommen – neben IBM – von der Columbia University, der Cornell University, der University of California und der University of Wisconsin.
Für IBM sind solche Arbeiten eigentlich nicht grundsätzlich neu. Bereits 1956 hat man im Forschungslabor eine Hirnsimulation mit 512 Neuronen durchgeführt, damals eine Sensation.
Sehr viel später wurde der „Watson“-Computer gebaut, eine Maschine, mit der analytisches Computing möglich wurde und die die menschliche Sprache verstand, „echte Sprache“ wohlgemerkt, also nicht zugeschnitten auf das Verständnis einer Maschine.
Gebaut wurden die beiden neuen Chip-Prototypen übrigens in der IBM-Fabrik in East Fishkill, eine Autostunde nördlich von New York.
Ein Beitrag von: