Einkaufen 3.0: Smarter geht’s kaum
Wir schreiben das Jahr 2020. Einkaufen ist smart geworden. Warteschlangen an der Kasse gehören dank RFID der Vergangenheit an. Per Funk wird König Kunde im Supermarkt auf dem kürzesten Weg zu den gesuchten Waren geführt. Tests, Bewertungen, Rabattcoupons und individuelle Sonderangebote erhält er in Sekundenschnelle auf seinen ständigen Begleiter, dem Smartphone.
Donnerstag, 12. März 2020, 6.30 Uhr: Julian A. ist gerade aufgestanden. Während er Müsli zubereitet, ermittelt sein Smartphone via kontaktloser Funktechnik (RFID), welche Bestände in Kühlschrank und Regal lagern. „Haben Sie besondere Pläne für das Wochenende?“, fragt das intelligente Handy dann seinen Besitzer. Julian überlegt kurz. Klar, am Samstag wollen Freunde aus Birmingham kommen – seine „Amigos“, mit denen er zu Studienzeiten monatlich Steak essen war. An diese Tradition will der 29-Jährige anknüpfen. Die Zahl der Gäste und die Stichworte Tischgrill und England gibt er in das Smartphone ein. Das ruft noch die aktuellen Sonderangebote von Julians bevorzugten Supermärkten ab, erstellt dann eine Einkaufsliste und schlägt einen Laden vor.
„So könnte es 2020 aussehen“, meint Ralf Jung, Leiter des Innovative Retail Laboratory (IRL), einem Projekt des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). „Das Terminal zuhause macht Ihnen Rezeptvorschläge auf Basis der Zutaten im Kühlschrank und ihrer Mindesthaltbarkeitsdaten. Dazu berücksichtigt es Ihre individuellen Vorlieben und eventuelle Unverträglichkeiten. Das Ganze wird dann womöglich noch abgeglichen mit Bewertungen aus Social-Media-Portalen. Daraus wird die optimale Einkaufsliste errechnet und wo es was in der Nähe gibt.“
RFID-Transponder werden bislang vorwiegend als Diebstahlschutz verwendet
Damit aus der Vision Wirklichkeit wird, braucht es vor allem eine stärkere Nutzung von RFID-Systemen. Bisher werden die Transponder, über die Gegenstände lokalisiert werden können, vorwiegend als Diebstahlschutz an Textilien verwendet. Für Lebensmittel komme der Einsatz der RFID-Tags aus Kostengründen bisher nicht in Frage, war auf der Messe EuroShop Anfang März in Düsseldorf u. a. am IBM-Stand zu hören.
Donnerstag, 12. März 2020, 7.30 Uhr: Auf dem Display in der S-Bahn sieht Julian die Anzeige für eine Outdoorjacke. Mit dem Smartphone fotografiert er die Werbung und schickt sie seiner Freundin. Die findet die Jacke auch klasse, und so fragt Julian mit dem intelligenten Handy die Läden im Umkreis ab, wo das Kleidungsstück in seiner Größe und Lieblingsfarbe vorrätig ist. Dort lässt er die Jacke reservieren, weil er sie nach der Arbeit anprobieren möchte.
Das Smartphone als ständiger Begleiter? Als Navigationshilfe, Preissuchmaschine und Empfänger für passgenaue Werbung? „Diese Angebote können den Wünschen der Verbraucher entgegen kommen und ihnen einen Mehrwert bieten“, räumt Cornelia Tausch ein. Doch die Datenschutzexpertin vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) pocht auf Transparenz – „darüber, wann welche Daten von wem erhoben und verarbeitet werden, ob Profile der Verbraucher erstellt werden.“ Außerdem müsse klar sein, wie bzw. bei wem man Auskunft über vorhandene Daten erfragen und eine Löschung beantragen kann.
Donnerstag, 12. März 2020, 12.30 Uhr: Die Mittagspause nutzt Julian, um seine Lebensmittelkäufe zu tätigen. Beim Check-in am Supermarkt wird gleich die elektronische Einkaufsliste eingelesen. Das Display am Einkaufswagen weist Julian entlang des Hauptweges die Standorte der benötigten Waren. Beim vorgeschlagenen Tischgrill ist Julian skeptisch. Er scannt die Artikelnummer und erfährt über sein Smartphone, dass andere Käufer das Produkt schwer zu reinigen fanden. Der etwas größere Grill derselben Marke hat dagegen in diversen Tests gut abgeschnitten. Er ist zwar nicht vorrätig, doch Julian kann das Gerät gleich bestellen und bekommt es tags darauf nach Hause geliefert.
„Der Handel muss reagieren. Kunden können und wollen sich Informationen über Waren besorgen, noch ehe sie das Geschäft betreten“, ist Hildegard Gerhardy von IBM Deutschland überzeugt. Die Lösung heißt Multi-Chanel: Shoppen auf allen Kanälen. Doch dafür braucht der Händler eine einheitliche und stets aktuelle Datenbasis in der Warenwirtschaft, rät Stefan Gruler, bei SAP für Geschäftsbereich Handel verantwortlich. Zudem müssten enorme Datenmengen in kürzester Zeit verarbeitet werden, damit dem Kunden z. B. noch im Laden ein individuelles Sonderangebot oder eine Produktalternative auf den Schirm geschickt werden könnten.
„Unser Ziel ist das gläserne Produkt, nicht der gläserne Kunde“
Donnerstag, 12. März 2020, 12.45 Uhr: Als er die Steaks aus der Kühlung nimmt, empfängt Julian einen Coupon auf seinem Handy, mit dem er den Rucola-Salat heute 20 % günstiger bekommt. Dazu empfiehlt der Supermarkt ein Fertig-Dressing. Da Julian allergisch gegen Sojaprodukte ist, checkt er per Smartphone sicherheitshalber, wofür die E-Nummern auf der Verpackung stehen.
Verderb frisst die knappen Margen bei Frischeprodukten im Supermarkt schnell auf. Würde der Absatz der Waren besser kontrolliert und über den Preis schon ab der Wochenmitte gesteuert, könne der Warenverderb um ein Viertel gesenkt werden, heißt es bei IBM. Denkbar sei auch, die Preise nach Mindesthaltbarkeitsdaten zu staffeln, damit nicht alle Kunden die Ware mit dem entferntesten Datum nehmen.
Allergiehinweise, Produkthistorie, Kühlkette – ob der Verbraucher der Zukunft wirklich all diese Informationen abrufen wird, ist fraglich. Doch allein der Umstand, dass er es könnte, schafft Vertrauen. „Unser Ziel ist das gläserne Produkt, nicht der gläserne Kunde“, sagt Ralf Jung vom Innovative Retail Laboratory.
Donnerstag, 12. März 2020, 12.55 Uhr: Jetzt aber zurück zur Arbeit. Zum Glück muss Julian nur noch den Einkaufswagen durch die RFID-Schleuse schieben. Die Zahlung autorisiert der junge Mann per Handy und Fingerabdruck. Der Rechnungsbetrag wird automatisch von dem Konto abgebucht, das in seinem Kundenprofil hinterlegt ist.
„Die Möglichkeiten zum Bezahlen mit dem Handy werden sich weiterentwickeln“, meint Verbraucherschützerin Tausch. „Aber auch hier muss gewährleistet sein, dass Schwarzen Schafen das Handwerk technisch und juristisch gelegt wird. Schon jetzt gibt es Beschwerden über Abofallen via Handy, unbefugte Abbuchungen über Handyrechnungen und andere Praktiken.“
Donnerstag, 12. März 2020, 17.30 Uhr: Auf dem Heimweg will Julian noch die Jacke anprobieren. Das Teil ist wirklich funktional, sieht gut aus, und der Preis stimmt obendrein. Wäre sicher auch etwas für seinen Kumpel Axel. Seine Empfehlung per Twitter bringt Julian für den nächsten Einkauf einen Rabattcoupon, den er auf dem Smartphone speichern kann.
Empfehlungsmanagement ist eigentlich ein alter Hut. Doch über Social-Media-Kanäle, etwa Twitter oder Facebook, werden Empfehlungen viel schneller verbreitet. Und wenn sich der Kunde identifiziert, kann der Händler sein Verhalten viel einfacher belohnen.
Unternehmen werden verstärkt soziale Netzwerke durchforsten, um herauszufinden, welche Probleme potenzielle Kunden bewegen
Freitag, 13. März 2020, 20.30 Uhr: Während Julian für den morgigen Steak-Abend noch passende Musik herunterlädt, berichtet er seinen Freunden im Netz, dass er gestern günstig eine coole Outdoorjacke gekauft hat. „Schade, dass die keine Protektoren hat. Könnte ich sonst gut auf dem Motorrad anziehen“, schreibt Julian.
Gut möglich, dass Julian in einigen Monaten genau seine Jacke mit einsetzbaren Protektoren in der Werbung findet. Denn die Hersteller werden verstärkt Social-Media-Management betreiben, d. h. das Internet durchforsten auf der Suche nach Foren und Blogs, in denen ihre Produkte diskutiert werden, glaubt Adrian Hotz vom Institut für Handelsforschung in Köln. „IBM hat einen Meta-Crawler entwickelt, mit dem wir diesen Informationsschatz heben können.“ So können Unternehmen herausfinden, welche Probleme ihre potenziellen Kunden bewegen. Die Firma Schwarzkopf hat das z. B. zum Thema Haare ermitteln lassen und ihre Homepage nach den Themen strukturiert, die im Netz am häufigsten diskutiert wurden. Ergebnis: „Die Zugriffe auf die Seite haben sich vervielfacht“, berichtet Hotz.
Freitag, 13. März 2020, 23 Uhr: Julian geht ins Bett – und endlich offline. Sein Smartphone und er müssen neue Energie tanken. Einkaufen bleibt wohl auch in Zukunft anstrengend.
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