EMV wird zum Schlüssel für Elektromobilität
Die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) muss frühzeitig in Produktentwicklung und -design einfließen. Das gilt vor allem für Elektromobile. Eine wirksame Abschirmung ist einer der Schlüsselfaktoren für die Elektromobilität, davon sind Fachleute überzeugt. Hier kommen elektromagnetische Felder in einem Ausmaß in den Fokus der Entwicklungsingenieure, das es bei der bisherigen Entwicklung von Fahrzeugen nicht gab.
Das Phänomen elektromagnetischer Störungen kennt jeder. Zwar kann man sie nicht sehen oder riechen, aber „Gebrazzel“ im Radio ist ein Zeichen für sich gegenseitig beeinflussende elektrische Felder. Um ihnen auf die Spur zu kommen, müssen selbst professionelle Störsucher schon mal um die Ecke denken. Sie decken auf, dass die Klimaanlage im Krankenhaus das Kernspingerät stört oder außer Kontrolle geratene PCs oder Fernsehantennen den Taxifunk behindern. Bei Weitem nicht harmlos, sondern eine Sicherheitsaufgabe ist zum Beispiel die Bordelektronik in Flugzeugen, die ungestört funktionieren muss.
Zu starke Magnetfelder können dem Organismus schaden
Was hilft, heißt: elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Für EMV-taugliche Produkte wird geschirmt und gefiltert. Absorber, Kondensatoren, Spulen oder Kupfergeflechte werden eingesetzt, um eines zu verhindern: dass der Einfluss elektromagnetischer Störungen, die von nahezu jedem elektrischen oder elektronischen Gerät ausgehen, zu groß wird. Die EMV kommt immer stärker auf die Unternehmen zu, Produktgestaltung und Produktqualität müssen zunehmend danach ausgerichtet werden.
Nach dem EMV-Gesetz ist die EMV-Prüfung für viele Produkte vom Kühlschrank bis zum Mobiltelefon eine Voraussetzung, damit sie vermarktet werden können. EMV ist ebenso eine Sache des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, denn zu starke Magnetfelder können dem menschlichen Organismus schaden, die Erkenntnisse finden sich in den Grenzwertsetzungen für elektrische und magnetische Feldstärken wieder.
Damit nicht genug: Fachleute, die sich der elektromagnetischen Verträglichkeit verschrieben haben – Messtechnikhersteller, EMV-Dienstleister, Prüflabore, Materialentwickler, Autozulieferer – rechnen mit einer Verdoppelung des Störpotenzials durch elektromagnetische Felder alle zwei Jahre.
Noch schneller geht es im Kfz-Bereich. Im Auto ist der Anteil der elektrischen und elektronischen Baugruppen in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen. Beispiel sind die bis zu 40 kleinen Elektromotoren, mit denen man den Sitz verstellen kann.
Elektromobilität im Focus
„24 % der Pkw-Herstellungskosten gingen im Jahr 2010 aufs Konto von Elektrik und Elektronik. Bei Elektroautos liegt der Anteil höher als 50 %“, weiß Uwe Birnbaum, der als EMV-Berater unter anderem bei VW unterwegs ist. Aber es sind nicht die Kosten, die ihn umtreiben. Es ist die Tatsache, dass alle elektrischen Einrichtungen im Kfz Störungen aussenden können, was mit Blick auf die E-Mobilität eine besondere Qualität bekommt.
„Mit der Elektromobilität müssen wir EMV völlig neu denken“, sagt Birnbaum. Nötig sei mindestens eine Verdoppelung der EMV-Anstrengungen. Denn das E-Auto stört durch seine elektromagnetischen Emissionen, wird von außen gestört und es gibt Störeffekte innerhalb des Fahrzeugs. Die EMV muss all das kompensieren.
Elektroautos sind in den Augen der EMV-Experten absolut heiße Eisen. „Wir reden angesichts der im E-Fahrzeug auftretenden sehr hohen Ströme von magnetischen Feldstärken in einer völlig neuen Dimension“, so sieht es Gerhard Pohlmann, Chef des EMV-Dienstleisters EMC Test NRW. Im Elektroauto trifft das Hochvoltbordnetz mit 400 V bis 1000 V Gleichspannung auf das 12-V-Netz der Batterie, die Stromstärken im Fahrzeug erreichen bis zu 500 A. Hauptstörquelle ist der Inverter, der Gleichstrom stufenlos in Wechselstrom umwandelt.
Dabei kommen enorme elektrische Leistungen zustande. Hinzu kommen hohe Stromspitzen beim Anfahren und Bremsen und durch die schnellen Schaltvorgänge werden breitbandige Störspektren generiert, die zu einer Störaussendung über einen weiten Frequenzbereich führen. Für die Störfestigkeit sind das besondere Herausforderungen.
Anforderungen an elektrische Sicherheit sind hoch
Auch die Anforderungen an die elektrische Sicherheit sind hoch, eine Orientierung bietet die kürzlich verabschiedete europäische Norm ECE 100 für batteriebetriebene Elektrofahrzeuge. Die 2012 erweiterte Richtlinie macht Vorgaben zur Sicherstellung der EMV. Grundvoraussetzung ist: Alle Bauteile vom Stecker bis zum Kabel müssen geschirmt sein, um Kopplungseffekte mit anderen elektrischen oder elektronischen Komponenten im Fahrzeug zu verhindern. Sämtliche Leitungen zwischen Batterie, den Schaltteilen bis zum Motor müssen hochfrequenzdicht sein.
Enorm aufwendige Messungen absolvieren die Fahrzeuge mit den neuen Antriebstechnologien in abgeschirmten Absorberhallen, wo gemessen wird, was die Autos nach außen abstrahlen. 30 V/m ist der Grenzwert für die Mindeststörfestigkeit, der nachzuweisen ist. „Derzeit arbeiten die Absorberhallen alle im Schichtbetrieb wegen des hohen Messaufkommens“, berichtet Birnbaum und teilweise müsse die passende Messtechnik für die Hochvoltmessungen noch entwickelt werden.
Ein wunder Punkt ist das Laden. Bei der Frage „Wie messe ich EMV-Emissionen im Ladezustand?“ gibt es noch viele ungeklärte Punkte. Während des Ladevorgangs ist das Auto in der Regel an das öffentliche Energieversorgungsnetz angebunden. „Neue Normen für die Ladeinfrastruktur sind fällig“, findet Birnbaum. Für die EMV-Festigkeit von Ladestation und Ladekabel gibt es noch keinen abschließend gültigen Standard.
Generell ist die Normung für Hybrid- und reinelektrisch betriebene Fahrzeuge noch im Fluss. Wegen der bestehenden Ungewissheiten arbeiten hiesige Automobilhersteller mit scharfen „Hausnormen“, um sich abzusichern. Für die Zukunft fordern die EMV-Fachleute, dass die Störfestigkeit grundsätzlich schon mit in die frühe Planungsphase einbezogen wird, um die E-Mobile von Anfang an auf EMV zu trimmen.
Simulationen bieten die Möglichkeit, im frühen Entwicklungsstadium zu sehen, wo die höchsten Feldstärken auftreten und wo die günstigsten Leitungsverläufe liegen. Pohlmann kommt zu der Einschätzung: „Ein Grund dafür, dass Elektrofahrzeuge nicht mal eben mit einem Fingerschnipp in den Markt zu drücken sind, ist: Es muss in den kommenden Jahren noch sehr viel intensive EMV-Entwicklungsarbeit geleistet werden!“
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