Automobilelektronik 29.06.2012, 11:00 Uhr

e.Solutions entwickelt für Audi Infotainment-Lösungen

Die Welt der Konsumelektronik mit der automobilen Produktion zusammenbringen – diese Aufgabe übernimmt für Audi in großen Teilen die Firma e.Solutions, ein Zusammenschluss aus Elektrobit und Audi Electronics Venture. Das Projekt des leitenden Software-Direktors Rainer Lange und seiner schnell wachsenden Mannschaft heißt modularer Infotainment-Baukasten.

Infotainment im Auto.

Infotainment im Auto.

Foto: Audi

Eine Stunde, länger sollte es nicht dauern. Wenn Rainer Lange in abendlichen Telefoninterviews mit neuen Bewerbern spricht, weiß der erfahrene Software-Ingenieur meist ziemlich schnell, wer ins Team von e.Solutions passen könnte. Während viele Firmen oft verzweifelt nach hoch qualifizierten Entwicklern suchen, stellt sich bei dem Joint Venture, das die finnische Automotive-Schmiede Elektrobit und die Audi Electronics Venture GmbH im Jahr 2009 gegründet haben, ein ganz anderes Problem: Wie aus der riesigen Bewerberzahl die richtigen Kollegen auswählen?

Denn die Anforderungen an den Firmensitzen Ingolstadt und Erlangen sind hoch. „MIB High“ heißt das Großprojekt, das die derzeit 180-köpfige Mannschaft um Rainer Lange stemmen muss. Der Software-Direktor will das gemeinsam mit seinem Pendant Klaus Gaßner in Erlangen sowie mit den Geschäftsführern Uwe Reder und Riclef Schmidt-Clausen noch in diesem Jahr schaffen.

e.Solutions-Baukasten verbindet das Auto über das Internet mit anderen Fahrzeugen

Auch die Roadmap für die kommenden Jahre ist prall gefüllt – e.Solutions soll Infotainment-Lösungen für die zukünftigen Fahrzeuggenerationen des VW-Konzerns entwickeln. Dabei steht im Moment das System Audi Connect im Mittelpunkt. Unter diesem Begriff werden das gesamte Technik- und Produktportfolio gefasst, das Fahrzeugen ermöglichen soll, mit dem Internet, der Infrastruktur und anderen Fahrzeugen verbunden zu sein.

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Die Abkürzung MIB steht für Modularer Infotainment-Baukasten. Er soll 2012 als Konzernmodul die bisherigen Markenlösungen ersetzen. Dieses sogenannte Baukastenprinzip verfolgt Volkswagen schon im Automobilbau für alle Baureihen. Den neuen Audi A3 und den neuen Golf fertigt VW auf der Basis eines sogenannten modularen Querbaukastens. Auf einer einheitlichen Fahrzeugarchitektur werden verschiedene Fahrzeugteile immer wieder neu kombiniert – das erlaubt eine größere Vielfalt und eine effizientere Produktion. Gleiches passiert parallel im Softwarebereich.

Denn auch im automobilen Infotainment wachsen die Herausforderungen. „Immer mehr Funktionen müssen in immer kürzerer Zeit in die Fahrzeuge integriert werden“, erklärt Rainer Lange, der Erfahrungen aus Stationen bei Siemens, Motorola und dem ADAC mitbringt. Wo anfangs nur ein Radio zur Unterhaltung und Information diente, wollen die Kunden heute leistungsfähige Sound- und Mediensysteme, anspruchsvolle Navigation und eine Verbindung ins Internet.

Schließlich sollte aus Sicht der Kunden ein 40 000-€-Auto erst recht das haben, was schon das 400-€-Smartphone kann. Dabei sinken jedoch die Hardwarepreise in der Konsumelektronik kontinuierlich, während die Bedeutung von Software im Automobil auch als Teil der Wertschöpfungskette rasant steigt.

Alle Automobilhersteller stehen vor der Aufgabe, diesen Wandel technisch umzusetzen. Denn der bisherige Modellzyklus von rund acht Jahren mit einer Entwicklungsdauer von vier bis fünf Jahren ist auf den Infotainment-Bereich nicht übertragbar, wo die Lebensdauer der Komponenten deutlich kürzer ist.

Außerdem müssen die Fahrzeughersteller Applikationen, die Kunden vom Smartphone kennen, intelligent ins Auto integrieren, ohne dass die Fahrer zu sehr abgelenkt werden. „Der Autofahrer kann nicht, im Gegensatz zum Smartphone-Nutzer, 100 % seiner Aufmerksamkeit dem Infotainment widmen“, warnt Riclef Schmidt-Clausen. „Die Entwicklung einfacher Bedienphilosophien über ein Touchpad, Spracheingabe, reduzierte Anzeigen oder alternative Möglichkeiten wird die Kernkompetenz der Automobilhersteller bleiben“, glaubt er.

e.Solutions baut Brücke zwischen Konsumelektronik und Automobilwelt

Die Lösung, eine Brücke zwischen Konsumelektronik- und Automobilwelt zu schlagen, heißt bei Audi also modularer Infotainment-Baukasten, das Projekt: MIB High. „MIB High ist eine Weltneuheit“, sagt Lange. Dabei setzt e.Solutions auf ein modulares Hardwarekonzept und die Entwicklung einer hardwareunabhängigen Infotainment-Funktionssoftware. Auf der sogenannten Radio Car Control Unit, die von einem Systemlieferanten entwickelt und gefertigt wird, werden Steuerung und Funktionen, die in einem Fahrzeugzyklus stabil bleiben, untergebracht. Dazu gehören etwa der Soundverstärker oder das Strommanagement.

Die Besonderheit kommt dann mit der sogenannten Multimedia Extension hinzu. Auf einem Steckboard, das mit dem neuesten Nvidia-Grafikprozessorchip ausgestattet ist, kommen Infotainment-Funktionen mit kurzen Innovationszyklen ins Fahrzeug, z. B. Navigation, Spracheingabe, Browser sowie die Bedienoberfläche. „Die Bedienoberfläche halten wir austauschbar“, erklärt Lange. Und sollte der Prozessor die Anforderungen einmal nicht mehr bewältigen, kann auch er leicht ersetzt werden.

„Wir integrieren viel mehr Software als alle anderen“, betont der Projektleiter. „Dabei arbeiten wir mit der gleichen Basissoftware und setzen verschiedene Applikationen darauf – da werden nicht nur Farbe und Form verändert, die gesamte Logik ist anders. So wirkt das System je nach Marke für den Fahrer immer unterschiedlich.“

Während all die neuen Funktionen, die etwa Navigation über Bilder von Google Street View ermöglichen oder Informationsdienste bereitstellen, ihren Platz in einer kleineren Box finden, wird die zugrunde liegende Software immer umfangreicher. Unter anderem, weil künftig viel mehr Dienste individualisiert werden können.

„Wir liefern mehr als fünfmal wöchentlich Software aus“, erzählt Lange. Diesen Umfang kann e.Solutions nicht allein in so kurzer Zeit bewältigen, und so greift das Unternehmen derzeit auf rund zehn Lieferanten zurück.

Mit einer konventionellen Art der Softwareentwicklung käme man hier nicht weit. „Änderungswünsche kommen oft unerwartet und nicht selten in letzter Minute. So sind etwa viele Audi-Connect-Umfänge erst im Laufe des Projekts entstanden. Eine Planung mit drei Jahren Vorlauf ist da nicht sinnvoll, wenn man schnell auf neue Trends reagieren will“, erzählt Schmidt-Clausen.

Deshalb setzt e.Solutions auf agile Softwareentwicklung bei sich und den Lieferanten. „Infotainment-Systeme sind so komplex, dass eine komplette Durchtestung schwer möglich ist“, erklärt Lange. „Für Premiumqualität ist es zwingend erforderlich, schon bei den kleinsten Systemkomponenten einen extremen Qualitätsmaßstab anzulegen.“

e.Solutions: “Die Qualitätskontrolle beginnt bei uns auf Zahnradniveau”

Auch Fehler müssten im Prozess schnell gefunden und sicher zugewiesen werden können. „Die Qualitätskontrolle beginnt bei uns schon auf Zahnradniveau“, so der Ingolstädter Softwareexperte. Unser Anspruch: 100 000 km intensivste Fahrerprobung ohne Systemfehler“, ergänzt Schmidt-Clausen. Schnittstellen sind klar definiert, neue Lieferanten sollen immer „Best of Class“ sein, so das Credo von e.Solutions.

Diese strenge Vorgabe gilt auch für die Mitarbeiter. „Trotz Start-up-Atmosphäre achten wir auf klare Verantwortlichkeiten. Denn bei einem technisch so extrem anspruchsvollen Projekt müssen die Strukturen passen“, sagt Lange.

Das macht die Suche nach Bewerbern nicht leichter, die Ablehnungsquote liege bei 90 %, sagt Geschäftsführer Uwe Reder. Und Lange ergänzt: „Wir verlassen uns nicht allein auf die Fachqualifikation, die Persönlichkeit ist ebenso wichtig für das Team.“ Lange bringt als Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr noch einen anderen Blickwinkel mit. Der Aufbau der Mannschaft gelinge heute nur noch mithilfe von Entwicklern aus dem europäischen Ausland. „Innerhalb von drei Jahren sind wir hier in Ingolstadt von zehn auf 90 Leute gewachsen.“

Arbeit und Herausforderungen wird es in den kommenden Jahren genug geben für die Softwareentwickler. Schließlich hängt es stark von ihnen ab, die jüngere Generation vom Interneterlebnis in den neuen Modellen zu überzeugen. Doch ihnen ist auch klar: „Wir können nicht unbegrenzt wachsen.“

Ein Beitrag von:

  • Simone Fasse

    Freie Journalistin und der Kopf hinter der Kommunikationsagentur Verbia in München. Simone Fasse besuchte die Georg-von-Holtzbrinck-Schule und arbeitete als Volontärin und Redakteurin bei VDI Nachrichten, bevor sie als in die Unternehmenskommunikation des Pay-TV-Senders Premiere (heute Sky Deutschland) wechselte. Seit 2007 schreibt sie freiberuflich mit den inhaltlichen Schwerpunkten Digitalisierung, Neue Technologien, New Work, Diversity/Women in Tech. Sie wurde mit dem „Medienpreis Technik“ ausgezeichnet und moderiert Events und Paneldiskussionen.

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