Fahrradsattel nach Maß: Drucksensoren machen es möglich
Nach einer langen Fahrradtour können die Sitzknochen so stark schmerzen, dass selbst der Abend auf der Couch zur Qual wird. Abhilfe ist in Sicht – an der TU Berlin entsteht gerade ein System, mit dem es möglich sein soll, einen Fahrradsattel perfekt an die Konturen des Benutzers anzupassen.
Fahrradfahren liegt im Trend. Als gesundheitsbewusster Freizeitsport ist es schon lange gefragt, und auf dem Weg zur Arbeit schlägt es sogar Bus und Bahn, wenn es um das Thema Energieeffizienz geht. Die Elektromobilität hat dem Fahrrad einen weiteren Schub verpasst. Schließlich ist es mit den modernen E-Bikes problemlos und schnell möglich, auch längere Strecken zurückzulegen oder Berge zu überwinden – wenn da nur nicht die Schmerzen im Po wären. Von diesem Phänomen können wohl die meisten Radler berichten. Sobald die Tour etwas länger ausfällt als gewöhnlich, wehrt sich der Körper gegen die ungewohnte Belastung. Es kann sogar zu Taubheitsgefühlen im Dammbereich kommen. Selbst weich gepolsterte Sättel können das nicht verhindern, obwohl sie natürlich etwas bequemer sind als beispielsweise der harte Fahrradsattel eines Rennrads. Fest steht: Die Sitzknochen schmerzen umso stärker, je mehr Druck der Sattel auf sie ausübt, und das hängt natürlich auch von seiner Form ab.
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Die Forscherin Sigrid Rotzler geht daher einen neuen Weg. Sie versucht, die Geometrie des Gesäßes perfekt auszumessen. Mit diesen Daten soll es im nächsten Schritt möglich sein, einen individuell geformten Fahrradsattel herzustellen, der ideal an den eigenen Körper angepasst ist und daher so wenig Druck wie möglich ausübt. Ihre Arbeit gehört zum Projekt EmbrASe (Entwicklung von textilbasierter, gestickter Flächensensorik und eines Technologieportfolios als Lösungsplattform für weitergehende Sensorik-Entwicklungen). EmbrASe ist Teil des Forschungsschwerpunktes (FSP) Technologien der Mikroperipherik, in dem unter anderem die TU Berlin und das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) zusammenarbeiten.
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Sensoren helfen nicht nur Fahrradfahrern
Rotzler verlässt sich bei dem perfekten Fahrradsattel aber nicht allein auf die innovative Mikroelektronik, sondern kombiniert sie mit einem traditionellen Handwerk – der Stickerei. Edelstahlleiter, die nur 0,2 Millimeter dünn sind, werden nämlich in einem Abstand von jeweils 2,5 Millimetern auf einen Stoff aufgestickt. So soll eine textilbasierte Messmatte entstehen, mit der die Daten für einen passformgerechten Fahrradsattel ermittelt werden können.
Das Anwendungsgebiet wird sich dabei nicht aufs komfortable Fahrradfahren beschränken. Textile Drucksensoren sind auch interessant für die weiche Robotik (Softrobotik). Zudem könnten sie dabei helfen, Arbeitsprozesse zu verbessern. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Mitarbeiter in der Fabrikation Funktionshandschuhe mit textilen Drucksensoren trügen? Dann ließe sich messen, wie viel Kraft sie für bestimmte Arbeitsschritte brauchen. Diese Daten könnten wiederum dabei helfen, Bewegungsabläufe zu verbessern und Prozesse ergonomischer zu gestalten.
Welches Material führt zum ergonomischen Fahrradsattel?
Die textilen Drucksensoren für Fahrradfahrer sind in drei Lagen aufgebaut. Die obere und untere Schicht ist mit den Edelstahlleitern bestickt. Wichtig ist dabei, dass die Leiter oben und unten jeweils um 90 Grad gedreht platziert sind, sodass die Edelstahlleiter ein Gitter bilden. Die Zahl der Kreuzpunkte ist dabei abhängig von der Gesamtgröße – Rotzler arbeitet mit bis zu 1024 Kreuzungspunkten. Dazwischen, in der Sandwich-Position, befindet sich eine schwachleitende Textillage, deren Widerstand sich abhängig vom Druck ändert. So ist es möglich, an den Kreuzungspunkten den Widerstand zu messen und daraus die Druckbelastung zu errechnen. Setzt sich also ein Fahrradfahrer auf die Matte, können die Forschenden exakt bestimmen, wie das Gesäß geformt ist.
An diesem Punkt ist Rotzler aber noch nicht angelangt. Zunächst will sie herausfinden, welche Materialien in welcher Kombination für welche Anwendungen die zuverlässigsten Werte liefern. Zahlreiche Testläufe werden dafür benötigt. Auch die Belastungsszenarien variiert die Wissenschaftlerin. „Bei der Anwendung der textilen Drucksensoren im Funktionshandschuh müssen eher sich schnell verändernde, kleine Kräfte, die zum Teil nur sehr kurz einwirken, zuverlässig gemessen werden. Als Messmatte für den Fahrradsattel wiederum wirken auf den Sensor größere Kräfte für einen längeren Zeitraum ein. Deshalb ist es hier wichtig, dass sich der Widerstand bei gleichbleibender Dauerbelastung nicht über die Zeit ändert.“, erklärt Rotzler.
Fahrradfahrer sind eine große Zielgruppe
Unterschiedliche Materialien für die äußeren Lagen, für die Zwischenlage, für den Leiter, und das für verschiedene Belastungen – eine Menge Arbeit. Sogar zwei verschiedene Sticktechniken für die Leiter hat Rotzler getestet. Aber Rotzler hat keine Zweifel daran, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit auf großes Interesse stoßen werden. Schließlich habe alleine der Allgemeine Deutsche Fahrradclub über 200.000 Mitglieder – ein maßgeschneiderter Fahrradsattel dürfte also gut nachgefragt werden.
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