Faszination Flugsimulator: zu Besuch bei passionierten Hobbyfliegern
Für viele ist Flugsimulation eine Passion. Für echte Fans gibt es jetzt eine Neuauflage der Computerspielreihe „Microsoft Flugsimulator“.
Ajay Chabra dreht die Maschine mit einer weiten Kurve sanft auf die Landebahn ein. Er gibt ein wenig Schub, schwebt über Büsche und Bäume, dann setzt er gekonnt auf, die Nasenspitze des Flugzeugs leicht angehoben. Er nimmt Schub weg und lässt die Maschine vom Typ Beechcraft 58 ausrollen. Man merkt: Chabra betreibt das Hobby „Flugsimulation“ nicht erst seit gestern. Während er auf den Monitor blickt, fährt er an einem Homecockpit mit einem echten Schalter die Landeklappen ein. Dann steht er auf und lächelt. Der Nächste ist dran, die Schlange hinter ihm ist lang.
Ein Flugzeug zu fliegen und erst recht sauber zu landen, muss man üben – im echten Leben muss man dafür extrem viel lernen und über Jahre Pilotenlizenzen absolvieren. Doch auch in der virtuellen Fliegerei ist das alles andere als einfach. Jeder, der heute hier zum Flughafen Paderborn-Lippstadt, einem regionalen Verkehrsflughafen in Nordrhein-Westfalen, zur „Flugsimulatorkonferenz“ gekommen ist, weiß das. An einem Trainer für Kleinstflugzeuge, an dem alle entscheidenden Schalter eines Flugzeuges – von der Parkbremse bis zum Einstellen der richtigen Funkfrequenzen – nachgebildet sind, lässt sich das Gefühl des Fliegens daher gleich noch einmal viel echter nachempfinden.
Jeder hier weiß schließlich um die Herausforderungen und Tücken dieses Hobbys: Man sitzt auf einem Bürostuhl vor einem Monitor, blickt zwar auf ein realistisch gestaltetes Cockpit, hat die Hände an Maus und Tastatur, an Spielcontroller, Joystick oder Yoke: Das „Popogefühl“ aber, das einem unmittelbar mitteilt, wie es um die eigenen Flugkünste bestellt ist, fehlt. Umso schwieriger ist es, sich ins echte Fliegen hineinzufühlen. Die große Herausforderung ist daher, im Kopf mitzufliegen.
Auch für die Flugsimulation gibt es entsprechende Fluglotsen
Nur ein paar Meter weiter auf der Messe, hinter großen Stoffbannern verborgen, ist David Kucharski unterdessen voll in seinem Element als Fluglotse. Soeben leitet er ein paar virtuelle Flieger durch den Luftraum von Paderborn, Münster und Düsseldorf. Virtuelle Airlines bitten um Landeerlaubnis und wollen von ihm für die entsprechenden Anflugverfahren eingewiesen werden. Während rund um Kucharski gefachsimpelt wird, ist er hoch konzentriert – und spielt für das virtuelle Luftfahrtnetzwerk Ivao (International Virtual Aviation Organisation) einen Luft-Controller.
Virtuelle Piloten, die irgendwo auf der Welt daheim an ihren Schreibtischen vor Monitoren sitzen, wollen von Kucharski sauber zu Boden gebracht werden. „Das ist eine große Verantwortung, wenn auch nicht so groß, als wenn man auf einem echten Tower sitzen würde“, sagt er. Gleichwohl: Phraseologie, Meteorologie, Luftrecht, Kommunikation – alles muss Kucharski beherrschen. „Im Grunde wird alles eins zu eins der Realität nachgebildet.“ Mit großem Erfolg: „Menschen, die einst bei uns angefangen haben, arbeiten heute zum Beispiel bei der Deutschen Flugsicherung“, erklärt er stolz.
Fliegen – das ist eine Sache, die Menschen seit Jahrhunderten fasziniert. Flugsimulation gibt es seit rund 40 Jahren und ist eine Möglichkeit, die Faszination mit dem Computer wirklichkeitsnah zu erleben, ohne langwierige Ausbildung oder Gefahr für Leib und Leben. Für den Computer gibt es die unterschiedlichsten Ausprägungen – von kampflastigen Simulationen bis zur zivilen Luftfahrt, die mittlerweile auf dem Monitor so lebensnah nachgebildet wird, als würde man aus einem echten Cockpitfenster blicken.
Das Maß aller Dinge ist für Fans der Flugsimulator von Microsoft. Ende November erschien eine neue Auflage der Computerspielreihe – der „Microsoft Flugsimulator 2024“. Nie zuvor sahen die Landschaften so schön und detailliert aus. Sogar das eigene Haus kann man mit ein wenig Fantasie entdecken. Möglich macht dies Streaming mit Microsoft-eigenen Servern, wodurch entsprechende Real-World-Daten auf dem eigenen PC dargestellt werden.
Flugsimulator: Dem Fliegen so nahe wie möglich kommen im virtuellen Cockpit
Doch manchen reicht das nicht – sie wollen ihrem Hobby, dem Fliegen, so nahe kommen wie irgend möglich. Sie empfinden Flugsimulation daher auch nicht als Spiel, sondern als eben dies: eine Simulation, in all ihrer Tiefe und in all ihren Details. Hunderte Besucher sind zu der ungewöhnlichen Konferenz aus ganz Deutschland angereist, circa 20 Stände sind aufgebaut in einer Nebenhalle des Flughafens Paderborn-Lippstadt, auf dem sonst nicht allzu viel los ist. Nur eine Handvoll echter Flugzeuge hebt hier pro Woche ab. Dennoch ist es ein passender Ort, um dieser anspruchsvollen Leidenschaft zu frönen.
Ganz der virtuellen Fliegerei verschrieben haben sich auch Eckhart Voß und Karsten Stender, Mitglieder des FSC e. V. – eines Vereins, der ausschließlich Flugsimulation betreibt und der rund 260 Mitglieder in Deutschland hat. Voß ist über die „Simmerei“, wie es unter den Fans heißt, zur echten Fliegerei gekommen, hat sie dann aber wieder bleiben lassen und fliegt nun wieder nur virtuell.
„Das echte Fliegen ist viel zu teuer geworden. Am Computer habe ich auch alles, was ich brauche. Wenn es draußen vor dem Fenster blitzt und donnert, dann blitzt und donnert es auch im Simulator“, so der ehemalige Polizeibeamte. Sein Kollege Karsten Stender ergänzt: „Bis man eine große Boeing vom sogenannten Cold&Dark-Status bis zur Landung sauber fliegen kann, können durchaus ein paar Jahre vergehen.“
Anspruch des Vereins, den es seit mittlerweile 30 Jahren gibt: Das Fliegen so realistisch zu vermitteln, wie es geht. Auf ihrem Tisch auf der Konferenz haben die beiden Kompendien zum Verkauf ausgelegt, die von Vereinsmitgliedern verfasst wurden und die den professionellen Einstieg in die virtuelle Fliegerei erleichtern sollen, etwa das Fliegen nach sogenannten IFR-Flugregeln. Beinahe jeder, der an dem Stand vorbeikommt, nimmt sich eines der Hefte mit. „In der Fliegerei lernt man nie aus“, sagt Stender lächelnd.
Zumindest in Deutschland kein Nachwuchsproblem bei Piloten
Winfried Diekmann, Geschäftsführer des Unternehmens Aerosoft, das viele Zusatzprodukte zur Simulation vertreibt und das zu der „Flugsimulatorkonferenz“ eingeladen hat, ist ganz in seinem Element, schüttelt viele Hände und mischt sich unter die Besucherinnen und Besucher. In einer ruhigen Minute sagt er, dass dieses Hobby ein Grund dafür sei, warum es zumindest in Deutschland kein Nachwuchsproblem bei Piloten gebe. „Viele finden über die Simulation den Einstieg und werden dann etwa Berufspiloten.“ Wenn er selbst mal Zeit finde, virtuell eine Runde zu drehen, so fliege er nach sogenannten Sichtflugregeln, orientiert sich also etwa an Straßen oder markanten Punkten. „Das ist mit der heutigen Simulation durchaus problemlos möglich.“ Noch vor ein paar Jahren war dies ein Wunschtraum vieler Flugsimulatorfans.
Für Außenstehende mag das alles komisch anmuten – erwachsene Menschen, die auf Monitore starren, hin und wieder etwas anklicken, dabei von einem Ort zum anderen fliegen, ohne sich wirklich zu bewegen – und die doch nichts spannender finden. Und die für dieses Hobby Tausende Euros ausgeben – etwa, um sich ein ganzes Homecockpit unterm heimischen Dach einzubauen, wie Manfred Spatz, der sich genau diesen Traum erfüllt hat. Rund 150.000 € hat er investiert, um in der Nachbildung einer Boeing 737 um die Welt zu jetten – und weil das noch nicht genügt, gestaltet er auch gleich noch die entsprechenden Flughäfen mit dazu.
Spatz lebt in Spanien, „es hat daher nahegelegen, dass ich gemeinsam mit meinem Kollegen Thorsten Loth die spanischen Airports nachgebaut habe“, sagt er. Tausende Fotos habe er auf echten Flughäfen geschossen, um die Airports virtuell nachzubilden. Als sogenannter Szeneriedesigner unter dem Label „Sim-Wings“ habe er unter Flugsimulationsfans einen Namen, er ist extra für die Konferenz nach Deutschland angereist. Ihn kennen viele. Die meisten sind schon einmal auf einem von ihm gestalteten Flughafen gelandet. Kein Wunder: Wie in der Realität fliegen auch virtuell viele gern in den Süden.
Mittlerweile genauso lang wie Spatz, also bestimmt 30 Jahre, ist auch Frank Schmidt dabei. Sind in den vergangenen Jahren etwa Zusatzflugzeuge erschienen, die man extra zur Hauptsimulation kaufen kann, so hat er Reviews dazu geschrieben. „Ich habe schon auf dem Commodore 64 Flugsimulation betrieben. Die Flugbegeisterung verliert man im Lauf des Lebens nicht“, sagt er. Hin und wieder besucht Schmidt seinen Simulationsfreund Manfred Spatz in Spanien, um dann mit ihm gemeinsam eine Runde in dessen Homecockpit zu drehen.
Auf der Konferenz zeigt sich schnell: Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, in der sich viele untereinander kennen und man sich immer wieder begegnet und austauscht. Alle treiben dabei die gleichen Gedanken um: Was gibt es Neues auf dem Markt, wie kann man die Simulation noch ein wenig realistischer machen? Hardwareprodukte wie Yokes, Pedale oder Throttles, mit denen man wie im echten Flieger Schub geben kann, stehen deshalb hoch im Kurs – und Messestände, die sie präsentieren, sind stark umringt. Mancher deckt sich einmal wunschlos glücklich ein und schleppt riesige Pakete draußen zum Flughafen-Parkplatz. Für viele ist es eine Art vorgezogenes Weihnachten.
Flugsimulator: Mithilfe von künstlicher Intelligenz die Flugzeugumgebung darstellen
Insgesamt hat sowohl die Soft- als auch die Hardwareentwicklung in den vergangenen Jahren bei der Flugsimulation große Fortschritte gemacht – und natürlich ist auch hier künstliche Intelligenz ein großes Thema. So ist etwa der Vortragsraum gut gefüllt, in dem Sven Gester, Mitgründer des Unternehmens „SayIntentions“, sein Projekt vorstellt. Gesters Ziel: über künstliche Intelligenz alles im Flugsimulator darzustellen, was rund um das Flugzeug herum passiert.
„Beim Flugsimulator 2002 gab es erstmals eine mitgelieferte Traffic Control. Das hat damals viele begeistert – doch was wir nun erleben, ist ein echter Quantensprung“, erklärt er den staunenden Zuhörern. „Bricht in der Realität etwa ein Vulkan aus, so nimmt unsere Software dieses Ereignis auf und bietet dem Piloten einen Ausweichflughafen an, wenn das eigentliche Ziel gesperrt ist.“
Auch auf menschliche Notfälle könne die KI reagieren. Mehr noch: So könne man mithilfe des Programms etwa erfahren, welche Orte man gerade überfliege und etwa Informationen zum Eiffelturm oder zu den Niagarafällen abrufen. Seit Jahren träumt die Szene vom sogenannten „digitalen Zwilling“ der Erde, den man nach Herzenslust per Flugzeug entdecken kann – mit den neuesten Entwicklungen ist das nun in greifbare Nähe gerückt.
Doch manchen ist das alles immer noch nicht real genug. So baut auch Tim Schröder ein Passagierflugzeug vom Typ Boeing 737 nach – allerdings aus Originalteilen. An seinem Stand liegen diverse Cockpitbauteile echter Maschinen aus, die er bei Ebay erstanden hat oder die von Flugzeugfriedhöfen stammen, kurzum: die er in mühseliger Detektivarbeit weltweit zusammengesucht hat. „Für mein Hobby bin ich täglich auf Ebay – und wenn man etwas Passendes findet, muss man verdammt schnell sein“, erklärt der gelernte Elektroniker. Es ist ein Projekt, das viele Interessierte auf der Messe anzieht. Auf einem Schild steht „Anfassen erlaubt“ – und das lassen sich viele Besucher nicht zweimal sagen. Anders als die Nachbauten für die Flugsimulation sind viele Schalter schwergängiger und robuster – kein Wunder, müssen sie doch im echten Leben Tausende Flugstunden funktionieren.
Schröder baut das Cockpit seit über vier Jahren gemeinsam mit zwei Freunden – und es ist bereits zu 90 % fertig. „Die Flugzeugnase haben wir etwa aus Russland mit einem Lkw besorgt.“ Lange stand sie bei ihm im Garten, bis eine passende Halle gefunden war. Großes Ziel: eine echtes, voll funktionierendes Cockpit zu besitzen.
Mancher Besucher kann kaum glauben, woran Schröder tüftelt; immer wieder muss er dieselben Fragen zu Herkunft, Funktionsweise und Einbau der Teile beantworten. Auch streicheln und klicken manche die Schalter der alten Flugzeugteile fast liebevoll – einmal ein echter Berufspilot sein, das wäre es gewesen im Leben, so scheinen viele Gesichter zu sagen. Doch das blitzt nur für einen Moment durch, denn dann würde aus dem „heiteren Ernst“ bitterer Ernst werden. Und der Spaß nur zu simulieren und doch ganz nah dran zu sein, wäre dann vorbei.
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