Galliumarsenid gerät unter Druck
Obwohl Silizium das mit Abstand meistgenutzte Halbleitermaterial ist, ginge in der Kommunikationstechnik oder bei Leuchtdioden nichts ohne den Werkstoff Galliumarsenid (GaAs). Verschiedene Initiativen im Umfeld der Chemikalienverordnung Reach stellen jetzt die Nutzung von GaAs in Frage.
Hinter den EU-Kulissen tobt ein Kampf um die künftige Bedeutung und Nutzung des Halbleitermaterials Galliumarsenid (GaAs). Hintergrund sind Vorstöße zunächst aus Norwegen (2007) und dann aus Dänemark (2009), die Verwendung von „Arsen und seinen Verbindungen“ in der Elektronikindustrie vollständig zu verbieten. Durch die seit Kurzem geltenden neuen europäischen Regelungen im Rahmen des Reach-Prozesses soll nun künftig eine gesonderte Zulassungspflicht für GaAs beschlossen werden. Für jede Wertschöpfungsstufe wäre dann der Nachweis der technologischen und sozioökonomischen Alternativlosigkeit zwingend vorgeschrieben.
Die Zulassungspflicht würde nach Befürchtungen von Branchenkennern wohl praktisch dazu führen, dass der Zeitaufwand für die Einzelprüfung zu einem Aus für GaAs in Europa führen würde. Elektronikbausteine mit dem Material werden aber in einer schnelllebigen Branche benötigt, die jedes Jahr neue Modelle herausbringt: vom Handy bis zum Flachfernseher.
GaAs gilt schon immer als ein Verbund-Halbleiter für elektronische Anwendungen, die von Silizium (Si) oder Germanium (Ge) aufgrund ihrer elektronischen Eigenschaften nicht erbracht werden können. Si bleibt für alle Massenanwendungen in der Elektronik weiter das wichtigste Halbleiterelement, zumal es Eigenschaften hat, die GaAs nicht bieten kann: Isolierende Bereiche lassen sich mit Si leichter herstellen als mit GaAs, die weitverbreiteten Cmos-Schaltungen sind in GaAs nicht möglich, weil die dafür notwendigen leistungsfähigen p-leitenden Feldeffekttransistoren aus GaAs nicht herstellbar sind. Doch wie groß sind die Risiken beim Einsatz von GaAs?
GaAs ist nahezu wasserunlöslich (etwa 25 µg/l Wasser), es gibt aber auch wasserlösliche Verbindungen, die man gelegentlich in Wasserleitungen nachweisen kann. Die Exposition mit natürlich vorkommenden arsenhaltigen Mineralien liegt in Europa in weiten Bereichen höher als die durch elektronische Geräte, zumal hier das GaAs stets verkapselt ist.
Arsen fällt unter die Deutsche Gefahrstoffverordnung. Für die rasche Erkennung sind daher Gefahrensymbole erforderlich, für genauere Beschreibung dann die sogenannten R- und S-Sätze („Risiko- und Sicherheitssätze“). Die R-Sätze sind Ausgangspunkt bei der Einstufung eines gefährlichen Stoffes. R-Sätze, die hohe Gefährlichkeitsmerkmale tragen, wie „krebserzeugend“, „erbgutverändernd“ oder „fortpflanzungsgefährdend“, stehen am Anfang der Liste. Weiter hinten finden sich für Arsen die R-Werte 23/25 und 50/53 und die bedeuten: R 23: giftig beim Einatmen, R 25: giftig beim Verschlucken, R 50: sehr giftig für Wasserorganismen und R 53: kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben.
Nicht wirklich Neues also, zumindest die ersten drei lernte man schon in der Schule. Bisher fiel GaAs nicht unter die EU-Richtlinie 1999/45/EC, diese Richtlinie wurde mittlerweile durch eine Ende 2008 veröffentlichte EU-Verordnung ersetzt. So ist die Gültigkeit der bisherigen R- und S-Sätze (und der Gefahrenhinweise) durch Übergangsfristen begrenzt. Faktisch ist GaAs aufgrund seiner eigenen Kristallstruktur ungiftig – was sich ändert, wenn diese Kristallstruktur z. B. durch Erhitzen über den Schmelzpunkt (1238 °C) aufgebrochen wird.
In den gängigen Mobilgeräten der Elektronik ist das Ausgangsmaterial Arsen nur in geringsten Mengen enthalten (etwa 1 mg Arsen pro Handy). Eine direkte Berührung ist infolge der Verkapselung der GaAs-Bausteine nicht möglich. Kurioser Weise hat sich das Risk Assessment Committee (RAC) bei Reach zwar mit GaAs und anderen „Abkömmlingen“ von Arsen beschäftigt, aber nicht mit dem Element Arsen selbst.
Mehr als 50 000 Stoffe, die sich auf dem europäischen Markt befinden, werden künftig bei der neuen Chemikalienagentur in Helsinki registriert. Reach stellt nichtvertrauliche Informationen über Stoffe und ihre Gefahren in einer Internetdatenbank zur Verfügung. Verbraucher haben einen Anspruch zu erfahren, ob Produkte besorgniserregende Stoffe enthalten.
Hier nun setzt der Kampf hinter den Kulissen um GaAs und seine künftige Beurteilung an. Das Risk Assessment Committee bei Reach will jetzt Analogschlüsse auf die angebliche toxische Wirkung von GaAs zulassen. Diese Rückschlüsse werden aus hochgradig wasserlöslichen Salzen von Arsen stammen – was dann mit einiger Sicherheit bei den Entscheidungsträgern nicht erkannt wird. Und so hat ein Brief eines deutschen Ministerpräsidenten an die Physikerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen GaAs und seine Zukunft wohl eine reelle Chance, dass er auch verstanden wird.
Die Tatsache, dass das verwendete Arsen in reiner Form und in vielen Verbindungen extrem giftig ist, führt natürlich dazu, dass bei der Herstellung von GaAs äußerste Sorgfalt geboten ist. Und nicht nur dort: auch bei der Entsorgung der Abfallprodukte. Dies und der im Vergleich mit Si fehlende Massenanwendungsmarkt sind vielleicht Gründe, warum es weltweit nur vier Hersteller gibt, die sich des Materials angenommen haben: zwei in Japan, je einer in China und Deutschland: die Freiberger Compound Materials (FCM) in Sachsen, die etwa ein Drittel des Weltmarktes bedient.
Das Unternehmen unterliegt nach der Störfallverordnung und mit Blick auf die gelagerten Chemikalienmengen nicht der Verpflichtung, einen eigenen Störfallbeauftragten für etwa 250 Mitarbeiter zu benennen. Die Chemikalienmenge erreicht zwar gelegentlich die Mengenschwellen, die in der Störfallverordnung genannt werden, da die angelieferten Rohstoffe – vor allem Arsen und Flusssäure – auf dem Werksgrundstück zwischengelagert werden. Darum besteht auch die Grundverpflichtung für ein Sicherheitskonzept mit betrieblichen Alarm- und Gefahrenabwehrplänen.
DILLAN O. KLIPSTAIN
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