Immer mehr Länder setzen bei der Grenzsicherung auf Radar
Zukunftswelt Radar: Je globaler die Welt wird, umso intensiver versuchen einzelne Länder oder Staatengemeinschaften wie die EU vor allem eins: ihre Grenzen zu sichern. Und das weniger gegen militärische Übergriffe, sondern gegen Menschen- und Drogenhändler, gegen illegale Einwanderer und potenzielle Terroristen. Der Aufbau großer Radaranlagen spielt dabei zunehmend eine Schlüsselrolle.
Mit Millionen Dollar versuchten die Amerikaner derzeit, ihre gut 3000 km lange Landesgrenze zu Mexiko zu sichern, insbesondere den westlichen Teil. Das auch schon „virtuelle Mauer“ genannte Überwachungssystem sollte aus Masten mit Kameras und anderen Sensoren, vor allem aber Bodenkontrollradaren, bestehen. Da es sich finanziell als Fass ohne Boden erwies, wurde es kurzfristig aufgegeben – an einem ähnlichen Nachfolgesystem wird aber bereits gearbeitet.
An der Grenze zu Kanada entsteht ein vergleichbares System aus Sicherheitsradaren, ergänzt durch spezielle Radare für die Überwachung der Grenzen an den großen Seen.
Aber nicht nur in den USA, sondern auch weltweit ist mit immer durchlässigeren Grenzen die Nachfrage nach Sicherheit vor illegalen Grenzüberschreitungen – seien es Terroristen, Drogenkuriere oder schlicht Arbeit suchende Flüchtlinge – gestiegen.
So hat die EU eigene Programme zur Überwachung ihrer Grenzen aufgelegt, zukünftige EU-Mitglieder wie Kroatien sind schon seit Jahren dabei, ihre Landesgrenzen abzusichern, im Donaudelta stehen bereits die ersten Radaranlagen.
Länder wie Indien suchen – insbesondere seit dem Attentat von Mumbai 2008 – nach Überwachungssystemen für ihre Tausende von Kilometern langen Küstenregionen.
An Radar-Überwachung führt bei der Grenzsicherung kein Weg vorbei
Auch die Golf-Staaten rüsten auf: 2009 ergatterte die EADS-Verteidigungstochter Cassidian den gut 2 Mrd. Dollar schweren Auftrag, ein komplettes Grenzsicherungssystem für Saudi-Arabien aufzubauen – gegen US-Wettbewerber wie Raytheon und europäische Konkurrenten wie Thales, Finmeccanica und BAE-Systems. Die Regierung in Riad, sagte Cassidian-Chef Stefan Zoller damals in der Presse, „hat die Sicherheit des Landes zu einem großen Teil in unsere Hände gelegt“.
Immer mehr Länder suchen diese Sicherheit – und setzen dabei auf Radar. „Denn wenn es um die automatische und wetterunabhängige Überwachung großer Flächen und großer Entfernungen geht“, so Hans Jochen Sölter, bei Thales Deutschland für Strategie und Geschäftsentwicklung von Bodenüberwachungsradaren zuständig, „kommt kein Land an Radarsystemen vorbei.“ Radar, heißt es auch beim US-Hersteller Accipiter, hat sich zum „Goldstandard“ entwickelt, wenn es um den Schutz von Grenzen oder Industrieanlagen und die Entdeckung potenziell gefährlicher Zielobjekte („uncooperative targets“) geht.
Radar-Systeme sollen „kleine Ziele“ aufspüren
Dabei ist das Ziel nicht mehr die Entdeckung von Panzern oder armierten Fahrzeugen wie es bei militärisch genutzten Radarsystemen der Fall ist, sondern von Fußgängern oder kleinen Schnellbooten, und das bei Unwettern wie Sandsturm oder Hagel. „Diese kleinen Ziele sind die Herausforderung“, so Bernhard Möllmann, bei Cassidian in Ulm für die Sicherheitsradare zuständig.
Dieser zivile oder hoheitliche Einsatz von Radarsystemen konzentriert sich vor allem auf vier große Gebiete:
Die Überwachung von Grenzen zu Wasser und zu Land, die Überwachung kritischer Infrastrukturen wie Häfen oder Industrieanlagen, die Beobachtung großer Menschenansammlungen wie bei Olympischen Spielen und schließlich die Unterstützung der Polizeikräfte.
Dabei wird von den Systemen einiges verlangt: Sie sollen einen Fußgänger, dessen effektive Rückstrahlfläche – das, was das Radar „sieht“– bei kaum 0,5 m2 liegt, auf gut 20 km Entfernung erkennen. Auch dann noch, wenn er sehr langsam geht. Einen Lkw mit einer Rückstrahlfläche von 10 m2 muss das Radar auf fast 40 km ausmachen, eine kleine Drohne auf immerhin noch 9 km. Und selbst Schwimmer sollen sie, trotz der Stördaten („clutter“), etwa durch Wellengang, noch auf 1 km Entfernung sicher entdecken.
Doch der Fußgänger, da sind sich Möllmann und Sölter einig, ist die eigentliche „Referenzgröße“.
Grenzen lassen sich derzeit mit zwei unterschiedlichen Radar-Systemen sichern
Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Radarsysteme, die für zivile oder hoheitliche Aufgaben genutzt werden:
Das eine sind die klassischen Radare mit ihren mechanisch rotierenden Antennen, wie man sie in einfacheren Versionen auf Schiffen oder an Flughäfen kennt. In Deutschland werden sie vor allem von Cassidian in Ulm und Thales in Pforzheim hergestellt.
Die zweite Variante sind sogenannte AESA-Radare (Active Electronically Scanned Array), die Spezialität von Cassidian. Dabei wird die mechanische Schwenkung des Radarstrahls durch eine elektronische ersetzt. Erreicht wird das durch viele kleine Sende- und Empfangsmodule. Ausrichtung und Bündelung des Radarstrahls erfolgen durch die Phasenverschiebung zwischen den einzelnen Modulen auf der Antennenfläche.
Dieses System wird auch als aktives Phased-Array-Radar bezeichnet. Die AESA-Sicherheitsradare von Cassidian decken in der Regel nur einen Winkel von 900 bis 1200 ab. Mithilfe von speziellen Drehgestellen können aber auch sie 3600 abdecken.
Diese Radare verfügen zudem über einen sogenannten Multi-Beam-Modus, sodass ein Radar mehrere Funktionen gleichzeitig ausführen kann. „Der Vorteil dabei ist“, so Bernhard Möllmann, „dass sich mit diesem Radar mehrere konventionelle Radare ersetzen lassen.“ Mit einem Radar ließen sich so zugleich Wasser- und Landflächen überwachen, was herkömmliche Radare wegen der unterschiedlichen Rückstrahlbedingungen nicht schafften.
Radar erkennt auch tief fliegende Flugzeuge von Drogenschmugglern
Beide Sicherheits-Radarsysteme zeigen ähnliche Leistungsparameter: Sie können Flächen bis zu 80 km überwachen, innerhalb dieser Flächen einzelne Entfernungsfenster besonders untersuchen, parallel dazu die Bewegung Dutzender bereits identifizierter Objekte mitverfolgen.
Doch sie können nicht nur Fahrzeuge auf 80 km Entfernung und Fußgänger in über 20 km Entfernung identifizieren, Wasser- wie Landflächen beobachten, sie verfügen zusätzlich über einen Luftüberwachungsmodus, mit dem etwa tief und schnell fliegende Flugzeuge von Drogenschmugglern erkannt werden können.
Diese Sicherheitsradare sind weitgehend wetterunabhängig, können Stördaten – etwa vom Sturm bewegte Bäume oder Wellengang – durch eine hohe Auflösung der Doppler-Signale unterdrücken. So liefern sie auch noch bei Regen, Sandsturm, großer Kälte oder Hitze zuverlässige Daten. Nur tropische Regengüsse bringen auch diese Radare an ihre Grenzen.
Erkennung und Klassifikation der Zielobjekte erfolgen automatisch, zudem können bestimmte Alarmzonen definiert werden. Eigentlich, so Möllmann, „lässt sich alles, was die Radarsysteme leisten sollen, über die Software steuern“, sodass ein Kontrolleur gleichzeitig mehrere Radare betreuen kann. Um die Identifikation zu erleichtern, werden auf dem Bildschirm der Kontrolleure unterschiedliche Symbole zur Zielerkennung verwendet.
In der Regel sind die Radare jedoch auf einen speziellen Einsatz hin optimiert, auch, wie Sölter sagt, um den oftmals mit Radarsystemen nicht vertrauten Anwender „nicht zu überfordern“.
Schlüsselelemente dieser Radare sind deshalb die Elektronik und die Software. Obwohl harte Wettbewerber im Markt, fertigen Thales Deutschland und Cassidian gemeinsam einen Gallium-Arsenid-Chip für ihre Radargeräte. Diese Chips werden dann zu großen Modulen integriert. Gut 50 solcher Module arbeiten in den neuesten AESA-Sicherheits- radaren von Cassidian.
Radare, die Grenzen, Ölförderungsanlagen oder Häfen überwachen, sind zumeist in ein größeres Überwachungssystem integriert. Hat das Radar ein Ziel erfasst, werden Sensoren wie Infrarot- oder Video-Kameras mit großer Brennweite, aber schmalem Gesichtsfeld, genutzt, um das Zielobjekt im Detail zu analysieren.
Nachfrage nach speziellen Radar-Systemen zur Grenzsicherung wird zunehmen
Die Nachfrage nach solchen Systemen, da sind sich Fachleute wie Möllmann und Sölter sicher, wird deutlich zunehmen. „Der Markt der zivilen und hoheitlichen Anwendungen von Radarsystemen“, so Sölter, „entwickelt sich deutlich dynamischer als der militärische Markt.“
Möllmann schätzt das Marktpotenzial für Sicherheitsradare auf 500 Mio. € in den nächsten fünf Jahren, wobei der Markt um 5 % bis 10 % pro Jahr wachsen soll. „Wir stehen hier“, glaubt Möllmann, „erst ganz am Anfang.“
Das sieht Sölter nicht anders: „Angesichts der steigenden Nachfrage nach Sicherheit ist Radar die kommende Technologie.“ W. MOCK
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