„In zehn Jahren werden alle Geräte vernetzt sein“
„Connectivity“ heißt das Zauberwort auch bei Hausgeräten. Im „House of Innovations“ zeigte Siemens auf der diesjährigen IFA, wie die schöne, neue vernetzte Haushaltswelt aussehen könnte. Ingo Pietsch, Leiter der Entwicklung von Connectivity Geräten bei der Siemens-Electrogeräte GmbH, weiß aber auch, dass es an einheitlichen Standards mangelt und fordert mehr Engagement von Energieversorgern und Politik.
VDI nachrichten/INGENIEUR.de: Herr Pietsch, wie viel Vernetzung wollen die Menschen überhaupt?
Pietsch: Die Leute wollen, glaube ich, nicht Vernetzung als Technik. Sie wollen aber gerne das nutzen, was ihnen die Vernetzung ermöglicht. Nehmen Sie die Entwicklung bei den Smartphones oder Tablet-PCs: Da geht es den Nutzern nicht um den mobilen Zugriff auf WLAN oder Internet, sondern man möchte nachschauen, wann der nächste Zug kommt oder wie der Kontostand aussieht. Das heißt, die Funktionen sind ausschlaggebend, nicht die Technik, die dahintersteckt. Und so ist es nach meiner Beobachtung auch im Bereich der Hausgeräte.
Auf welche Funktion legen Ihre Kunden denn besonders Wert?
Pietsch: Ganz, ganz viele Menschen haben ein großes Interesse daran, nachschauen zu können: „Habe ich wirklich alles ausgemacht, bevor ich rausgegangen bin?“ Sie brauchen das einfach für ihr persönliches Wohlbefinden. Das ist ein einfaches, aber relevantes Beispiel.
Welchen Mehrwert bieten die neuen Vernetzungsmöglichkeiten noch?
Pietsch: Der eigentliche Mehrwert liegt darin, dass Sie den Gestaltungsspielraum über Ihren Alltag zurückgewinnen. Sie können entscheiden, wann Sie etwas tun, egal, wo Sie gerade sind. Diese kleinen Freiräume sind, wenn man wie viele von uns heute nur noch von Termin zu Termin rennt, enorm wichtig.
Ich kann von überall schauen, ob ich alle Zutaten für mein Abendessen im Kühlschrank habe, suche dann über mein Smartphone den nächsten Supermarkt und besorge, was noch fehlt.
Die Konsumelektronik-, aber auch die Telekommunikationsbranche bieten ja bereits endlos viele Vernetzungsmöglichkeiten. Allerdings fühlen sich viele Kunden damit überfordert. Wie wollen Sie dies in Ihrer Branche besser machen?
Wir behalten bei unserer Entwicklungsarbeit die Kunden im Auge, schauen genau hin, was sie brauchen und was ihnen im Alltag hilft. Wenn wir ihnen lediglich alle Möglichkeiten anbieten, die wir technisch umsetzen können, die aber im Alltag keinen Sinn machen, wird Connectivity schnell zum Zeitkiller.
Und wir setzen auf Lösungen, die an das anknüpfen, was die Menschen schon akzeptiert haben. Wir können nicht erwarten, dass sich der normale Käufer von Küchen oder Einzelgeräten erst seine eigene Infrastruktur schafft, auch wenn es technikaffine Menschen gibt, denen das Spaß macht. Der normale Käufer möchte, dass es einfach geht.
Was brauche ich denn in meinem Haushalt, um Ihre vernetzungsfähigen Geräte einsetzen zu können?
Pietsch: Da reicht das aus, was Sie zu Hause vermutlich sowieso stehen haben. Sie haben einen Router und WLAN. Dort melden Sie die Geräte an – ähnlich wie beim Drucker. Unsere Waschmaschinen, Geschirrspüler und Trockner sind mit einem festen Modul ausgestattet. Wenn Sie das Gerät ans Netz anschließen, wird diese Komponente aktiv und Sie können es im Netzwerk anmelden.
Wie läuft die Kommunikation ab?
Pietsch: Sie gehen mit Ihrem Tablet-PC oder Smartphone ins Internet und unsere Geräte kommunizieren mit Ihnen über WLAN oder Sie kommunizieren direkt von Gerät zu Gerät. Von unterwegs aus können Sie über den Internetzugang Ihres mobilen Geräts Kontakt aufnehmen.
Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie für eine breite Umsetzung Ihrer Connectivity-Lösungen?
Pietsch: Rein technisch gesehen könnten wir mit unseren vernetzungsfähigen Geräten morgen an den Start gehen. Für eine größere Verbreitung brauchen wir jedoch einheitliche Standards. Selbst für ein Unternehmen wie Siemens sind proprietäre Lösungen nicht sehr erfolgversprechend.
Wie wollen Sie das Problem der unterschiedlichen Standards lösen?
Pietsch: Wir haben uns momentan für den neuesten WLAN-Standard als den derzeit gängigsten entschieden.
Und wir engagieren uns seit Kurzem in der EE-Bus-Initiative, die sich ja für ein gemeinsames Vernetzungskonzept und einheitliche Standards für den Informationsaustausch einsetzt.
Was halten Sie von Qivicon, der Plattform der Telekom, bei der sich ja auch Ihr Konkurrent Miele engagiert?
Pietsch: Das ist sicherlich auch eine interessante Initiative, die wir uns anschauen und mit der wir im Gespräch sind. Man muss allerdings sehen, dass unser hauseigenes Technologie-Know-how so groß ist, dass wir selbst Dienste im IT-Bereich generieren können. Das heißt, wir prüfen noch, was wir selbst in die Hand nehmen und was wir anders lösen. Unsere Steuerungssoftware verfügt zum Beispiel über ein proprietäres, modernes Bus-System – so ähnlich wie das Feldbus-System im Auto. Hiermit können wir von der Netzsprache in die Befehlssprache des Hausgerätes übersetzen.
In der Schwebe ist derzeit das Thema Smart Grid. Wie wichtig ist es, Ihre Geräte bei flexiblen Tarifen mit dem künftigen intelligenten Stromnetz verbinden zu können?
Pietsch: Eine solche Verknüpfung wäre definitiv im Sinne des Verbrauchers. Wir haben in diesem Zusammenhang gemeinsam mit E.on einen sehr aufschlussreichen Feldversuch durchgeführt und herausgefunden, dass die Verbraucher zu einem sehr großen Teil bereit sind, ihr Nutzungsverhalten zu ändern, um einen günstigeren Tarif zu bekommen. Mich hat dies persönlich sehr überrascht, vor allem, weil das Einsparpotenzial pro einzelner Waschladung relativ gering ist.
Aber flexible Stromtarife lassen auf sich warten. Wenn Sie einen Wunsch an Politik und Energieversorger richten könnten, welcher wäre das?
Pietsch: Wir würden uns von den Energieversorgern wünschen, dass sie einen übergreifenden Standard schaffen, in dem die Energiekosten von den Versorgern übertragen werden können, so dass alle Hausgeräte diese Infos aufnehmen können. An die Adresse der Politik gerichtet, würden wir uns wünschen, dass sie die gespreizten Stromtarife nachdrücklich einfordert.
Aber geht es nicht auch um eine Einigung unter den Herstellern?
Pietsch: Die Standards müssen selbstverständlich auch herstellerübergreifend sein. Aber wir als Hersteller oder Abnehmer der Informationen haben, glaube ich, weniger Schwierigkeiten, uns zu einigen als die Lieferanten der Informationen.
Wir definieren gerade die Connectivity-Standards für unsere Marken. Und wir würden uns auch sicherlich nicht dagegen wehren, unsere Schnittstellen langfristig für andere Gewerke und Hersteller offenzulegen. Das ist kein Tabuthema.
Wann, glauben Sie, stehen die gespreizten Tarife zur Verfügung?
Pietsch: Da kann ich keine Einschätzung abgeben. Wir warten jetzt von Jahr zu Jahr auf die entscheidenden Weichenstellungen.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie viele der Geräte, die wir heute hier sehen, sind in zehn Jahren vernetzt?
Pietsch: In zehn Jahren werden alle Geräte miteinander vernetzt sein.
Über welche Geräte sprechen wir genau?
Pietsch: Im Moment sprechen wir vor allem über Großgeräte. Das kann durchaus auch Kaffeevollautomaten umfassen. Aber ich schließe nicht aus, dass irgendwann auch relevante Kleingeräte wie das Bügeleisen mit vernetzt sind. Das ist letztlich eine Frage von Aufwand und Nutzen.
Wie viele Menschen haben dann solche Geräte gekauft?
Pietsch: Vielleicht 20 % der Konsumenten.
Und welche Funktionen gehören in zehn Jahren zum Alltag?
Pietsch: Ganz triviale Dinge: Die Gebrauchsanleitung zum Beispiel ist im Gerät mit eingebaut. Sie übermittelt alle Informationen wie Wasserhärte oder Sprache schon von sich aus. Geräte wie Herd und Dunstabzugshaube verständigen sich. Ferndiagnosen bei Störungen sind möglich. Und in 20 Jahren erkennt Ihre Waschmaschine vielleicht schon alleine, was sie waschen soll.
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