Messe IFA setzt überraschenden Fokus auf Nachhaltigkeit
Die IFA ist wieder da. Nach zwei Jahren Corona-Pause öffnet die weltgrößte Messe für Haushalts- und Konsumelektronik heute in Berlin wieder ihre Pforten für die Privatbesucher. Mit sehr neuen Akzenten.
Vorfreude war allen Beteiligten in den letzten Tagen deutlich anzumerken: Endlich wieder IFA! Sowohl der Veranstalter, die gfu Consumer & Home Electronics, als auch die Messe Berlin rühmten den Wert einer Präsenzmesse nach zwei Jahren Corona-Pause. Gerade die neuesten High-Tech-Produkte der Hausgeräte und Konsumelektronik-Branche bräuchten den persönlichen Kontakt, das Erleben, Erklären und Begreifen vor Ort.
Mit über 1100 Ausstellern aus 46 Nationen und einem zu 80 Prozent gefüllten Messegelände, ist die IFA zwar noch nicht ganz zur alten Größe zurück. 2019, beim letzten Mal, waren es rund 1900 Aussteller. Aber Messechef Martin Ecknig wies zur Eröffnungs-Pressekonferenz darauf hin, dass in vielen Ländern noch Corona-Reisebeschränkungen gelten, die viele potenzielle Aussteller und Besucher fernhalten.
Haushalts- und Unterhaltungselektronik mit Umsatzplus gegen 2019
Was das Umsatzniveau der IFA-Branchen angeht, ist die Bilanz zu Messebeginn vorsichtig optimistisch. Dank der Sonderkonjunktur einiger Bereiche, z.B. der IT, während Corona, steht der Markt heute trotz Rückgang im laufenden Jahr besser da als 2019. Sara Warneke, Geschäftsführerin der IFA-veranstaltenden gfu, weiß um die Risiken, die Ukraine-Krieg, Inflation, gestörte Lieferketten und Zukunftsängste für eine stark vom Konsumverhalten abhängige Branche bringen. Sie sieht aber auch positive Effekte in der näheren Zukunft wie die Fußball-WM in Katar, die wegen wetterbedingt ausfallendem Public-Viewing und Corona-Sorgen sicher verstärkt vor dem heimischen TV-Gerät stattfinden wird.
Smart Home und Energieeffizienz als Hoffnungsträger
Auch das Thema Smart Home sieht Warneke als Zukunftschance. „Smart Home war schon immer mit Energieeffizienz verknüpft“, sagte sie auf der Eröffnungs-PK. Bei der intelligenten Heizungs- Raumklima- und Lichtsteuerung komme dem in Zeiten explodierender Energiepreise eine besondere Bedeutung zu.
Warneke und die gfu setzen auf verantwortungsbewusste Konsumenten. Und so propagieren sie zur IFA 2022 einen besonderen Schwerpunkt: Das Thema Nachhaltigkeit. Das mag zunächst überraschen, lebt doch z.B. die TV-Branche davon, fast jährlich eine neue „Sau“ durchs Dorf zu treiben: Erst HD-Ready, dann HD, dann 3D, Smart TV und jetzt 4K bis 8K.
Studie zeigt den „wahren Wert von Grün“
Doch es gibt andere Beispiele, wo sich deutlich zeigt, dass sowohl die Industrie als auch die Verbraucher deutlich in Richtung Nachhaltigkeit schwenken, dass Reparieren und Wiederaufbereiten von Gebrauchtgeräten einen neuen Stellenwert bekommen. Als im Sommer die gfu zu ihrer traditionellen Informationsveranstaltung Insights & Trends im Vorfeld der IFA einlud, stand diese vollständig im Zeichen nachhaltigen Wirtschaftens.
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„Der wahre Wert von Grün“ heißt die Studie, die die Strategieberatung Oliver Wyman und die gfu dort vorstellten. Sie zeigt: Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, für nachhaltige Hausgeräte und Unterhaltungselektronik einen Preisaufschlag zu zahlen. Sie erwarten dafür aber dann einen finanziellen Vorteil bei den Nutzungskosten.
Kühlschrank & Co.: Nachhaltigkeit kostet Aufpreis
Naturgemäß ist dieser Effekt am stärksten bei gesteigerter Energieeffizienz der Geräte. Doch das Versprechen langfristiger Reparierbarkeit und entsprechend sichergestellter Ersatzteilversorgung trägt zu höherer Zahlungsbereitschaft bei. Für eine um zwei Stufen höhere Energieeffizienzklasse waren die befragten Personen bereit, durchschnittlich 36 Prozent mehr auszugeben als für ein ansonsten identisches Gerät. Für eine energieeffizientere Waschmaschine würden sie sogar bis zu 160 Euro, bzw. 47 Prozent, mehr zahlen, verglichen mit einem durchschnittlichen Basispreis von 340 Euro. Für die Herstellergarantie, dass ein Gerät repariert werden kann und nötige Ersatzteile zur Verfügung stehen, akzeptieren sie einen Preisaufschlag von 25 Prozent.
Weniger Zahlungsbereitschaft für CO2-Neutralität
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: CO2-neutrale oder sozialverträgliche Produktion von Produkten oder deren Wiederverwertbarkeit in einer Kreislaufwirtschaft sind Verbraucherinnen und Verbrauchern nur geringe Preisaufschläge wert. Die zusätzliche Zahlungsbereitschaft liegt bei diesen Faktoren lediglich bei etwa 10 Prozent.
Die Zahlungsbereitschaft ist vor allem dann höher, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher selbst einen finanziellen Vorteil haben.
„Die Zahlungsbereitschaft ist vor allem dann höher, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher selbst einen finanziellen Vorteil haben. Gerade für eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank sind sie durchaus bereit, 200 Euro mehr auszugeben, wenn sie dafür ein Gerät der Energieeffizienzklasse C statt E erhalten“, erläuterte Martin Schulte, Partner und Konsumgüterexperte bei Oliver Wyman. Angesichts zunehmend höherer Energiekosten wachse der Vorteil für sparsame Technik: „Die steigenden Energiepreise sorgen dafür, dass sich zusätzliche Ausgaben für energieeffizientere Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik deutlich schneller amortisieren.“
Energieeffizienz spart mehr als viele denken
Allerdings unterschätzen die Menschen den Vorteil, den sie durch höhere Energieeffizienz erzielen können. Ein Kühlschrank der Klasse C verringert die Stromkosten im Vergleich zu einem Gerät der Klasse E im Schnitt um 32 Euro pro Jahr. Die in der Studie befragten Personen gaben hier Schätzungen zwischen elf und 25 Euro ab.
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„Vielen Menschen ist offenbar nicht klar, wie stark energieeffiziente Geräte das Haushaltsbudget entlasten können“, sagte gfu-Chefin Warneke. „Für die Nachhaltigkeits-Vorreiter unter den Herstellern ist das ein guter Ansatzpunkt zur Ansprache von Verbraucherinnen und Verbrauchern.“ Generell stellte sie fest: „Die Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Technik nimmt mit wachsendem Alter und verfügbarem Einkommen zu“, erläutert Dr. Warneke.
Elektronik-Produkte: Gebraucht kommt in Mode
Ein weiterer Trend, den die Studie ausgemacht hat, ist der zu generalüberholten Gebrauchtgeräten. Bei Smartphones zieht das rund die Hälfte der Befragten in Betracht, ein Drittel hat solche Angebote bereits genutzt. Die Studie sieht aber auch bei Wasch- oder Kaffeemaschinen einen wachsenden Trend zum „Refurbished“-Produkt. „Die zentrale Motivation für die Anschaffung von Refurbished-Geräten ist, dass sie günstiger sind“, sagte Oliver-Wyman-Experte Schulte. „Nachhaltigkeits-Erwägungen spielen eine untergeordnete, aber dennoch bedeutsame Rolle.“
Inflation bremst Nachhaltigkeit
Diesen geschilderten Trends hin zu nachhaltigerer Haushalts- und Unterhaltungselektronik könnte allerdings die zunehmende Inflation einen Strich durch die Rechnung machen. Denn bereits zum Befragungszeitraum der Studie in der ersten Jahreshälfte gab ein gutes Drittel der Befragten an, angesichts steigender Preise lieber auf günstigere Geräte ausweichen zu wollen. Schulte rät der Industrie, den finanziellen Vorteil nachhaltiger Geräte stärker in den Fokus zu stellen und den Menschen nahe zu bringen.
IFA: Dunkle Wolken vor Jubiläumsjahr 2024
Chancen dazu bietet die IFA, die noch bis kommenden Dienstag ihre Pforten geöffnet hat. Ob es wieder über 240000 Besucher werden, wie beim letzten Mal 2019? Die Verantwortlichen wagen keine Prognose, hoffen aber auf großes Interesse. Und setzen darauf, dass die Messe zu einstiger Größe zurückfindet. Immerhin steht 2024 der 100. Geburtstag der IFA an, die 1924 als Internationale Funkausstellung erstmals stattfand.
Ob sie zum Jubiläum noch in gewohnter Form auftritt, ist derzeit fraglich Während eine Neuauflage für 2023 wohl gesichert ist, gibt es für die Ausgabe im Jubiläumsjahr 2024 noch keinen Vertrag. Laut dpa verhandeln der Rechteinhaber gfu, das britische Veranstaltungsunternehmen Clarion und die Messe Berlin noch darüber. Weder die Messe noch die gfu äußerten sich zum Messebeginn über Details.
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