Mini-Teilchenbeschleuniger auf einem Chip
Früher haben Computer ganze Räume gefüllt – heute passen sie in schmale Gehäuse. Ähnlich gingen Forscher der Stanford University bei Teilchenbeschleunigern vor. Ihre miniaturisierte Version passt auf einen Chip.
Auf einem Hügel oberhalb der amerikanischen Stanford University betreibt das National Accelerator Laboratory (SLAC) ein fast drei Kilometer langes wissenschaftliches Instrument. In diesem riesigen Beschleuniger bewegt sich ein Elektronenstrom durch ein Vakuumrohr, während Mikrowellenstrahlen die Teilchen immer stärker beschleunigen, bis ihre Geschwindigkeit sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. So entsteht ein starker Strahl, mit dem Wissenschaftler aus aller Welt die atomaren und molekularen Strukturen anorganischer und biologischer Materialien untersuchen. Doch sowohl der technische als auch der finanzielle Aufwand sind immens, was die Anwendungen stark einschränkt.
Wissenschaftler der Stanford University und des SLAC haben zum ersten Mal einen Siliziumchip entwickelt, der Elektronen beschleunigen kann, wenn auch nur auf einem Bruchteil der Geschwindigkeit dieses großen Geräts. Aufgrund der Abmessungen könnte ihre Technologie in der Industrie, der Forschung und der Medizin eingesetzt werden. Noch reicht die Beschleunigung nicht aus, doch das soll sich bald ändern.
Elektronen in Nanoröhren unterwegs
Zum Experiment selbst: Die Ingenieure haben Kanäle im Nanometer-Maßstab aus reinem Silizium herausgeschnitten und diese im Vakuum versiegelt. Durch solche Hohlräume schickten sie dann Elektronen. Für Pulse aus Infrarotlicht ist Silizium fast so transparent wie Glas für sichtbares Licht. Deshalb wird die hochenergetische Strahlung durch die Kanalwände übertragen, und beschleunigt so Elektronen.
Doch wie kamen Forscher auf diese Idee? Bei normalen Beschleunigern, wie sie am SLAC eingesetzt werden, beginnt alles mit einem Basisdesign aus bekannten Baugruppen. Dann folgen Simulationen, um Mikrowellen-Generatoren physikalisch so anzuordnen, dass sie die größtmögliche Beschleunigung liefern.
Arbeitet man statt der Mikrowellen mit Infrarotlicht, können aufgrund unterschiedlicher Wellenlängen und Energie dieser Strahlung Elektronen schon in kurzen Strecken hinreichend beschleunigt werden. Das heißt: Wissenschaftler feuern Infrarotlicht-Impulse durch das Silizium, um Elektronen im richtigen Moment und Winkel zu treffen und schneller werden zu lassen.
Das Design-Prinzip umkehren
Von der Theorie zur Praxis. Das Team entwickelte inverse Design-Algorithmen. Diese spezifizierten, welche Lichtenergie der Chip liefern sollte. Ihre Software machte Vorschläge, wie die richtigen Nanostrukturen aufgebaut werden können, die erforderlich sind, um die Photonen in den richtigen Kontakt mit dem Elektronenfluss zu bringen. „Manchmal können inverse Designs Lösungen hervorbringen, an die ein menschlicher Ingenieur vielleicht nicht gedacht hätte“, sagt R. Joel England, ein Wissenschaftler des SLAC.
Sein Design-Algorithmus hat ein Chip-Layout entwickelt, das so nicht zu erwarten war. Elektronen, die durch den Kanal fließen, gelangen an Siliziumdrähte. Jedes Mal, wenn Laserpulse auf Elektronen treffen, und das tun sie 100.000 Mal pro Sekunde, beschleunigt ein Photonenstoß diese vorwärts. Alle in silico errechneten Strukturen lassen sich mit siliziumintegrierter Photonik und Lithographie aufbauen.
Vom Labor in die Anwendung
Nach ersten erfolgreichen Tests ihres Prototypen planen die Ingenieure, mit ihrem Tool Elektronen auf 94 Prozent der Lichtgeschwindigkeit oder eine Million Elektronenvolt (ein MeV) zu beschleunigen. Sie wollen einen Teilchenstrom erzeugen, der stark genug für die Forschung oder die medizinische Anwendung ist. Ihr Prototyp bietet nur eine einzige Stufe, die 1.000 Mal durchlaufen werden müsste, um auf geeignete Werte zu kommen. Große Schwierigkeiten erwarten die Forscher hier nicht.
Sie planen vielmehr, rasch in Richtung Anwendung zu gehen. Bis Ende 2020 wollen sie rund 1.000 Beschleunigungsstufen auf etwa einem Zentimeter Chipfläche realisieren, um ihr Ziel von einer Million Elektronenvolt zu erreichen. Olav Solgaard, einer der Entwickler, hat in Erwartung dieses Hochleistungsbeschleunigers bereits mit der Arbeit an einer möglichen Anwendung zur Krebsbekämpfung begonnen.
Hochenergetische Elektronen eignen sich theoretisch zwar zur Behandlung maligner Erkrankungen, doch bei der Umsetzung stießen Ärzte bislang auf Schwierigkeiten. Werden Elektronen mit konventionellen Beschleunigern erzeugt und von außen an den Körper gebracht, verbrennen sie die Haut. Solgaard will deshalb Chips in der Nähe von Tumoren implantieren, um den Teilchenstrahl direkt zum erkrankten Gewebe zu führen. An eine Steuerung von außen denkt der Forscher ebenfalls.
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