Technik im Halsband 23.06.2014, 13:25 Uhr

Sensorsystem erkennt Empfängnisbereitschaft der Kühe am Muhen

Eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe – und eine ganze Menge Krach. Wenn man genau hinhört, lässt sich dieser aber gewinnbringend nutzen: Mit einer speziellen Messtechnik können Forscher den richtigen Zeitpunkt für eine künstliche Besamung einzelner Rinder jetzt heraushören.

Kühe sind nur 18 Stunden während ihres dreiwöchigen Zyklus' fruchtbar. Bei großen Herden können Bauern dieses enge Zeitfenster leicht verpassen. Das Sensorsystem soll Alarm geben, wenn die Zeit für die Besamung gekommen ist.  

Kühe sind nur 18 Stunden während ihres dreiwöchigen Zyklus' fruchtbar. Bei großen Herden können Bauern dieses enge Zeitfenster leicht verpassen. Das Sensorsystem soll Alarm geben, wenn die Zeit für die Besamung gekommen ist.  

Foto: dpa/Simone Neumann

Der Hormonspiegel hat bei Kühen Einfluss auf das Verhalten, zu dem auch Lautäußerungen gehören. Erfahrene Bauern wissen das Verhalten ihrer Kühe zu interpretieren und den richtigen Moment für eine künstliche Befruchtung zu bestimmen. Dabei kommt es sehr auf das richtige Timing an: Der Zyklus eines weiblichen Rindes dauert 21 Tage, fruchtbar ist die Kuh jedoch nur 18 Stunden.

Eine Kuh ist nur 18 Stunden lang empfängnisbereit

Solange der Bauer seine Kühe noch mit Vornamen kennt, behält er leicht den Überblick. Ist die Herde aber größer, verpasst er den richtigen Zeitpunkt für die Besamung schnell einmal – das kostet Zeit und vor allem Geld: Bullensperma ist teuer, und eine Wartezeit von erneuten 21 Tagen geht ebenfalls ins Geld.

Hier setzt die Forschung des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf bei Rostock an. Das interdisziplinär zusammengesetzte Team aus Wissenschaftlern beschäftigt sich mit landwirtschaftlichen Nutztieren, um Technologien und Produkte für die Tierzucht und -haltung zu entwickeln. Unter anderem führen die Forscher bereits seit längerem umfangreiche verhaltensphysiologische Forschungsarbeiten zur Bioakustik bei Nutztieren durch.

Kühle signalisieren mit Lauten ihre Empfängnisbereitschaft

Die Forscher haben den Zusammenhang zwischen den Lauten der Tiere und ihrer Empfängnisbereitschaft entdeckt: Am Muhen der Kuh lässt sich tatsächlich erkennen, ob eine Besamung mit Bullensperma zum jeweiligen Zeitpunkt sinnvoll ist und die Kuh trächtig wird. Aus Sicht der Forscher liegt dieser Zusammenhang auf der Hand: „Die Natur hat im Laufe der Evolution auch bei Tieren Formen der Kommunikation entwickelt. Wir können davon ausgehen, dass die Tiere über die Lautäußerungen vielfältige Informationen über ihr Befinden und ihren Zustand liefern“, erklärt Dr. Peter-Christian Schön, Projektleiter und Verhaltensphysiologe am Dummerstorfer Forschungsinstitut.

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Die Wissenschaftler stellten fest, dass sich während der Brunst die Anzahl der Laute pro Zeiteinheit ändert. Zudem fanden sie zwei elementare Strukturen in den Lauten, harmonische und disharmonische Anteile, die Aufschluss über Empfängnisbereitschaft und Wohlbefinden der Tiere geben.

Mikrofone empfangen Luft- und Körperschall

Einfache Mikrophone im Stall reichen allerdings nicht aus zur Erfassung der Stimmung des lieben Viehs. In Herdenverbänden, in denen Rinder leben, lassen sich die Laute so kaum einzelnen Kühen zuordnen. Also musste eine Einzellösung her. Die Dummerstorfer Wissenschaftler stellten sich dafür eine Kombination aus zwei Mikrofonen vor, die sowohl den Körperschall als auch den Luftschall der Tiere erfasst. Diese Mikrophone müssen sich direkt am Körper der Kuh befinden, um Verfälschungen durch andere Tiere zu vermeiden.

Doktorand Volker Röttgen legt in einem Stall des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf einer Kuh ein Halsband mit einem bioakustischen Gerät und zwei Mikrofonen an. Aus den erfassten Lauten lässt sich der aktuelle hormonelle Zustand des Tieres erkennen. So lassen sich Fehlversuche beim Besamen mit teurem Bullensperma vermeiden. 

Doktorand Volker Röttgen legt in einem Stall des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf einer Kuh ein Halsband mit einem bioakustischen Gerät und zwei Mikrofonen an. Aus den erfassten Lauten lässt sich der aktuelle hormonelle Zustand des Tieres erkennen. So lassen sich Fehlversuche beim Besamen mit teurem Bullensperma vermeiden.

Quelle: dpa/Bernd Wüstneck

Hier kommt das Institut für allgemeine Elektrotechnik der Universität Rostock ins Spiel: Die Rostocker Forscher kümmerten sich um die grundsätzlichen Voraussetzungen, den Luft- und Körperschall bei Tieren aufnehmen zu können. Dazu untersuchten sie, wie ein kostengünstiges Sensorsystem entwickelt werden könnte. Zentrale Punkte dabei waren eine drahtlose Übertragung, um die Rinder nicht in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, die Integration von Beschleunigungssensoren und die Sicherstellung der Energieversorgung. Um die Laute und die Daten besser erkennen zu können, die Daten besser selektieren und die Bewegungsprofile besser erstellen zu können, haben die Forscher einen 3D-Beschleunigungssensor eingebunden und die Einbeziehung eines GPS-Tracking-Systems geprüft.

Messsystem passt in ein Kuhhalsband

Für die praktische Umsetzung war dann das Unternehmen automation & software Günther Tausch aus Neubrandenburg zuständig. Die Mitarbeiter entwickelten ein Funktionsmuster für die erste Testreihe und erarbeiteten dafür Schaltungsunterlagen, stellten Baugruppen her, schufen Labortestvoraussetzungen und entwickelten die entsprechende Software. Das Ergebnis: „Ein mobiles Datenerfassungs-, Datenaufzeichnungs- und -übertragungssystem mit gekoppelten Mikrofonen und mehreren Beschleunigungssensoren, das wenig wiegt und Platz innerhalb eines Kuhhalsbandes hat“, so Geschäftsführer Günther Tausch.

Daten sammeln allein reicht jedoch nicht – die Messwerte müssen zunächst übertragen, von anderen Geräuschen abgegrenzt und dann mit dem individuellen Verhalten der Tiere abgeglichen werden. Eine Lösung für diese Herausforderung zu finden, gehörte ebenfalls zum Auftrag des Unternehmens.

Verfahren ist interessant für weitere Anwendungsgebiete

Inzwischen ist das Verfahren zum Patent angemeldet, seit einem Jahr läuft eine Testreihe mit 16 Jungrindern, die gute Ergebnisse liefert. Im kommenden Jahr soll das System auf den Markt kommen. Die Erfinder rechnen mit hohem internationalen Interesse.

Zudem ist das Verfahren interessant für weitere Anwendungsgebiete, zum Beispiel für die Vermessung von Schwingungen und Schall in Industrieanlagen, in der Sportmedizin oder als Bio-Feedback-Gerät in der Physiotherapie. Auch die Forscher am Dummerstorfer Leibniz-Institut planen bereits konkrete Anschlussprojekte. So kann das System wertvolle Daten bei der Futteraufnahme und beim Wiederkäuen liefern und Auskunft über das gesundheitliche Wohlbefinden der Kuh geben.

 

Ein Beitrag von:

  • Judith Bexten

    Judith Bexten ist freie Journalistin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technik, Logistik und Diversity.

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