So sollen Smartphones langlebiger und recyclebarer werden
In deutschen Schubläden liegen Millionen aussortierter Smartphones, die alle noch funktionsfähig sind. Eine unglaubliche Ressourcenverschwendung. Zwei Industriedesigner des Fraunhofer IZM haben sich nun überlegt, wie Handys langlebiger und recyclebarer werden können.
Laut Digitalverband Bitkom lagerten im vergangenen Jahr rund 210 Millionen Alt-Handys in Deutschlands Haushalten. Seit 2015 habe sich die Zahl mehr als verdoppelt. Gefühlt kommen immer häufiger neue Smartphone-Generationen auf den Markt. Da ist bei vielen Nutzern die Versuchung groß, sich ein neues Gerät zuzulegen, obwohl das alte Smartphone eigentlich noch voll funktionsfähig ist. Das mag für den Handy-Besitzer vielleicht befriedigend sein, belastet jedoch die Umwelt ungemein. Zwei Industriedesigner des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM haben sich daher überlegt, wie sich Umweltschutz mit Produktion und Nutzung von Smartphones in Einklang bringen lassen. Das Ergebnis sind zwei Entwürfe für langlebige und recyclebare Handys mit einem ganz besonderen Design.
1,7 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr
Neue Smartphone-Modelle lösen in immer kürzeren Intervallen ihre Vorgänger ab, auch wenn diese noch einwandfrei funktionieren. Trotz Studien, die zeigen, dass die Europäerinnen und Europäer ihre Handys zunehmend länger nutzen, wird das volle Potenzial der Gerätelebensdauer oft nicht ausgeschöpft. Dieser rasche Gerätewechsel führt in Deutschland allein zu rund 1,7 Millionen Tonnen Elektroschrott jährlich, mit gravierenden Folgen für die Umwelt.
Als Reaktion darauf initiierte die Europäische Union 2020 einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, um Elektroschrott zu minimieren. Das Forschungsprojekt MoDeSt baut auf diesem Ansatz auf und erforscht, wie die Lebensdauer von Smartphones verlängert und deren Modularität sowohl technisch als auch wirtschaftlich optimiert werden kann. Ziel ist es, dass Smartphones langlebiger, reparaturfreundlicher und recyclingfähiger werden, ohne die Gerätefunktionalität zu beeinträchtigen.
Zirkulärer Baukasten als Grundlage
Das Projekt basiert auf dem zirkulären Baukasten, der vom Fraunhofer IZM entwickelt und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Inspiriert von dieser Grundlage, nahmen sich die Industriedesigner Tapani Jokinen und Robin Hoske vor, das Smartphone-Design von Grund auf neu zu konzipieren. Heraus kamen zwei innovative neue Ideen: Modest Cube und Modest Arch.
Modest Cube – das Smartphone, das nicht altert
Modest Cube legt besonderen Wert auf eine optimale Reparierbarkeit des Geräts. Er zeigt eindrücklich, wie durch einen unkomplizierten Austausch der Hardware die Lebensdauer eines Produkts verlängert werden kann. Hierbei geht die Modularität über einzelne Bauteile hinaus und bezieht das gesamte System mit ein.
Um die spezifischen Anforderungen des Modest Cube zu definieren, wurden Daten zum individuellen Bedarf und Verhalten der Konsumentinnen herangezogen. Diese Erkenntnisse wurden in speziellen Workshops mit Expertinnen und Expertenaus Wirtschaft, Umwelt, Konsum und Design weiter verfeinert. Hoske beschreibt die daraus resultierende Vision wie folgt:
„Der Modest Cube verkörpert ein Smartphone, das nicht altert, denn mit Hilfe des Mix&Match-Prinzips können Teile der Hardware einschließlich des Bildschirms mühelos ausgetauscht werden. Das ist nicht nur ein Gewinn für die Reparierbarkeit – es eröffnet auch die Möglichkeit, unterschiedliche Anforderungen der Nutzenden zu treffen: Wer beispielsweise eine extrem gute Kamera im Smartphone braucht, kann diese aufrüsten, ohne direkt ein neues Gerät kaufen zu müssen. Damit veranschaulicht unser Entwurf, wie Elektroschrott reduziert werden kann, während der Wert des Produkts bewahrt wird“.
Modest Arch – Konzentration auf das Wesentliche
Im zweiten Designansatz gehen die Designer noch ambitionierter vor. Das „Modest Arch“ präsentiert nicht nur eine neuartige Optik, sondern berücksichtigt auch die psychologischen Aspekte der Smartphone-Nutzung. Ziel ist es, die Smartphone-Nutzung im Einklang mit der Idee der digitalen Suffizienz zu gestalten, um so das mentale Wohlbefinden zu steigern und mögliche negative Effekte, wie eine verringerte Konzentrationsfähigkeit, zu reduzieren. Dabei steht das Prinzip „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ im Vordergrund. Nutzungsgewohnheiten werden kritisch betrachtet und auf das Notwendigste reduziert, was wiederum den Material- und Energieverbrauch senkt.
Das Design des „Arch“ zeichnet sich durch innovative Ansätze aus, die sich auf Vorhersagen über die zukünftige Konnektivität aus der Sicht der Industriedesigner stützen: „Wir gehen davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren viele Anwendungen über Virtual Reality und KI-basierte Sprachassistenten funktionieren werden. Daher haben wir uns für ein kompaktes und minimalistisches Design entschieden, bei dem die Hardware auf ein Minimum reduziert und das Betriebssystem cloudbasiert umgesetzt wird. Das Grundgerüst des Geräts ist damit eigentlich ein Webbrowser in Form eines persönlichen Tokens, der vergleichsweise wenige Bauteile benötigt. Je nach Bedarf können weitere Funktionen konfiguriert werden und die Arch als Schnittstelle für eine vernetzte IoT-Umgebung dienen“, erklärt Jokinen.
Das Design des Geräts zeichnet sich durch hohe Anpassungsfähigkeit aus. Hoske und Jokinen wählten ein rundes Interface mit den Maßen 51 x 15 Millimetern, gefertigt aus recyceltem Stahl. Durch ihr kompaktes Design lässt sich die ARCH vielseitig tragen – sei es als Armband, Halskette oder Brosche. Sie liegt gut in der Hand und erinnert in ihrer Form an eine Stoppuhr. Zusatzfunktionen, wie taktil-haptisches Feedback und Motion-Sensing-Technologie, ermöglichen es, die Arch beispielsweise als PC-Desk oder Air Mouse zu verwenden. Des Weiteren ist sie mit einer hochauflösenden Kamera und Sensoren zur Erfassung von Vitaldaten ausgestattet.
Von der Zukunftsvision auf Papier zum Prototypen
Die Designkonzepte „Modest Cube“ und „Arch“ sind bislang lediglich visionäre Ideen auf Papier. Doch das Forschungsteam dahinter hat ambitionierte Ziele. Nach Abschluss des Projekts planen sie die Entwicklung von Prototypen und deren umfassende Erprobung. Die beiden Kernprinzipien – erweiterte Produktlebensdauer und modulares Design – könnten nach Meinung der beiden Designer das Potential haben, tiefgreifende Veränderungen in der Elektronikbranche herbeizuführen, innovative Wege im Smartphone-Design einzuschlagen und dabei den Elektroschrott zu verringern.
Ein Beitrag von: