Virtuelle Realität, reale Gefahren
Im technischen Bereich und in der Unterhaltungsbranche gehören VR-Anwendungen mittlerweile fast zum Standard. Doch die Headsets führen – vor allem beim längeren Gebrauch – zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, berichten Forscher.
Steife Schultern, Kopfschmerzen oder eingeklemmte Nerven in Form des sogenannten Karpaltunnelsyndroms – solche Beschwerden kennen Anwender, wenn sie lange vor ihrem Computer sitzen. Aber was passiert, wenn man sich vom Desktop wegbewegt und in die virtuelle Realität eintritt?
In einer kürzlich durchgeführten Studie der Oregon State University, Corvallis, wurde untersucht, wie sich typische Bewegungen der VR-Anwendungen auf die Gesundheit auswirken können. Ziel der Wissenschaftler ist, bei Nutzern dieser schnell wachsenden Technologie für mehr Sicherheit zu sorgen. Denn VR kommt immer häufiger zum Einsatz – nicht nur bei Spielen, sondern auch bei der Ausbildung und beim Training von Ingenieuren.
Sensoren erfassen Bewegungsmuster
Zum Hintergrund: Virtual-Reality-User tragen ein Headset und führen 3-dimensionale Bewegungen am ganzen Körper aus – im Gegensatz zu Personen, die am normalen Computer arbeiten.
Mit Sensoren, die an Gelenken und Muskeln der Teilnehmer angebracht worden sind, haben Forscher bei VR-Usern typische Bewegungsabläufe erfasst. Sie arbeiteten außerdem mit der Elektromyographie. Hier werden Bewegungen der Augen erfasst.
In der Studie kam ein Oculus Rift VR-Headset zur Anwendung. Wissenschaftler forderten die Teilnehmer auf, entweder auf bestimmte Punkte um einen Kreis herum zu zeigen oder mit dem Finger einen besonderen Bereich zu markieren. Dieses Experiment wurden mit verschiedenen Parametern wiederholt, indem Forscher visuelle Elemente auf Augenhöhe, 15 Grad über der Augenhöhe und 15 beziehungsweise 30 Grad unter Augenhöhe platzierten.
Belastung des Muskel-Skelett-Systems
Zu den Ergebnissen: Unabhängig vom Winkel verursachte das Ausstrecken des Armes gerade nach außen in nur 3 Minuten Schulterbeschwerden. Bei längerem Gebrauch, wie es bei VR-Anwendungen durchaus vorkommt, kann dies zu größeren Gesundheitsproblemen wie dem „Gorillaarm-Syndrom“ kommen – einem Touchscreen-Äquivalent des Karpaltunnelsyndroms. Laut dem New Hackers Dictionary „fühlt sich der Arm wund, beengt und übergroß an“.
Verletzungen der Rotatorenmanschette, einer Muskelgruppe am Schultergelenk, sind langfristig auch zu befürchten. Darüber hinaus kann das schwere VR-Headset den Druck auf die Halswirbelsäule erhöhen. Der Nacken wird belastet, Schmerzen drohen.
Die Hardware optimal positionieren
Ein weiteres Ziel der Forscher war, Entwicklern von Anwendungen oder Spielen Hinweise zur Platzierung von VR-Objekten zu geben. Dazu konzentrierten sich die Experten auf Nacken- und Schulterbewegungen. Sie fanden heraus, dass die Belastung am größten war, falls Teilnehmer ihren Kopf um 15 und 30 Grad nach unten neigen mussten. Die extremsten Körperhaltungen und die höchste Muskelaktivität wurden bei VR-Objekten, die sich in 15 Grad über Augenhöhe befanden, beobachtet, da User gezwungen waren, ständig den Nacken zu strecken und den Arm anzuheben. Das führte wenig überraschend auch zum größten Unbehagen.
„Auf der Grundlage dieser Studie empfehlen wir, dass Objekte, mit denen häufiger interagiert wird, näher am Körper sein sollten“, so Jay Kim von der Oregon State University. „Diese sollten sich in Augenhöhe befinden und nicht darüber oder darunter.“
Großer Einfluss auf künftige Entwicklungen
Kims Hauptziel ist es, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Als in den 1980er- und 1990er-Jahren Personal Computer aufkamen, habe man oft erst zu spät an die Risiken einer Überbeanspruchung gedacht, erklärt Kim. Das solle sich in der Form nicht wiederholen.
Tech-Analysten gehen davon aus, dass bis 2023 weltweit etwa 168 Millionen Menschen in irgendeiner Form mit VR ausgestattet sein werden. Ein großer Teil der Anwender sind Gamer, aber die praktischen Einsatzgebiete von VR erstrecken sich auf das Gesundheitswesen, das Militär, die Ausbildung und das Training von Ingenieuren. Im Bergbau zum Beispiel üben Auszubildende mit VR neue Fähigkeiten, die vor Ort gefährlich wären.
„Derzeit gibt es keine Standards und Richtlinien für die Interaktion des menschlichen Körpers mit virtueller und erweiterter Realität“, kritisiert Kim. Umso wichtiger sei, zu verstehen, wie diverse Parameter der räumlichen Anordnung zu verändern seien, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. Dazu gehört auch, Zeitbegrenzungen einzuführen. Bei manchen Personen kommt es nämlich bei langer Anwendung neben orthopädischen Problemen auch zur VR-Krankheit (Virtual Reality Sickness) mit Übelkeit, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Das liegt an widersprüchlichen Sinnesreizen: Unsere Augen melden dem Gehirn eine Bewegung, doch die Gleichgewichtsorgane nehmen nichts wahr.
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